Antisemitismus: Nostalgie als Betäubungsmittel – Verdrängen als Schutzmechanismus geht immer

Wie das Schwelgen in der Vergangenheit barrierefreies Denken behindern kann. Ein persönlicher Bericht und eine irritierende Erfahrung.
Titelbild
Was so romantisch ausschaut, wie hier der Almabtrieb im Oktober 2014 in Schönau am Königssee, das gehört immer noch zu den Grundlagen bäuerlichen Lebens.Foto: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Image
Von 30. September 2019

Er tut es zwar nicht wirklich, aber als Symbolfigur für Realitätsverweigerung hält er sich seit dem Altertum – der Vogel Strauß, der angeblich seinen Kopf in den Sand steckt, wenn er mit einer Gefahr konfrontiert wird. Dass dieser Fake nicht aus der Welt zu schaffen ist, erklärt die Psychologie der Abkehr.

Verdrängen als Schutzmechanismus geht immer. Heute, in der Zeit des gesellschaftlich-kulturellen Identitätsabbaus unter den nachwachsenden Generationen ist dies aktueller denn je.

Die Flucht in die Vergangenheit ist ein Placebo

Die sich unangenehm verändernde Wirklichkeit, durch angebliche „Buntheit“ schön geredet, aber nicht wirklich verschönert, will durch Angenehmes kompensiert sein. Die Medien leisten dabei gute Dienste, indem sie eine Wirklichkeit aus der Tradition herauskramen, die den Sterbevorgang übertünchen und so die Konsumenten in den beglückenden Rausch der Erinnerung versetzen sollen.

Nicht zu übersehen ist dabei die Zunahme an Folkloristischem, Traditions- und Heimatbeladenem in den öffentlich-rechtlichen Medien, deutlich wahrnehmbar beim Bayerischen Rundfunk. Der digitale Sender BR Heimat etwa volkstümelt ganztägig den Hörer voll mit traditioneller Volksmusik, mit dem Gebrauch des bayerischen Dialekts bei den Sprechern, mit Kachelofenromantik, der Darbietung von heimatlichen Rezepten aus der Küche, mit Berichten von Bergsteiger-Aktivitäten, allesamt Erinnerungen an Uromas Zeiten.

Jüngst gab es eine sogar im ARD fast zweistündige Komplettübertragung des Umzugs am Oktoberfest in München, gespickt mit Rössern, Dirndln (traditioneller Bekleidung von Frauen), „feschen Madln“ (adrette Mädchen/Frauen) und humba-humba Blasmusik, Blasmusik, Blasmusik.

Die BR Heimat-Sendung “Habe die Ehre” (eine eher altväterliche Grußformel) mit der Brauchtum-Expertin D. Steinbacher, redet vom “Erntedankfest” und vom Segnen der “Feldfrüchte”, die Fachfrau spricht von “ Almabtrieben und Viehscheiden mit prächtig geschmückten Rindern.” Einige weitere Titel: “Krustenbraten mit Krautsalat und Radi-Gemüse” – “Hirsch & Reh auf alten Urkunden” – “Treffpunkt Volksmusik- Huraxdax! Aus Kindern werden Musikanten“.

Vergangenheit blickt in die Gegenwart

Der Blick zurück in die Vergangenheit war auch Anlass eines Symposions in Eichstätt: „Das jüdische DP-Camp Eichstätt” (Displaced Persons), vom 22. – 24. Sept., organisiert vom Zentrum Flucht und Migration der hiesigen Universität. Beleuchteter historischer Hintergrund waren die nach dem Zweiten Weltkrieg von dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNRRA in Eichstätt eingerichteten Camps für Juden.

Die Ausstellung mit künstlerischen Beiträgen und die geschichtswissenschaftlichen Vorträge erfuhren eine besondere Attraktivität durch die Anwesenheit von Zeitzeugen, die „von den Lebensgeschichten und den Migrationswegen der Menschen in den DP-Camps” berichteten.

Den Abschluss bildete eine Podiums-Diskussion, eingeleitet mit kleinen Referaten der jüdischen Teilnehmer. Die anwesenden Zuhörer hatten anschließend Gelegenheit, Fragen zu stellen.

Vorab sei es gesagt: Alle Zeitzeugen haben sich lobend über ihre Erfahrungen in Eichstätt geäußert, wenngleich auch eine Teilnehmerin zugab, erst nach langem Überlegen der Einladung gefolgt zu sein. Man darf nicht vergessen: Die Unterbringung in den Camps in Eichstätt waren das Ende schrecklicher Fluchterfahrungen (meist ihrer Eltern), bis Sibirien und zurück, allesamt unter dem Damokles-Schwert des Todes. Dass Dankbarkeit für die Aufnahme in Eichstätt den Grundtenor der Äußerungen bildete, lässt sich leicht nachvollziehen.

Die falsche Frage – das Haar in der Suppe – und die richtige Antwort

Gegen Ende der Podiumsdiskussion meldete ich mich zu Wort. Ich bat die Tochter einer Zeitzeugin, die ebenfalls anwesend war, um eine Bewertung der gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Situation in Deutschland.

Wie sehe sie, vor dem Hintergrund der Erfahrungen ihrer Mutter, stellvertretend für viele Juden, die Tatsache, dass es in Deutschland ein nicht zu leugnendes Aufleben von Antisemitismus gibt?

Zunächst schien der Saal das Atmen eingestellt zu haben. Die junge Frau äußerte sich diplomatisch, dennoch unzweideutig. Sie habe geglaubt, dass Antisemitismus angesichts des stets bekundeten “Nie wieder!” in Deutschland keine Chance mehr habe. Offenbar seien aber Zweifel nicht von der Hand zu weisen.

Es folgten vorsichtige, klare Worte über die Einwanderung im Zusammenhang mit Antisemitismus. Zu Wort kamen auch die wahrnehmbare Haltung zu und Kritik an Israel sowie das Konfliktpotential des Antisemitismus in der arabischen Welt.

Die gute Stimmung hatte ich wohl zerstört. Die Spannung im Raum hielt an.
Ein anderer jüdischer Teilnehmer auf der Bühne, ein ehemaliger IDF-Offizier, brachte Erleichterung. Er betonte, dass er eigentlich nicht die wunderbare Stimmung durch eine politische Diskussion zerstört sehen wolle.

Es folgte ein kurzer Applaus einiger Teilnehmer aus dem Publikum.

Die junge Frau und ihre Mutter sprachen mich am Ende der Veranstaltung an. Sie meinten, meine Frage sei die wichtigste gewesen.

 

Über den Autor: Der Autor Josef Hueber ist pensionierter Deutsch- und Englisch-Studiendirektor aus Eichstätt.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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