Egon W. Kreutzer: Gewerkschaften – Dinosaurier aus der Dampfmaschinen-Ära

Die Zeit der Gewerkschaften ist abgelaufen. Sie haben die Anpassung an die bereits veränderte Arbeitswelt nicht geschafft und stehen den erst noch kommenden Herausforderungen hilflos gegenüber. Wer aber wird künftig noch die Interessen der Beschäftigten vertreten können?
Titelbild
Symbolbild - "Ohne Stahl ist alles doof" steht auf dem Helm eines Stahlarbeiters bei einer Demonstration für Lohnerhöhungen im Februar 2019.Foto: Bernd Thissen/dpa
Epoch Times10. Mai 2019

Von der Solidarisierung zur Solitärisierung. Ein Blick in die Glaskugel.

 Fraglos sind Gewerkschaften nach wie vor die einzige erkennbare Form des Zusammenschlusses von Arbeitnehmern zu Interessenvertretungen.

Fraglich ist, ob sie dem Anspruch, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten, wirklich noch nachkommen – wollen oder können.

Dies weiter auszuführen halte ich für überflüssig und im Grunde für hinderlich, wenn es gilt, Arbeitnehmerinteressen zu erkennen, zu beschreiben und den Versuch zu unternehmen, eine zeitgemäße Form ihrer Vertretung wenigstens ansatzweise zu beschreiben.

Dabei ist auch dieser Ansatz schon zu kurz gegriffen, denn es sind, zur Lösung des gesellschaftlichen Problems nicht nur die Interessen der Arbeitnehmer zu betrachten, sondern zudem die Interessen der arbeitsfähigen Arbeitswilligen und wenigstens die Interessen der Rentner.

Diese Interessen sind insgesamt die gleichen, nämlich, sicher zu sein, die eigenen Grundbedürfnisse nach einem Dach über dem Kopf, nach Nahrung, Bekleidung und medizinischer Versorgung lebenslang befriedigen zu können.

Diese Interessen vertritt der Staat für alle seine Bürger indem er, auf Kosten von Steuer- und Beitragszahlern, jedem einen Mindest-Lebensstandard zusichert. In Hartz-IV zu fallen ist zwar schmerzhaft, aber nicht tödlich.

Die Frage, ob es richtig ist, dass der Staat sich zum Lastenesel der  Solidargemeinschaft erklärt und der Wirtschaft die Last abnimmt, sich um die Bedürfnisse der Schwächsten zu kümmern, muss gestellt werden und wird in diesem Aufsatz später noch einigen Raum einnehmen.

Auch wenn es nicht die ganze, sondern eine auf die letzten 20 Jahre verkürzte Wahrheit ist: Es waren nicht die Gewerkschaften, die Hartz-IV erkämpft haben. Es waren die Gewerkschaften, die Hartz-IV abgenickt haben.

Man könnte das so interpretieren, dass sie froh waren, sich nicht auch noch um die Schwächsten kümmern zu müssen, sondern sich darauf konzentrieren können, für das Wohl der Beschäftigten unter ihren Mitgliedern sorgen zu dürfen.

Es ist allerdings nicht viel dabei herumgekommen. Lange Jahre mit Lohnsteigerungen, die eher keine waren. Viele gewerkschaftlich abgesegnete Lohnverzichtserklärungen von Belegschaften, die damit ihre Jobs sichern wollten. Und der DGB hat es sich gefallen lassen, dass Andrea Nahles den kleinen, aktiven und streikbereiten Gewerkschaften mit dem Tarifeinheitsgesetz einen Beißkorb verpasst hat. Der DGB sieht auch unter gebetsmühlenhaften Beklagenskundgebungen seelenruhig zu, wie ein Unternehmen nach dem anderen aus der Tarifbindung aussteigt, und versucht hilflos und ergebnislos unter anderem Amazon zum Abschluss eines Tarifvertrags zu zwingen. Der DGB und seine Branchengewerkschaft Ver.di haben aber nicht die Kraft, weil der Organisationsgrad bei Amazon zu niedrig ist, um dem Unternehmen mit den rituellen Streiks zur Hauptgeschenkeversandzeit mehr als nur marginalen Schaden zuzufügen. Jedenfalls sind die streikbedingten Zusatzkosten für Amazon deutlich niedriger als es die Kosten der Bindung an einen Tarifvertrag und dessen alljährliche Neuverhandlung wären.

