Vera Lengsfeld: Mauerfall in Berlin – Zufall oder Planung?

Anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls häufen sich die Uminterpretationen dieses weltgeschichtlichen Ereignisses. Den interessantesten Beitrag, den ich dazu kenne, lieferte Michael Wolski.
Titelbild
Nach dem 9. November 1989 wurde an vielen Stellen gleichzetig die Mauer durchbrochen.Foto: Gerard Malie/AFP/Getty Images
Von 16. November 2019

Je weiter weg in der Geschichte sich die Friedliche Revolution befindet, desto unwahrscheinlicher erscheint dieser spontane Massenaufbruch. Deshalb gibt es immer mehr Versuche, das geheime Drehbuch für die Geschehnisse zu finden.

Den interessantesten Beitrag , den ich dazu kenne, lieferte Michael Wolski. Wolski, der in der DDR Außenhandel studiert hatte und am Ende der DDR zum Bereich Kommerzielle Koordinierung des Alexander Schalck-Golodkowski gehörte, ist sicherlich bestes informiert, was die wirtschaftliche Stärke, bzw. Schwäche des SED-Regimes angeht.

Als Vertreter und Repräsentanz-Leiter eines US-Konzerns erlebt er die wirtschaftliche Transformation und den Vereinigungsprozess mit. Dann wurde er nach Moskau versetzt, wo er das Ende der Sowjetunion ebenso hautnah erlebte.

Wolski betont, dass er aus eigenem Erleben auf die Frage stieß, ob der Mauerfall wirklich ein unvorhersehbarer Zufall war, oder aber sich nach einem geheimen Drehbuch abgespielt hat.

Er trug eine Fülle von Fakten zusammen, die seine These stützen, Gorbatschow hätte den Mauerfall und die Vereinigung der beiden deutschen Teilstaaten in Auftrag gegeben, um Ballast, d.h. die unbezahlbar gewordenen sozialistischen Satellitenstaaten abzuwerfen, und um die Sowjetunion zu retten. Wenn das die Absicht gewesen ist, ging der Plan gewaltig schief.

Am Schluss wurde nicht nur der Ballast abgeworfen, sondern auch die Sowjetunion demontiert. Letzteres scheint auf keinen Fall im Interesse Gorbatschows gelegen zu haben, was die Versuche, das Unabhängigwerden von Georgien und Litauen mit Waffengewalt zu verhindern, beweisen.

Interessant ist die Lektüre von Wolskis Büchlein allemal, selbst wenn man seine These nicht teilt. Er erinnert an eine Vielzahl historischer Details, die fast in Vergessenheit geraten sind.

Am lehrreichsten ist sein Exkurs in die Geschichte des Hitler-Stalin Pakts mit seinen erst durch Boris Jelzin bekannt gemachten Geheimprotokollen. Der Pakt beinhaltetet weniger den gegenseitigen Beistand, sondern diente vor allem der Aufteilung Europas durch die beiden totalitären Systeme.

Diese Tatsache ist bis heute gänzlich unterbelichtet, obwohl diese Aufteilung fortwirkt. Ostpolen ist heute die Westukraine, die Vertreibung der Ostpolen, die Abschiebung von in Ostpolen lebenden Juden in Hitlers Reich ist ein weitgehend unbekannt gebliebenes Kapitel europäischer Geschichte, obwohl es die Voraussetzung ist, den gegenwärtigen Ukraine-Konflikt zu verstehen.

In seinem Buch geht Wolski ausführlich auf die Jahre 1939 (sowjetisch-deutscher Grenz- und Freundschaftsvertrag), SBZ, 17. Juni 1953, Mauerbau 1961 ein und analysiert die politischen und wirtschaftlichen Gründe für den Ideologiewechsel mit Gorbatschows Machtantritt 1985.

Der Autor betont, dass von ihm erstmals in der Literatur zum Jahr 1989 die Gleichzeitigkeit von Aktivitäten in Vorbereitung und Durchführung des Mauerfalls mit der parallel erfolgten Ungültigkeitserklärung der beiden deutsch-sowjetischen Verträge von 1939 aufgezeigt wird.

