„Verführung“ – Einblicke aus Jane Austens letztem Roman

Jenseits des „Schutzpanzers einer Liebesgeschichte“: In Jane Austens letztem Roman, "Verführung", offenbart jeder Charakter eine spannende Weisheit, die auch über 200 Jahre später ihre Gültigkeit noch nicht verloren hat.
Jane Austens letzter Roman "Verführung"
Anne und Kapitän Wentworth sprechen trotz ihres eingebildeten Vaters und ihrer Schwester im Hintergrund. Illustration von C. E. Brock in „Verführung“, Ausgabe von 1909.Foto: Public Domain
Epoch Times14. März 2019

Jane Austens letzter Roman „Verführung“ wurde 1817 veröffentlicht, weniger als sechs Monate nach ihrem Tod. Austen schrieb das Buch, als sie etwa 40 Jahre alt war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie vorrangig über sehr junge Heldinnen geschrieben, aber in „Verführung“ ist es die Geschichte von Anne, einer unverheirateten 27-Jährigen, die vorerst nicht mehr an die große Liebe und das Glück glaubt.

Maureen Stiller, Ehrensekretärin der Jane Austen Society des Vereinigten Königreichs teilt mit, wie Austen einen ganz eigenen Humor verwendet, um verschiedene Eigenarten der Charaktere darzustellen. Jeder Charakter offenbart eine spannende Weisheit durch bestimmte Situationen auf, in denen er sich befindet. Hier kommen Weisheiten zutage, die für uns heute noch alle relevant sind, sogar 200 Jahre später.

Epoch Times: Erzählen Sie uns bitte von Jane Austens letzten Roman „Verführung“.

Maureen Stiller: Nun, in „Verführung“ ist unsere Heldin „Anne“, die mittlere Tochter des sehr eitlen und selbstsüchtigen Barons Sir Walter Elliot. Von dem heißt es, dass bis zu dem Zeitpunkt als seine gute Frau starb, sie ihn anständig behandelte und der einzige Vorwurf, den man ihr machen kann ist, dass sie diesen Mann überhaupt geheiratet hatte. Der Stil Jane Austens verdeutlicht in knappen Sätzen diese scheinbare Normalität der Menschen in ihrem Alltag. Aber in der Art und Weise wie sie schreibt, erfährt man sehr genau die wahren Zustände und Befindlichkeiten der Charaktere.

Jane Austens letzter Roman "Verführung"

Sir Walter Elliot, Annes eifriger und selbstsüchtiger Vater, bewundert sein eigenes Spiegelbild. Illustration von C. E. Brock in „Verführung“, Ausgabe von 1909. Foto: Public Domain

Sir Walter ist nun seit vielen Jahren Witwer. Er ist reich an Land und Titel, aber er hat enorme Schulden gemacht. Er hält Anne, seine mittlere Tochter, im Gegensatz zu seiner ältesten Tochter Elizabeth und seiner vor kurzen erst verheirateten jüngsten Tochter Mary mehr als zu kurz. Es scheint, als würde sie nie wirklich zur Familie dazugehören.

Ihren früheren Verlobten Captain Frederick Wentworth hat Anne verloren, weil sie die Verlobung auf Raten ihrer Freundin Lady Russell, die fast wie eine Mutter für sie war, auflösen sollte. Russell war besorgt, dass er Anne nicht richtig versorgen könne, weil er kein Geld besaß. Um an Geld zu kommen, kann er momentan nur während des Krieges Beute und Gefangene machen, die er als Sklaven dann verkaufen kann. So zieht er von dannen, um am Krieg teilzunehmen.

Acht Jahre später kehrt Captain Wentworth in Annes Stadt zurück, weil seine Schwester nun in der Gegend lebt. Und er hat sich fest vorgenommen, eine für ihn passende Frau zu finden. Er versucht alles, um jemanden anderes als Anne zu lieben. Versucht sich an die eine oder andere Schwägerin von Anne zu binden Durch verschiedene Ereignisse in der Geschichte wird ihm aber klar, dass er nur Anne liebt und eigentlich nur sie zur Frau begehrt.

Jane Austens letzter Roman "Verführung"

Kapitän Wentworth, Anne und ihre Schwägerinnen, die Musgroves, treffen in Lyme auf Mr. William Elliot. Illustration von Hugh Thomsonin „Verführung“, Ausgabe von 1897. British Library Collections. Foto: Public Domain

Er versucht Anne zu sagen, wie er sich fühlt, aber es dauert lange, da Anne von einem anderen Mann umworben wird und Captain Wentworth ist sich nicht sicher, wie Annes Beziehung zu diesem anderen Mann, Mr. William Elliot, tatsächlich ist. Er ist Annes Cousin und wird eines Tages den Titel ihres Vaters erben.

Kapitän Wentworth, der jetzt durch den Krieg sein Geld verdient hat, glaubt, dass Mr. Elliot eine viel bessere Partie für Anne darstellt als er. Mr. Elliot wird eines Tages den Titel eines Barons tragen. Zudem sieht er gut aus, ist reich und ein gern gesehener Mann dieser Stadt und deren Gesellschaft.

