Panikmache als Geschäftsmodell

Die Wahrnehmung von Risiken entspricht nicht den Tatsachen. Weil die Analysemethoden immer feiner werden, kommen überall neue Schadstoffe ans Tageslicht – die jedoch schon immer da waren. Mancher baut sich daraus ein Geschäftsmodell. Ein Kommentar von Prof. Walter Krämer.
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Nach irdischen Gesetzen müsste die Herstellung von Himbeeren verboten werden!Foto: iStock
Von 13. November 2022

Das weiß jeder: Menschen in Angst und Panik lassen sich leicht in jede gewünschte Richtung lenken. Und das wird natürlich auch politisch weidlich ausgenutzt. Speziell wir Deutsche sind dabei Weltmeister im Produzieren kontraproduktiver Angst.

Wir bewältigen anders als viele andere Gefahren äußerst ineffizient, wir verdauen Risiken nur sehr selektiv, und wir stellen uns beim Umgang mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten ziemlich dämlich an.

Wer weiß, wie Risiko funktioniert, kann lenken

Diese oft dramatischen Unterschiede zwischen echtem und gefühlten Risiko hängen ab von der Art des Risikos. Ein Faktor ist, ob wir einer Gefahr hilflos ausgeliefert sind oder selbst noch Einfluss auf den Gang der Dinge nehmen können. Deshalb haben viele Angst vor dem Fliegen, nicht aber vor dem Autofahren.

Wichtig ist, ob wir die Mechanik einer Gefahr verstehen oder nicht. Deshalb haben die meisten Menschen viel mehr Angst vor Krebs als vor Herz-Kreislaufkrankheiten, obwohl letztere das Doppelte an Todesfällen verursachen. Dann spielt es eine Rolle, ob wir eine Gefahr aus eigener Erfahrung oder nur vom Hörensagen kennen. Zum Beispiel reagiert das Gehirn von Menschen, die schon einmal von einem Hund gebissen worden sind, auf herannahende Hunde ganz anders als bei Menschen, die noch nicht gebissen worden sind.

Ganz zentral ist schließlich, ob wir ein Risiko freiwillig oder unfreiwillig auf uns nehmen. Freiwillige Risiken werden im Allgemeinen nicht nur lieber übernommen, sondern auch um einen Faktor bis zu Tausend unterschätzt. Wäre etwa das Telefonieren mit Funktelefonen von den Arbeitgebern vorgeschrieben, dann wären diese Dinger längst verboten worden. Es gibt durchaus ernstzunehmende Studien, dass Handystrahlung zu Gehirntumoren führt. Aber wo bleibt hier der Aufschrei in den Medien, wo bleibt die sonst schon bei kleinsten Krebsrisiken einsetzende öffentliche Reaktion?

Ist das Risiko natürlich oder künstlich?

Es bleibt schließlich noch eine letzte Dimension, die unsere Risikowahrnehmung enorm verzerrt. Das ist zugleich mit Abstand die wichtigste: ob ein Risiko natürlich, also quasi gottgegeben, oder künstlich, also ein Werk von Menschen ist.

Natürliche Risiken werden nicht nur eher akzeptiert, sondern so wie freiwillige Risiken ebenfalls gewaltig unterschätzt. Deswegen geraten viele Menschen in Panik, wenn ein Castor an ihrem Dorf vorüberfährt, fliegen aber ohne zu Murren mehrmals jährlich nach New York und kriegen dabei über die natürliche Höhenstrahlung eine mehr als tausendfach höhere Strahlendosis ab, als jemals in der Nähe eines Castors gemessen worden ist.

Es ist ein Geschäftsmodell: Erzeuge Panik, und die Leute machen ihr Kreuz da wo du willst. Mein Lieblingsbeispiel sind die 24.000 Fukushima Toten aus der Tagesschau. In Fukushima ist bisher erst ein Mensch gestorben, der ist beim Reparieren eines Dampfrohrs von der Leiter gefallen. Die 24.000 Toten gab es durch einen Tsunami; der hat mit Kernkraft nichts zu tun.