Was wäre, wenn …?

Stellen wir uns – Gedankenexperiment! – vor, alle Gewerkschaften Deutschlands würden sich zum 31.12.2019 auflösen, ihr Vermögen liquidieren und den Erlös an ihre Mitglieder entsprechend der von diesen bis dahin gezahlten Beiträge ausschütten.

Da die Gewerkschaften nicht besonders reich sind, dürfte jedes der knapp 6 Millionen Mitglieder in den DGB-Gewerkschaften mit einem zusätzlichen Weihnachtsgeld in der Größenordnung von durchschnittlich 500 Euro rechnen können.

Von da an wären allerdings alle Arbeitnehmer und Arbeitgeber von lästigen Tarifverträgen befreit und könnten endlich ihre Löhne und Gehälter einzeln unter sich ausmachen. Wo es einen Betriebsrat gibt, könnte der sich noch in die Verhandlungen einmischen wollen, doch stellt sich die Frage, ob die Arbeitnehmer eine solche Einmischung überhaupt wünschen würden.

Wie würden sich Löhne und Gehälter, Arbeitszeiten, Urlaubsansprüche, etc. ohne Gewerkschaften wohl voraussichtlich entwickeln?

Zum Stichtag 1. Januar 2020 wäre in den allermeisten Unternehmen wohl noch keine nennenswerte Veränderung festzustellen. Außer, dass der eine oder andere Chef den einen oder anderen Mitarbeiter drastisch herabstufen würde, verbunden mit dem Hinweis, er könne ja jederzeit gehen, wenn es ihm nicht passt. Betroffen wären davon vor allem diejenigen, die sich durch ausgeprägte Minderleistung hervortun, die aber bisher mitgeschleppt wurden, weil sich das als das kleinere Übel im Vergleich zu den sonst drohenden Arbeitsgerichtsverfahren klar herausgestellt hatte.

Erst allmählich würde sich der Arbeitsmarkt wieder in einen Markt verwandeln,  bei dem sich Angebot und Nachfrage gegenüberstehen.

Das hat heftige Nachteile für die Arbeitgeber. Können sie sich bisher schlicht auf die im Tarifvertrag festgeschriebenen Eingruppierungsmerkmale berufen, um ihre Angestellten – die   Hände eifrig in Unschuld waschend – unter Wert zu bezahlen,  müssen sie sich nun selbst die Frage stellen, was ihnen die an jedem einzelnen Arbeitsplatz zu leistende Arbeit wirklich wert ist.

Grundsätzlich kann dabei eine erleichternde Unterscheidung getroffen werden,

in solche Arbeitsplätze, deren Besetzung oder Nichtbesetzung lediglich eine Auswirkung auf die verfügbare Kapazität, damit auf die Lieferbereitschaft, den Umsatz und letztlich auch – die Masse machts – auf den Gewinn hat, und in jene anderen Arbeitsplätze, die – vergleichbar Lokomotivführern oder Piloten – einen absoluten Engpass darstellen und für deren Besetzung geeignete Kandidaten rar sind und nur schwer gefunden werden können.

Nennen wir die einen die „Masse-Arbeitsplätze“, deren Zweck darin besteht, die Produkte in den benötigten Mengen zum Bedarfszeitpunkt bereitstellen zu können, und die anderen „Solitär-Arbeitsplätze“, deren Zweck darin besteht, das Unternehmen und seine Produkte marktgerecht zu gestalten, Innovationen hervorzubringen, sowie Risiken  und Chancen zu erkennen und damit optimal umzugehen.

Solitär-Arbeitsplätze – ohne Gewerkschaften

Wer eine solche Funktion innehat, wird von den Gewerkschaften nur jene gemeinsame Decke wahrnehmen, bzw. den Deckel, unter dem man sich im molligen Gemeinschaftsmief in der Opposition zum Arbeitgeber gegenseitig bestätigt und jeden beargwöhnt, der freiwillig mehr zu leisten bereit ist, als er glaubt, für seinen Lohn leisten zu müssen.