Nach 49 Jahren der Leugnung der Existenz von Geheimprotokollen, darunter auch die „Beschreibung des Verlaufs der Staatsgrenze der UdSSR und der Staats- und Interessengrenze Deutschlands“, wurden diese Verträge nebst Geheimprotokollen von der sowjetischen Führung 1989 zur Diskussion freigegeben und sechs Wochen nach dem friedlichen Mauerfall am 24.12.1989, ein Datum, das für geringstmögliche internationale Aufmerksamkeit sorgte, vom Volksdeputiertenkongress für „nichtig von Anfang an“ erklärt.

Anderenfalls hätte Deutschland später einmal territoriale Ansprüche auf Königsberg/Kaliningrad erheben können, denn die deutsch-sowjetische Staatsgrenze verlief zwischen der litauischen Sowjetrepublik und dem Königsberger Gebiet. Damit stand der deutschen Einheit nichts mehr im Wege.

Interessant ist auch die undurchsichtige Rolle des „Sonderbotschafters“ der Sowjetunion in der BRD, Semjonow. Wer war dieser Mann und wurde er wirklich zur Führung „vertraulicher Gespräche“ in Bezug auf die Maueröffnung installiert?

Wolski: „Wer aber sollte diese vertraulichen Gespräche beginnen und dann die Verhandlungen führen? Für diese Aufgabe gab es nur einen Kandidaten. Sein Name war untrennbar mit dem sowjetisch-deutschen Grenz- und Freundschaftsvertrag und der Sowjetisierung Litauens, Schlacht am Kursker Bogen, Potsdamer Konferenz, Sowjetischer Besatzungszone, Enteignung der Bauern in Ostdeutschland (Bodenreform), Gründung der DDR, Hochkommissar in Deutschland, Niederschlagung des Aufstandes vom 17. Juni 1953, Berlin-Memorandum Chruschtschows 1958 und Planung des Mauerbaus 1961 sowie Leitung der SALT-Verhandlungen verknüpft – es war Wladimir Semjonowitsch Semjonow.

Nach der Weisheit der Bibel (Hiob 1;21) „Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen“ konnte auch in dieser irdischen Angelegenheit nur die Herrin des Mauerbaus – die UdSSR – den Mauerfall herbeiführen.“

Deshalb wurde im Mai 1986 Wladimir Semjonow (von Ende 1978 bis Anfang 1986 Außerordentlicher und Bevollmächtigter sowjetischer Botschafter in Bonn) im Alter von 75 Jahren zum Berater Schewardnadses und Sonderbotschafter berufen – mit ständigem Wohnsitz in Köln, 40 Kilometer von Bonn entfernt, der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland.

Die deutsche Geschichtsschreibung (und damit Wikipedia) machen daraus: Er setzte sich in Köln als sowjetischer Pensionär zur Ruhe.

Immerhin hat man sich viel Mühe gegeben, diesen hoch belasteten Hardliner im Westen als Kunstkenner und Mäzen der ungeliebten russischen Avantgarde, deren Bilder im Stalinismus als „Machenschaften des Imperialismus“ galten, zu etablieren. Geholfen hat dabei auch seine vierzig Jahre jüngere, sehr attraktive Drittfrau.

Entweder haben Semjonows Geheimgespräche nie stattgefunden, oder sind gescheitert, denn der Mauerfall hat die Bundesregierung kalt erwischt.

Wenn es tatsächlich einen, wie Wolski annimmt, durch Gorbatschow und den KGB verdeckten Staatsstreich mit dem Ziel der Aufgabe der DDR, des Ostblocks gab, dann ist der Plan weit übers Zeil hinaus geschossen.

Denn dass es Gorbatschow um die Abschaffung des Sozialismus als Regierungsform ging, wie Wolski behauptet, ist eine allzu kühne These, die mit Gorbatschows Äußerungen in den 90er Jahren, nach dem Kollaps des Sozialismus müsste auch der Kapitalismus verschwinden, nicht in Übereinstimmung zu bringen ist.

www.1989mauerfall.berlin

Zuerst erschienen bei vera-lengsfeld.de

Die Autorin Vera Lengsfeld ist eine deutsche Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. 1983 wurde sie wegen der Mitarbeit in einer Bürgerrechtsbewegung aus der SED ausgeschlossen und mit einem Berufsverbot belegt. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Heute ist sie freischaffende Autorin in Berlin.  Blog: vera-lengsfeld.de

 

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