Ebenfalls politisch ausnutzbar: die rot-grüne Begeisterung für Bioprodukte aller Art. Hier der Unterschied natürlich-künstlich für die Fehleinschätzung von Risiken: Nach einer vielzitierten Studie sind 99,99 Prozent aller Schadstoffe und Gifte in unserer Nahrung von Natur aus drin. Und 0,01 Prozent werden durch die Landwirtschaft oder den Lebensmittelhandel nachträglich hinzugefügt. Aber diese 0,01 Prozent reklamieren 100 Prozent der Medienaufmerksamkeit.

Himbeeren

Angenommen, Sie sind Mutter Natur und beantragen beim Lieben Gott eine Lizenz zur Produktion von Himbeeren. Dann läßt der Liebe Gott sich eine Liste der Inhaltsstoffe vorlegen:

34 verschiedene giftige Aldehyde und Ketone (Aldehyde: dehydrierte Alkohole, Formaldehyd; Aceton = Lösungsmittel).
32 verschiedene Alkohole
20 verschiedenen Ester
14 verschiedenen Säuren
3 Kohlenwasserstoffe
7 weitere giftige Verbindungen (Cumarin, verursacht Leberschäden).

Nach irdischen Gesetzen müsste die Herstellung von Himbeeren verboten werden!

Als Endresultat dieser Medienmechanik ist quer durch alle Kulturen eine mehr oder weniger große Überschätzung künstlicher Risiken zu beobachten. In der Fachliteratur heißt das auch „synthetische Risikoverzerrung“. Sobald irgendwas einen chemischen Namen hat, ist es automatisch gefährlich.

Kennen Sie Dihydrogen-Monoxid, kurz DHMO? Das ist eine farblose und geruchlose Chemikalie, manchmal auch bezeichnet als Hydrogen Hydroxid, Hydronium Hydroxid oder einfach Hydritsäure. Seine Basis ist das instabile Radikal Hydroxid, eine Komponente, die in vielen ätzenden, explosiven oder giftigen Stoffen vorkommt, wie z. B. Schwefelsäure, Nitroglizerin und Ethyl-Alkohol. DHMO ist ein wesentlicher Bestandteil von vielen Giftstoffen, Krankheiten oder krankmachenden Stoffen, Umweltkatastrophen und kann sogar in kleinsten Mengen für Menschen gefährlich werden.

Dihydrogen-Monoxid, chemisch korrekt auch H2O, ist aber nichts anderes als Wasser. Es gibt immer wieder Spaßvögel, die Verbotsformulare rumgehen lassen. Und auch haufenweise Unterschriften kriegen. Im Parlament von Neuseeland hat tatsächlich einmal ein grüner Abgeordneter das Verbot von Dihydrogen-Monoxid verlangt.

Der Zuckerwürfel im Starnberger See

Ein beliebter Verstärker dieser Panikmechanik ist das Ignorieren der Dosis und Absenken von Grenzwerten auf idiotische Minimalwerte. Denn Gifte, wenn auch in minimalen Dosen, gibt es in uns und um uns mehr als genug. Und peu a peu werden wir sie auch alle finden!

Denn die Analysemethoden werden immer feiner. Die übliche Maßeinheit ist hierzulande ein Milligramm pro Kilogramm (ppm). Das war der Standard noch vor 30 Jahren: ein Milligramm Pflanzenschutzmittel pro Kilo Schweinfleisch konnte nachgewiesen werden, was darunter lag, war nicht vorhanden. In den 80er Jahren konnten Schadstoffkonzentrationen von eins zu einer Milliarde nachgewiesen werden, und heute sind wir bei eins zu einer Trillion angekommen. Zur Illustration, was das bedeutet: Ein Zuckerwürfel, aufgelöst im Starnberger See, wäre heute ohne jeden Zweifel analytisch nachzuweisen.

Und deshalb, weil die Analysen immer feiner werden – nicht nur, weil wirklich alles immer mehr vergiftet würde – kommen heute an allen Ecken und Enden neue Schadstoffe ans Tageslicht.