Der Solitär-Mitarbeiter strebt zuerst nach Erfolg. Ob als Entwickler, Konstrukteur, Marketingspezialist, Projektleiter oder Bilanzbuchhalter. Es geht darum, in der Erfüllung der Aufgabe ein Optimum zu erreichen. Dies lässt sich schon mit den gewerkschaftlichen Forderungen nach Begrenzung der Tages- und Wochenarbeitszeit nicht vereinbaren, weshalb der Solitär darauf pfeift, und sich maßlos ärgern kann, wenn sich andere beteiligte Mitarbeiter pünktlich um 17.00 Uhr verabschieden, anstatt noch eine Stunde dranzuhängen, um das zum Greifen nahe Ziel zu erreichen.

Mit dem Erfolg wachsen in der Regel die Aufgaben, die Verantwortung und die Kompetenz, kurz: Der Solitär macht Karriere und bewegt sich meist schon in jungen Jahren aus den tariflich festgelegten Gehaltsklassen heraus und bekommt vom Arbeitgeber freiwillig weit mehr als eine Gewerkschaft jemals willens wäre für ihn zu erstreiken. Denn der Aufsteiger entfernt sich vom Gedanken der Solidarität und macht sich damit automatisch zum Feind der Gewerkschaft, auch dann, wenn seine ihm direkt unterstellten, tarifgebundenen Mitarbeiter für ihn im wahrsten Sinne des Wortes durchs Feuer gehen würden. Im Gegenteil: Auch diese ziehen sich damit den Zorn der Gewerkschaftsfunktionäre zu.

Der Solitär wird von den Gewerkschaften nicht mehr der Belegschaft, sondern dem Arbeitgeber zugerechnet. Er selbst fühlt sich weniger als Arbeitgeber, sondern, weil er in seinem Bereich gelernt hat, unternehmerisch zu denken, als Unternehmer.

In Bezug auf die Inhaber dieser Arbeitsplätze war die Gewerkschaft schon immer überflüssig und letztlich nur in der Lage, dem Solitär durch die Einwirkung auf ihre Mitglieder das Leben und den Erfolg schwer zu machen. Die Auflösung der Gewerkschaften und damit das Verschwinden ihres als negativ empfundenen Einflusses würden einhellig begrüßt.

Wie sieht es heute bei den anderen Arbeitsplätzen aus?

Masse-Arbeitsplätze – ohne Gewerkschaften

Für die „Masse-Arbeitsplätze“ wird sich relativ schnell ein dem ehemaligen Tarifvertrag von der Struktur her gar nicht unähnliches Entlohnungsgerüst herauskristallisieren. Selbst wenn man die Mär vom Fachkräftemangel als irrelevant ansieht, werden sich dennoch die Löhne gar nicht kräftig nach unten bewegen können, denn schon heute zahlt kaum ein Arbeitgeber für kaum eine Arbeitsleistung mehr, als sie ihm wert ist.

Der Irrtum, der dazu verleitet, bei völlig freier Lohnvereinbarung würden die Arbeitgeber ihre Verhandlungsmacht einseitig ausnutzen, entsteht daher, dass wir im Allgemeinen immer nur die Beschäftigungsstatistik der Bundesrepublik insgesamt im Blick haben – nicht aber die kleinteiligen Bezirke und Regionen, in denen gerade für Bezieher niedriger Arbeitseinkommen der Lohn nur ein Faktor aus dem goldenen Dreieck von „Arbeitsweg“ – „Lebenshaltungskosten“ und eben dem erzielbaren „Netto-Einkommen“ darstellt.

Das heißt, Arbeitsplätze in den teuren Ballungsräumen zu besetzen, ist – wenn  man nicht auf die osteuropäische Brigade eines Subunternehmers eines Subunternehmers zugreifen kann – etwas teurer als die gleichen Arbeitsplätze irgendwo in der Prärie Mecklenburg-Vorpommerns zu besetzen. Der Haken dort: Die entsprechend qualifizierten Kräfte gibt es dort nicht, und wenn es sie gegeben haben sollte, sind sie inzwischen abgewandert.

