Der langsame Ausverkauf der Grundbedingungen unseres Wohlstands

Was kann Europa tun, zwischen Russland, China, Saudi Arabien und den USA? Wiederholt sich der Fehler der Abhängigkeit? Ein Kommentar.
Scholz ist der erste westliche Regierungschef, der China seit der Wiederwahl von Präsident Jinping als Vorsitzender der Kommunistischen Partei besucht.
Scholz war der erste westliche Regierungschef, der China seit der Wiederwahl von Präsident Jinping als Vorsitzender der Kommunistischen Partei besuchte.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 11. November 2022

Deutschland, ja ganz Europa solle jede Einbindung in den Ukrainekrieg aufkündigen, um durch Wiederherstellung der russischen Gaszufuhr „Business as usual“ betreiben und eine schwere Energiekrise verhindern zu können – so ist oft genug auch in konservativen Milieus zu hören. Doch diese Position ist nicht nur falsch, sie ist auch ein Beweis dafür, wie kurzsichtig die Rechte dem „Framing“ der Linken auf den Leim gegangen ist.

Anstatt Rußlands Angriffskrieg auf einen europäischen Nachbarn zu ignorieren, um weiter Gas zu erhalten, sollte Deutschland vielmehr seine Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen, um sich von der russischen Gaszufuhr unabhängig machen zu können und eine Außenpolitik zu betreiben, die nicht unter dem Vorzeichen der Erpressung steht.

Wem aber verdankt Deutschland (und indirekt ganz Europa) seine brandgefährliche Schwäche? Dem nicht erst 2021, sondern schon erheblich früher systematisch durchgesetzten Traum von der „Energiewende“. Mit den allbekannten Folgen. Nun ist sie halt zerstört, die energetische Sicherheit.

Das Energiedesaster war schon lange abzusehen

Da kommt der russische Angriffskrieg auf die Ukraine paradoxerweise wie gerufen. Denn das Energiedesaster war schon letztes Jahr abzusehen, bevor der erste russische Soldat zur „Spezialaktion“ aufbrach; daran zu erinnern wird aber in erstaunlicher medialer Einhelligkeit möglichst vermieden und vielmehr einträchtig betont, allein Putin habe die kommende Krise zu verschulden – und, Gipfel der Absurdität, nur der „Green Deal“ und die verstärkte Aufgabe der Kernenergie könnten Deutschland und die EU wirklich unabhängig von fremden Mächten machen… irgendwie.

Es heißt, es sei ein Zeichen von Krankheit, einen Fehler beständig zu wiederholen, anstatt nach Alternative zu suchen. Klar ist aber, daß nicht nur die Berliner, sondern auch die Brüsseler Eliten sich schwer tun, aus Fehlern zu lernen, woran sicher die Besonderheiten des heutigen demokratischen Systems nicht unschuldig sind: Wer von Mandat zu Mandat im politischen „Betrieb“ überleben will und zudem mit einem Wahlvolk zu tun hat, das durch Erziehung, Medien, Familienzerfall und berufliches Prekariat unfähig gemacht wird, in Dimensionen von mehreren Generationen zu rechnen, der wird wohl nur selten Entscheidungen treffen, die zwar langfristig segensbringend sind, aber kurz- bis mittelfristig empfindliche Einbußen implizieren.

In der Wirtschaft ist das leider nicht anders – auch hier ist die Zeit lange vorbei, als Betriebschefs nach Buddenbrook’scher Manier ihre Strategie auf den Wohlstand der kommenden Generation hin auslegten: Es gilt vielmehr, die Aktionäre im Hier und Jetzt zufriedenzustellen, da sie ansonsten dorthin „abwandern“ könnten, wo es bessere Renditen gibt. Die Folge? Man veräußert lieber Tafelsilber und Arbeitsinstrumente, um „Aufschwung“ zu simulieren, als mögliche Frustrationen in Kauf zu nehmen – bis es irgendwann kracht.

Systematische Deindustrialisierung Europas

Aus dieser Perspektive ist die russische Abhängigkeit nur die Spitze des Eisbergs, denn das eigentliche Problem heißt China.

Hier geht es nicht nur um die Selbstabschaffung der eigenen Energiezufuhr, sondern, schlimmer noch, die systematische Deindustrialisierung des Kontinents sowie die Verhökerung all unseren Wissens. Bis heute – der Kanzlerbesuch in Peking macht dies überdeutlich – wird dieser Prozeß zwar unter beschönigenden Worten wie „Win-Win“ oder „Wandel durch Handel“ rubriziert; faktisch handelt es sich aber um nichts anderes als um jenen langsamen Ausverkauf der Grundbedingungen unseres Wohlstands; eine Sachlage, die allerdings leider erst seit einigen Jahren auch einer breiteren Öffentlichkeit klar geworden ist – endlich, aber wahrscheinlich zu spät.

Denn anstelle jener seit Jahrzehnten in liberalen Kreisen beschworenen „bürgerlich-demokratischen“ Revolutionierung Chinas durch die neue Mittelklasse sehen wir vielmehr einen hocheffizienten, bürokratisch-autoritären Staatskapitalismus, der China in Rekordzeit zum Anwärter auf die globale Hegemonie hat werden lassen und, wie wohl zu befürchten ist, von weiten Teilen der Gesellschaft mit mehr oder weniger Zustimmung mitgetragen wird, da nicht nur jede glaubwürdige Alternative im Keim zertreten wurde, sondern der Aufschwung tatsächlich auch weite Kreise erreicht hat.

Ganz im Gegensatz zu dem (gelungenen) Versuch, durch wirtschaftlich-militärischen Wettbewerb die Sowjetunion an den Rand ihrer Kapazitäten zu bringen, ist es mittlerweile vielmehr der Westen, der das Spiel durch Unterschätzung Chinas überreizt hat: „Wandel durch Handel“ – das ist mittlerweile ein durchaus zweischneidiges Schwert, wie der zunehmende Aufkauf europäischer strategischer Einrichtungen durch China beweist – man denke hier nur an das in seiner Dummheit fast epische Projekt der Veräußerung des Hamburger Hafens an ein chinesisches Unternehmen.

Auf eigene kulturelle Identität besinnen

Was bleibt zu tun? Es ist 5 vor 12, doch scheint es, als fiele unseren Politikern höchstens noch ein, die Abhängigkeit von Rußland und China mit der von Saudi Arabien oder Qatar auszugleichen – eine ziemlich zweifelhafte Strategie. Dabei wäre die Antwort doch so simpel: Eine hesperialistische, an den langfristigen Interessen der abendländischen Zivilisation und ihrer kulturellen Identität ausgerichtete strategische, wirtschaftliche und energetische Autonomiepolitik, welche auch kurzfristige Einschränkungen nicht scheut, um unseren Kindern ein Leben in selbstbestimmter politischer Freiheit zu gewähren – und nicht in einem nur durch diplomatische Unterwerfung konditionierten Wohlstand. Unabhängig und gleichberechtigt zwischen Rußland, China… und auch den USA.

Über den Autor:

Prof. Dr. David Engels hat Geschichte, Philosophie und Volkswirtschaft an der RWTH Aachen studiert. Er folgte 2008 dem Ruf an die Universität Brüssel, an der er zehn Jahre den Lehrstuhl für römische Geschichte innehatte. Seit 2018 lebt er in Polen und arbeitet am Instytut Zachodni in Posen, wo er verantwortlich ist für Fragen abendländischer Geistesgeschichte, europäischer Identität und polnisch-west-europäischer Beziehungen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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