Geschäftsmodell Ökotest

Das ist das Geschäftsmodell von Zeitschriften wie Ökotest: Ich habe mal einen kompletten Jahrgang von Ökotest daraufhin untersucht, ob bei diesen Panikmeldungen auch die Menge angegeben wird. Bei über der Hälfte der Fälle ist das nicht der Fall. Da heißt es nur: Ätsch, ich habe was gefunden. Aber das ist keine Meldung, das ist trivial. Genauso wie jeder Stoff über einer gewissen Dosis giftig ist, ist er unter einer anderen Dosis ungiftig.

Oft laufen wir so vor einem kleinen Risiko weg, und dafür einem viel größeren willig in die Arme. Nehmen wir etwa den  berühmten Schlecker Babykost-Skandal. Deutsche Babykost darf keinerlei Pestizide enthalten. Dann wurden aber trotzdem Pestizide nachgewiesen – wie denn auch sonst – die Mütter gehen auf den Markt und machen den Babybrei selbst, nicht wissend, dass deutsches Marktgemüse eine bis zu 200 mal höhere Schadstoffkonzentration aufweist und aufweisen darf, als jemals in den am schlimmsten „verseuchten“ Schleckerprodukten nachgewiesen wurde.

Oder nehmen wir Asbest und DDT. Nach Modellrechnungen amerikanischer Kollegen sind durch die Asbestsanierung amerikanischer Schulen mehr Schüler ums Leben gekommen als jemals durch Asbest gestorben wären. Sie wurden nämlich auf den längeren Schulwegen oder in der zusätzlichen Freizeit ermordet oder von einem Auto überfahren.

Dito DDT. Ich zitiere den Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, den Biologen Hubert Markl: „Die Nebenwirkungen des DDT-Verbots haben weit mehr Menschen das Leben gekostet als die DDT-Nebenwirkungen“. Nach dem Verbot von DDT hat in vielen Ländern Asiens die Malaria wieder gewaltig zugenommen. Aber das scheint die Anti-DDT-Lobby nicht zu bekümmern.

Korrelation versus Kausalität

Viele Fehlalarme entstehen auch durch das Verwechseln von Korrelation und Kausalität oder das Übersehen weiterer erklärender Variabler.

So hat man in manchen Krebsstudien vergessen zu fragen, ob die Leute auch rauchen. Dieses Übersehen von Alternativerklärungen gilt selbst für eine der unbestrittenen Erfolgsgeschichten der modernen Medizinstatistik, die Entdeckung, dass Rauchen Lungenkrebs erzeugt. Aber wussten Sie, dass Raucher auch weitaus häufiger als Nichtraucher ermordet oder vom Bus überfahren werden?

Und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem sie rauchen: Weil sie risikofreudigere Menschen sind. Es gibt in der Psychologie die sogenannte „Raucherpersönlichkeit“. Die würde auch dann ein bis zwei Jahre früher sterben als ein Nichtraucher, wenn sie nie im Leben auch nur eine Zigarette raucht. Mit anderen Worten, die acht bis zehn Jahre kürzere Lebenserwartung der Raucher kann man nicht komplett dem Rauchen in die Schuhe schieben.

Damit zur Gesamtmoral

Und die lautet: Wir regen uns über die falschen Dinge auf. Und das wird zur Durchsetzung einer bestimmten Wirtschafts- Gesundheits- und Energiepolitik ausgenutzt.

Die meisten der hierzulande von interessierten Kreisen zelebrierten Mini- und Midi-Gefahren wären unseren Vorfahren wie Verheißungen erschienen, und dass wir uns heute damit so intensiv beschäftigen, ist ein Luxus, den wir uns als reiche Europäer nur deshalb leisten können, weil wir uns um sauberes Trinkwasser, genug zu Essen und eine trockene Wohnung nicht mehr kümmern müssen.

Zum Autor

Walter Krämer, geboren 1948, ist emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialstatistik an der Universität Dortmund. Er ist Autor vieler Bestseller, darunter das „Lexikon der populären Irrtümer“, „Lexikon der schönen Wörter: von anschmiegen bis zeitvergessen“ (2020) und „So lügt Statistik“ (2015). Aktuell ist er Mitglied des Wissenschaftsrats der Universitätsallianz Metropole Ruhr sowie Vorsitzender des „Vereins Deutsche Sprache e.V.“.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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