Ich stelle daher die kühne Vermutung an, dass in Deutschland tätige Unternehmen – losgelöst von Sorglosigkeit versprechenden Tarifverträgen – wieder mehr Augenmerk auf eine kluge Personalpolitik legen werden, weil das richtige Personal am richtigen Ort wieder als ein Wettbewerbsvorteil erkannt wird, der lange vernachlässigt wurde.

Ich kann auch heute noch in Büros, Werkshallen oder auf Baustellen quasi im Vorübergehen erkennen, welche der Beschäftigten ihre Arbeit gut, gerne, gewissenhaft und in der angemessenen Zeit erledigen,  welche ihre Arbeit zwar gut und gewissenhaft machen wollen, aber die notwendigen persönlichen und fachlichen Voraussetzungen dafür nicht mitbringen, und für welche gilt, dass sie sich im sportlichen Wettbewerb darum befinden, wer es schaffen wird, am Monatsende für das Gehalt am wenigsten Leistung abgeliefert zu haben – und nach einem kurzen Gespräch mit den Betreffenden finde ich dafür in der Regel auch die Bestätigung.

Es gibt „tolle Belegschaften“ und es gibt „total versiffte Belegschaften“, manchmal nur in kleinen Betriebsteilen oder Abteilungen, manchmal handelt es sich um die Kultur eines ganzen Unternehmens.

Manager, die das nicht erkennen können, weil sie in Ehren betriebsblind geworden sind, gibt es zu Hauf, doch wird der in Bewegung kommende Arbeitsmarkt mehr und mehr dafür sorgen, dass auch sie wieder sehend werden, oder sich professionelle Hilfe ins Haus holen. Denn die wachen, aufmerksamen, chancenorientierten Manager und Unternehmer werden bald damit beginnen, den Markt leerzukaufen. Sie werden schnell erkennen, dass eine hochmotivierte, topqualifizierte Mannschaft, trotz vielleicht zehn Prozent höherer Personalkosten, die langfristige Garantie für den Unternehmensbestand und die absolute Höhe des Gewinns bietet. Auch dann, wenn auf das Unternehmen, bzw. auf die ganze Branche neue Herausforderungen zukommen.

Irgendwann wird es sich auch bis zu  den gewerkschaftsverwöhnten Beschäftigten (und Arbeitslosen) herumsprechen, dass nicht mehr Anwesenheit, sondern Leistung die Grundlage für die Entlohnung darstellt, und die ersten dieser „Umdenker“ werden dort ankommen, wo die Nachzügler der Unternehmer und Manager ihre Personalstruktur neu ordnen.

Ein Prozess, bei dem bundesweit ein erheblicher Anteil der Leistungsverweigerer den Job (oder auch nur das unangemessene Gehalt) verlieren wird, weil die Arbeitsplätze neu – und besser – besetzt werden. Der Sockel der Arbeitslosigkeit wird sich dabei kaum verändern.

Gewerkschaften haben in der Zeit der vollen Fabrikhallen auf Basis von Arbeitsplatzbeschreibungen dafür sorgen wollen, dass gleiche Arbeit auch gleich bezahlt wird. Aber die „gleiche Arbeit“ spielte dabei letztendlich gar keine Rolle, betrachtet wurden nur die gleichen Anforderungen.

Festzustellen, inwieweit die Anforderungen auch tatsächlich erfüllt werden, auf diesem Spielfeld bewegten sich die Gewerkschaften äußerst ungern, möglichst gar nicht. Dieses Risiko hat man den Arbeitgebern aufgebürdet, die es dementsprechend überproportional bei ihren Lohnzugeständnissen in Rechnung stellten, sehr wohl aber gleichzeitig darauf hinarbeiteten, in ihren, auf den Tarifverträgen aufbauenden Entlohnungsstrukturen, Leistungskriterien zu  berücksichtigen und mit freiwilligen Sonderzahlungen zu honorieren.