Erzählen Sie uns mehr über Annes Vater, Sir Walter. Es scheint, dass er seine finanziellen Probleme lösen will, aber auf seinen Luxus nicht wirklich verzichten möchte.

Viele Leute agieren auch heute so. Unsere heutige Gesellschaft fordert Sie doch dazu auf, Schulden zu machen. Denn Kreditkarten sind unsere persönlichen Kundenkarten. Das sind Speicherkarten, die in gewisser Weise uns erlauben, mehr auszugeben als wir eigentlich besitzen. Der Luxus besteht ja darin, dass ich nicht wirklich alles sofort bezahlen muss. Es scheint ein Kredit zu sein, in Wirklichkeit sind das aber reale Schulden die wir uns aufbürden.

Jane Austens letzter Roman "Verführung"

Sir Walter Elliot missbilligt den Rat seines Agenten. Illustration von C. E. Brock in „Verführung“, Ausgabe von 1898 Foto: Public Domain.

Viele Leute verschulden sich, weil sie sich keine Sorgen machen, da sie doch irgendwie auch morgen bezahlt werden können. Sie denken nicht darüber nach, wie und wann es bezahlt werden soll, und genau das hat auch Annes Vater getan. Jetzt ist er an dem Punkt angelangt, an dem alle über ihn sprechen und mit dem Finger auf ihn zeigen. Und er weiß, dass er etwas tun muss, aber er will es nicht, weil er den Gedanken der Sparpolitik nicht ertragen kann. Er möchte, dass etwas getan wird, um seine finanziellen Probleme zu lindern, ohne jedoch seinen Luxus, Komfort und teuren Lifestyle zu beeinträchtigen!

Er berät sich mit der Freundin seiner Frau, Lady Russell, die wiederum Anne befragt, die mit ihr ein großes Gefühl der Integrität teilt. Sie entwerfen einen strengen Plan des gesellschaftlichen Rückzugs, der ihren Vater innerhalb von sieben Jahren von Schulden befreien würde und der, wie sie glaubt, weder den Respekt noch die Würde ihres Vaters mindern wird. Sein Ansehen in den Augen der Öffentlichkeit wäre gerettet, da sie sehen, wie sich ein Mann mit „Prinzipien“ und „Ehrlichkeit“ in einer prekären Situation verhält. Sicherlich würde ihr Vater das nicht tolerieren.

Gelingt es Sir Walter, seine Finanzen zu ordnen?

Nein, das gelingt ihm nicht. Sein Anwalt hat einen Plan: Er zieht aus seinem angesehenen Zuhause „Kellynch Hall“ vorerst aus und zieht nach Bath, um dort ein bescheidenes Haus zu mieten. Der Grund nach Bath zu gehen ist, dass er keine Pferde und Kutschen braucht und damit keine Stallknechte und Pfleger bezahlen muss, die sehr teuer sind. Und dann vermietet er Kellynch Hall an Admiral Croft und seine Frau, die Schwester von Captain Wentworth.

Sir Walter gibt immer noch genügend Geld aus, aber in Bath ist es relativ günstig, ein kleines Haus zu mieten. Und so spart er Geld. Aber Anne glaubt, dass er sich selbst erniedrigt hat. Ihrer Meinung nach, hätte er bleiben sollen und versuchen, die Dinge vor Ort zu regeln und den guten Namen des Anwesens aufrechtzuerhalten. Stattdessen kann jeder sehen, wie er sein Haus verlassen muss, weil er sich den Luxus nicht mehr leisten kann. Sie wissen am Ende der Geschichte auch nicht, ob er zurück in die Kellynch Hall geht oder nicht. Sobald Anne mit ihrem Kapitän verheiratet ist, ist das das Ende der Geschichte.

Jane Austens letzter Roman "Verführung"

Eine Illustration von Hugh Thomson in „Verführung“, Ausgabe von 1897. British Library Collections. Foto: Public Domain

Was begeistert Sie persönlich an „Verführung“?

Es gibt eine Passage in „Verführung“, die ich oft zitiere. Es geht um die Aufrechterhaltung der wahren Liebe. Einer der Schiffsfreunde von Kapitän Wentworth spricht mit Anne und er sagt in gewisser Weise, ‚Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist, zur See zu gehen und Ihre Frau und Ihre Kinder zurückzulassen.‘

Er erklärt: „Ich werde nicht zulassen, dass es mehr die Natur des Mannes sein soll als die der Frau, unbeständig zu sein und diejenigen vergisst, die sie lieben oder liebten. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Ich glaube an eine wahre Analogie zwischen unseren körperlichen und geistigen Gefühlen und Fähigkeiten, wenn es darum geht Schicksal zu ertragen und zu erdulden. Und so wie unsere Körper zu großer Anstrengung fähig ist, so sind auch unsere Gefühle fähig, die rauesten Einsätze zu ertragen und das härteste Wetter zu überstehen.“