Mit dem Schwinden der „Masse-Arbeitsplätze“ und dem zunehmenden Auftauchen von Spezialisierungen, die im Tarifraster nicht mehr abgebildet werden können, kann die gewerkschaftliche Gleichmacherei auf Basis immer abstrakterer Anforderungsprofile den Frust der Belegschaften wegen vieler erkennbarer Fälle offensichtlicher Falschentlohnung nur steigern. So vollzog sich genau da, wo die Gewerkschaften einst ihre Kampfstärke gewonnen hatten, der gleichlaufende Prozess von schrumpfenden Mitgliederzahlen bei den Gewerkschaften und ebenso bei ihren Verhandlungspartnern, den Arbeitgebervereinigungen.

Die Gewerkschaften sind mit dem Einsetzen der Industrialisierung, ausgelöst durch die Erfindung der Dampfmaschine und den Bau von Eisenbahnen als notwendige Gegenmacht der Arbeitermassen auf Masse-Arbeitsplätzen zum Manchester-Kapitalismus zwangsläufig entstanden. Die ersten Arbeitervereine entstanden in Deutschland ab 1830.

Als Dieselmotoren und die Elektrifizierung die Dampfmaschinen ablösten, hat der Wandel der Antriebstechnologien keinen wesentlichen Wandel der Organisation der Arbeitsplätze der Massenproduktion mit sich gebracht und von daher der Rechtfertigung der Gewerkschaftsarbeit keinen Abbruch getan.

Doch die Ära, in die wir gerade eintreten, in der selbstfahrende Autos und immer universeller einsatzbare Roboter auf die Weltbühne treten, werden die Gewerkschaften nicht überleben und  allenfalls in folkloristisch anmutenden Ritualen, nicht aber als sozialpolitisch einflussreiche Kraft noch in Erscheinung treten.

Die Ursache liegt darin, dass die „Solitärisierung“ der ehemaligen Masse-Arbeitsplätze die für Gewerkschaften unabdingbare Solidarisierung der Belegschaften verhindert.  Es wird keine noch sinnvoll organisierbaren Belegschaften mehr geben. Die Anzahl der Unternehmen, in denen große Zahlen von Menschen an wirklich gleichartigen Arbeitsplätzen tätig sind, wird rapide abnehmen. Die einen werden diese Jobs durch Rationalisierung, Automatisierung und Digitalisierung selbst auflösen, die anderen werden ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren und untergehen.

Der Staat und die Gewerkschaften

In den 1960er, 70er und 80er Jahren entwickelte sich der Staat zu einer Art „Super-Gewerkschaft“ und sah seine sozialpolitische Aufgabe darin, die von den Gewerkschaften in einzelnen Tarifverträgen erkämpften Arbeitnehmerrechte in Gesetzesform zu gießen und sie damit einer Rückabwicklung durch die Tarifpartner zu entziehen.

Ab 2002, mit Schröders Agenda-Initiative und der Neuordnung des Arbeitsmarktes mit dem Ziel, einen gewaltigen Niedriglohnsektor zu schaffen, hat sich der Staat – mit Duldung der Gewerkschaften – nicht nur daran gemacht, die Ergebnisse von Jahrzehnten gewerkschaftlicher Arbeit zu schleifen, er hat eine für die Volkswirtschaft absolut kontraproduktive Entwicklung eingeleitet.

Die dem zugrunde liegende Überlegung, dass Rationalisierung und Automatisierung immer mehr Arbeitsplätze kosten werden, dass die damit zwangsläufig wachsende Zahl der Arbeitslosen von den Sozialsystemen, so wie sie gestaltet waren, nicht mehr verkraftet werden könnten, war vom Ansatz her richtig, zeitigte jedoch die vollkommen falschen Schlussfolgerungen, dass deshalb nämlich die aus dem Arbeitsleben verdrängten (fälschlich grundsätzlich als die Geringqualifizierten angenommen) mit nachdrücklicher Gewalt gezwungen werden müssten, auch schlecht bezahlte Arbeit anzunehmen, um den Druck von den Sozialsystemen zu nehmen und zugleich nicht nur die etablierte Wirtschaft, die Qualität „Made in Germany“ in alle Welt exportierte, vor steigenden „Lohnnebenkosten“ zu schützen, sondern in einem Niedriglohnsektor auch bei Schrott und Ramsch in Konkurrenz zu hauptsächlich in Asien angesiedelten Niedriglohn-Volkswirtschaften treten zu können.

Nicht nur, dass dieser Eingriff für Teile der Qualitäts-Wirtschaft nichts anderes bedeutete, als ein sanftes Ruhekissen, auf dem sich sogar „Stillstand“ wieder lohnte, weil die Gewinne ohne eigenes Zutun aufgrund des staatlichen Eingriffes in die Personalkosten stiegen, bzw. auf hohem Niveau blieben; die Vorstellung, in Deutschland ließe sich tatsächlich ein Niedriglohnsektor etablieren, in dem Geringqualifizierte billigen Schrott zu Weltmarktpreisen hervorbringen, oder sich als Ich-AGs irgendwie durchschlagen, ohne dem Staat auf der Tasche zu liegen, hat sich als  Fata Morgana entpuppt.

Zudem werden allmählich die im Grunde vorhersehbaren Folgen der Hartz-Gesetze auch in der Rentenversicherung bei den Neurentnern sichtbar und das Gespenst der drohenden Altersarmut weiter Bevölkerungsschichten verwandelt sich in düstere Realität. Die Tafeln und das Sammeln von Pfandflaschen sind die garstigen Auswüchse, vor denen niemand mehr die Augen verschließen kann. Und es wird noch weit schlimmer kommen.

Unter den Rentnern, die einsam und arm in ihren kleinen Wohnungen hocken ist eine Solidarisierung nicht zu erwarten, und selbst wenn es dazu käme, und eine Organisation entstünde, die ich hier einfach mal als „Rentnergewerkschaft“ bezeichne, hätten sie doch kein Druckmittel in der Hand. Streik? Wie? Gegen wen? Mit welchen Folgen für wen?

Natürlich könnten sie auf die Straßen gehen und nach den Fridays for Future Demos die Samstage in Beschlag nehmen.

Aber sie haben kein Thema.

Gegen Umweltzerstörung und Artensterben kann man demonstrieren.  Gegen Lebensabendzerstörung und Altensterben eher nicht. Das würde schnell als der Egoismus der Alten abgetan, die der Jugend die Zukunft rauben wollen.

Es hilft alles nichts: Der Staat wird das Rentensystem nicht immer weiter zugrunde reformieren können. Er muss es auf völlig neue Beine stellen.

Die gebetmühlenhaft vorgetragene Begründung für die mannigfachen Arten der Rentenkürzungen, dass die Alten immer mehr werden und die Jungen immer weniger, hat nämlich einen leicht zu übersehenden Makel:

Es werden ja nicht nur die Jungen weniger, unter den Jungen werden vor allem die gut, bzw. noch ausreichend verdienenden Beitragszahler immer weniger, was sich auf die Zuflüsse der Rentenkassen zusätzlich ganz erheblich auswirkt.

Betrachtet man die Problematik in einem volkswirtschaftlichen Gesamtrahmen, so lässt sich annehmen, dass sich unter der Bevölkerung stets ein Anteil von Kindern und Jugendlichen befindet, die noch nicht am Erwerbsleben teilnehmen können, sowie ein Anteil an Alten, die nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen können. Wie auch immer sich diese Anteile entwickeln, es ändert nichts daran, dass der produktiv im Erwerbsleben stehende Teil der Bevölkerung für deren Unterhalt aufkommen muss.

Die umlagefinanzierte Rente ist und bleibt dafür das einzig sinnvolle Instrument. Die Begründung schenke ich mir in diesem Kontext.

Auch die Aufsplittung der Beitragslast auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist grundsätzlich sinnvoll, zieht von den tatsächlichen volkswirtschaftlichen Erträgen jedoch nur die Bruttolöhne als Bemessungsgrundlage heran.

Im Sinne der gleichmäßigen Entwicklung des Wohlstands innerhalb einer Volkswirtschaft, die aus vielerlei Gründen, nicht zuletzt aus Gründen des Erhalts des sozialen Friedens wünschenswert ist, und Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft war, schlage ich ein etwas modifiziertes Modell vor:

Ausgangspunkt ist dabei die angemessene Rentenhöhe des Beziehers der sogenannten „Eckrente“, also jener Fantasiefigur, die 45 Jahre lang ununterbrochen zum jeweiligen Durchschnittslohn aller Beschäftigten gearbeitet und volle Beiträge gezahlt hat.