„Ihre Gefühle mögen die stärksten sein“, antwortet Anne, „aber der gleiche Geist der Analogie wird mich dazu berechtigen zu behaupten, dass unsere am zärtlichsten sind. Der Mann ist robuster als die Frau, aber das heißt nicht, dass seine Gefühle länger andauern.“

Und weiter im Gespräch sagt Anne: „Ich glaube, dass sie jeder wichtigen Anstrengung und jeder häuslichen Nachsicht gleichkommen, solange – wenn ich den Ausdruck zulassen darf – solange sie ein Objekt der Begierde in ihrer Nähe wissen. Ich meine, die Frau, die sie lieben, wird ausschließlich für sie leben und sie auch lieben, wenn sie auf hoher See sind. Egal wie lange die Überfahrt auch dauern wird. Das Privileg, das ich für mein eigenes Geschlecht beanspruche (es ist kein sehr beneidenswertes: sie brauchen es nicht zu begehren), besteht darin, dann noch lieben zu können, wenn die Existenz oder die Hoffnung längst verschwunden sind!“

Also, was sie sagt, ist: ‚Du hast sehr starke Gefühle, aber sie sind nur so stark, solange die Frau um dich herum ist und wenn du keine hast, gehst du zu jemand anderem. Aber Frauen tun das nicht.‘ Anne glaubt, dass sie für Ihr Geschlecht spricht, dass die Frau am intensivsten liebt, auch wenn die Existenz oder die Hoffnung verschwunden sind. Und natürlich redet sie über sich selbst, weil sie Captain Wentworth immer noch liebt, der vor acht Jahren verschwunden ist und nun zurückkehrt und ihr keinen Hinweis darauf gibt, dass er wirklich immer noch in sie verliebt ist.

Jane Austens letzter Roman "Verführung"

Anne und Kapitän Wentworth sprechen trotz ihres eingebildeten Vaters und ihrer Schwester im Hintergrund. Illustration von C. E. Brock in „Verführung“, Ausgabe von 1909. Foto: Public Domain

Spoiler-Alarm! Treffen sie sich am Ende als Paar?

Natürlich tun sie es. Es wäre sonst kein Jane Austen-Roman! Bei der Jane Austen Society UK sagen wir immer Folgendes: Es ist eine Binsenweisheit, dass es in Jane Austens Romanen 21 gute Ehen gibt, gute, schlechte und gleichgültige, und dass das Mädchen am Ende immer ihren Mann bekommt. Aber wir sagen auch, die Romane zeigen, was die Charaktere durchmachen, und ihre jeweilige Disposition.

Jane Austens letzter Roman "Verführung"

Captain Wentworth überreicht Anne einen Brief, in dem er seine Liebe zu ihr erklärt. Illustration von Hugh Thomson in „Verführung“, Ausgabe von 1897. Foto: Public Domain

Und die moralischen Werte, über die Jane Austen schreibt, sie rückt all diese Attribute in den Vordergrund und nutzt sie als Teil der Geschichte. Zum Beispiel besucht Anne eine alte Schulfreundin, die zum arthritischen Invaliden wurde und als eine verarmte Witwe ohne Verwandte zurückbleibt, um die sich keiner wirklich kümmert.

Anne ist erstaunt über die Fähigkeit der Frau, fröhlich zu sein und das Stricken lernte, sobald sie ihre Hände wieder gebrauchen kann. Anne glaubt, dass dies nicht nur ein Fall von Stärke war: „Ein unterwürfiger Geist mag geduldig sein, ein starker Glaube würde eine Lösung liefern, aber hier war noch etwas mehr; hier war diese Seele des Geistes, diese zu tröstende Disposition, diese Kraft, sich leicht vom Bösen zum Guten zu wenden und eine Beschäftigung zu finden, die sie aus sich selbst herausführte, die nur aus der Natur stammte.“

Warum ist es heute wichtig, Jane Austen-Romane zu lesen?

Die Leute denken an Jane Austen als eine Art Blaustrumpf; Ja, sie war eine Junggesellin, aber sie hatte viele Bekanntschaften, sie tanzte, sie reiste, sie las viel und sie war auf dem neuesten Stand der Nachrichten. Und ich denke, ihre Romane sind relevant für all die Dinge, über die wir gesprochen haben, all diese grundlegenden Dinge, die sich ergeben, wenn Sie die „Schutzpanzer“ einer Liebesgeschichte ablegen. Und die Tatsache, dass sie einige dieser Themen auf eine amüsante Art und Weise anspricht. Sie hat eine wunderbare Möglichkeit, Ihnen ein Bild in sehr kurzen Begriffen zu vermitteln, damit dieses Bild sofort in Erinnerung bleibt. Und sie kann einen zum Lachen bringen und sie kann einen zum Weinen bringen.

Vielen Dank für dieses Interview.

Übersetzt und bearbeitet von Jacqueline Roussety

Quelle: Insights From ‘Persuasion,’ Jane Austen’s Last Novel



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