Zur Berechnung der angemessenen Rentenhöhe kann hier nur das letzte Netto-Einkommen unter Berücksichtigung der Steuerklasse III und der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge zu 100% herangezogen werden, wenn der Rentner seinen gewohnten Lebensstandard beibehalten können soll. Die bisher vorgenommenen Kürzungen wegen angeblich geringeren Bedarfs lassen sich nämlich von der Lebenssituation der Betroffenen her allenfalls zu einem ganz geringen Teil wirklich erklären. Sie sind nichts als die Reaktion auf die zum „Schutze“ der Wirtschaft zu niedrig angesetzen Beitragseinnahmen

Die von diesem Eckrentner angesammelten 45 Rentenpunkte haben folglich den Wert von je einem Fünfundvierzigstel der Eckrente. Alle realen Renten können weiterhin durch schlichte Multiplikation des Rentenwertes mit den gesammelten Beitragspunkten errechnet werden. Die der Rentenversicherung vorliegenden Daten können so mühelos zur Ermittlung des für die Auszahlung notwendigen Beitragsaufkommen verwendet werden.

Und hier kommt jetzt die zweite, wichtigere Korrektur

Während vom Lohn der Beschäftigten weiterhin der Arbeitnehmeranteil – bei Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze – in Höhe von etwa 10% des Bruttolohnes einbehalten wird, bemisst sich der Arbeitgeberanteil nicht an der Lohnsumme, sondern am Unternehmensgewinn, und zwar so, dass die Differenz zwischen dem erforderlichen gesamten Beitragsaufkommen und dem Aufkommen aus dem Arbeitnehmeranteil über einen für alle Arbeitgeber einheitlichen Beitragssatz mit der Bemessungsgrundlage des Gewinns vor Steuern aufgebracht wird.

Das entlastet jenen Teil der Unternehmen, die (zum Beispiel in der Gründungsphase) mit Ertragsproblemen zu kämpfen haben und belastet jene Unternehmen, deren Gewinnquellen kräftig sprudeln, was wiederum über zwangsläufig sinkende Gewinnausschüttungen auch die Bezieher von Kapitalerträgen indirekt an der Rentenfinanzierung beteiligt.

Sicherlich ist diese Umstellung mit einer Reihe von Problemen verbunden, die zumindest gleichzeitig gelöst werden müssen. Da ist zum Beispiel das Ärgernis, dass nicht alle Unternehmen, die in Deutschland Gewinne erzielen, diese auch in Deutschland ausweisen. Hier sind die Grundsätze der Rechnungslegung und der Bilanzierung so zu verändern, dass auf Deutschland entfallende Gewinnanteile realistisch ausgewiesen werden müssen.

Daneben gilt es, die Befreiung der Sozialversicherungspflicht für nicht abhängig Beschäftigte aufzuheben und die berufsständischen Versorgungswerke in die allgemeine gesetzliche Rentenversicherung zu integrieren.

Der Staat als solcher und alle öffentlichen Gebietskörperschaften, sowie alle nicht gewinnorientierten, gemeinnützigen Unternehmen müssen zur Aufbringung des Arbeitgeberbeitrages ebenfalls herangezogen werden. Hierzu könnte das sich aus der Wirtschaft ergebende Verhältnis von Arbeitgeberbeitrag zu Arbeitnehmerbeitrag als Faktor auf die Arbeitnehmerbeiträge angewendet werden.

Letztlich bleibt das Problem der nachträglichen Gewinnermittlung der Unternehmen. Hier schlage ich vor, dass die Rentenversicherung die laufenden Beiträge zunächst auf Basis der Bilanzgewinne der Vergangenheit schätzt und diese Vorauszahlungen bei Vorlage der jeweils jüngsten Bilanz bei der Ermittlung des tatsächlichen Forderungsbetrages in Anrechnung bringt.

Offen bleibt die Frage nach der Absicherung von Arbeitslosen und sozial Schwachen, deren Einkommen unterhalb des Existenzminimums bleiben, auch und obwohl sich der Anteil der Armutsrentner deutlich reduzieren wird.

Hier sehe ich ganz klar die Steuerzahler, also den Staat, in der Verantwortung für die Alimentierung von Menschen, die nicht in der Lage sind, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen, weil sie aufgrund ihrer persönlichen Situation dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen können. Es ist dies der klassische Fall für die „Sozialhilfe“, die dann auch eventuell „aufstockenden Rentnern“ zustehen muss.

Arbeitsfähige und arbeitswillige Arbeitslose werden verpflichtet, sich mit Beginn der ersten Arbeitsaufnahme im Berufsleben bei einer Versicherungsgesellschaft ihrer Wahl gegen das Risiko der Arbeitslosigkeit zu versichern. Die Mindestabsicherung wird gesetzlich festgelegt, darüber hinausgehende Leistungen können frei vereinbart werden.

Versicherungsmathematisch ein spannendes Thema, weil die niedrigen Einkommen von Berufsanfängern mit dem höheren Risiko längerer Arbeitslosigkeit bis zum Renteneintritt und die höheren Einkommen älterer Arbeitnehmer mit der kürzer werdenden Zeit bis zum Renteneintritt zu ausgesprochen interessanten Tarifgestaltungen führen können.

Selbst die Einführung von Risikoklassen, wie bei der Kfz-Haftpflichtversicherung, hier eben nach Region und Branche, sind denkbar und könnten, soweit die nötige Transparenz hergestellt wird, u.U. sogar einen gewissen positiven Lenkungseffekt bei der Berufswahl zur Folge haben.

Die Bundesagentur für Arbeit, die Job Center und Argen könnten damit aufgelöst werden, die diskriminierende Überwachung der Arbeitslosen und die Verhängung von Restriktionen durch  die Fallmanager würden ebenso entfallen, wie der Zwang, die zu große Wohnung zu wechseln oder eventuell vorhandenes Vermögen anzugeben und auf bis auf einen schäbigen Rest aufzuzehren.

Da das Interesse der Versicherungswirtschaft, ihre „Schadensquote“ gering zu halten, sehr viel größer ist, als das Interesse eines Fallmanagers, Arbeitslose in Arbeit zu bringen, kann sogar erwartet werden, dass die durchschnittlichen Dauern der Arbeitslosigkeit sinken werden.

Zusammenfassung

Die Existenzberechtigung von Gewerkschaften neigt sich dem Ende zu. Wo immer weniger „Masse-Arbeitsplätze“ eine gemeinsame, solidarische Verhandlungsmacht erfordern, während der Anteil der „Solitär-Arbeitsplätze“ auch in den mittleren und unteren Einkommensschichten zunimmt, gibt es für die Gewerkschaften kein vernünftig begründbares Verhandlungsmandat mehr.

Stattdessen werden die Arbeitgeber den Arbeitsmarkt neu entdecken und die eigene Personalpolitik zum strategischen Instrument der Unternehmensführung dahingehend ausbauen, dass der Wettbewerb um die optimal leistungsfähigen Mannschaften wieder einen hohen Stellenwert bekommt, was mit einem allgemeinen Anstieg des Lohn- und Gehaltsniveaus einhergehen wird, welcher – Treppenwitz der Geschichte – von den Gewerkschaften bisher aus „Gleichbehandlungsgründen“ verhindert wurde.

Die Aufgabe, auch den Lebensabend der Rentner finanziell abzusichern, wurde von den Gewerkschaften bisher nicht wahrgenommen. Der Staat hat mit der paritätischen Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern die Arbeitgeber entlastet und Finanzierungsdefizite in Rentenkürzungen umgewandelt. Ein neues Beitragskonzept, das den AG-Beitrag nicht an der Lohnsumme, sondern am Unternehmensgewinn bemisst, kann hier Abhilfe schaffen.

Mit der Überführung der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung in eine private Pflichtversicherung, analog zur Kfz-Haftpflicht, lassen sich viele soziale Probleme, die mit den Hartz-Gesetzen geschaffen wurden, entschärfen und das Verhältnis der Bürger zu ihrem Staat wieder auf eine vertrauensvollere Basis gestellt werden.

Zuerst veröffentlicht auf EGON-W-KREUTZER.DE

Egon W. Kreutzer ist Unternehmensberater und Autor

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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