„Polarstern“-Expedition erkundet Eisberg doppelt so groß wie Berlin

Ein riesiger Eisberg ist vor rund zwei Wochen vom Antarktischen Eisschild abgebrochen. Die „Polarstern“ war als einziges Forschungsschiff in der Nähe und hat die Gelegenheit genutzt, in den Spalt zwischen Brunt-Schelfeis und Eisberg zu fahren.
Titelbild
Das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ vor dem Eisberg A74.Foto: Alfred-Wegener-Institut / Tim Kalvelage
Epoch Times21. März 2021

Die Welt blickt auf Satellitenaufnahmen des riesigen Eisberges namens A74, der am 26. Februar 2021 vom Brunt-Schelfeis in der Antarktis abgebrochen ist. Mit 1.270 Quadratkilometern ist der Eisberg etwa doppelt so groß wie Berlin. Der deutsche Forschungseisbrecher „Polarstern“ war als einziges Forschungsschiff vor Ort.

Dem Kapitän ist es gelungen, in den „Fuchsbau“ genannten Spalt zwischen Schelfeiskante und Eisberg vorzudringen, um den jahrzehntelang unter hunderten Metern Eis verborgenen Meeresboden zu erkunden. Erste Aufnahmen vom Meeresboden zeigen eine erstaunliche Lebensvielfalt in einer Region, die Jahrzehnte unter dickem Eis lag.

Einmalige Gelegenheit: Nur ein gigantischer Eisberg pro Jahrzehnt

Die Forscher des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und ihre internationalen Partner erreichten das Gebiet kurz nach dem Abbruch. Einmalige Aufnahmen des Meeresbodens, Sedimentproben vom Meeresgrund und geochemische Messungen der darüber liegenden Wassersäule sorgen an Bord und in Bremerhaven für Begeisterung.

Stürmische Winde hatten die „Polarstern“ zunächst aus dem Gebiet ferngehalten. Am Wochenende (13./14. März) gab der Kapitän angesichts günstigerer Wetterbedingungen grünes Licht. Das Schiff umrundete den Eisberg, um Gebiet zu erkunden, heißt es in einer Pressemitteilung des AWI.

TerraSAR-X Satellitenaufnahme der „Polarstern“ im Spalt zwischen Brunt-Schelfeis und Eisberg A74 im antarktischen Weddellmeer. Foto: TSX data © DLR 2021

„Es ist eine einmalige Gelegenheit, die sich den [Forschern] auf der ‚Polarstern‘ am Antarktischen Eisschild bietet“, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek. „Ich bin der Besatzung der ‚Polarstern‘ dankbar, dass sie die damit verbundenen Strapazen und auch Risiken auf sich nehmen.“

Die Polarforschung trage entscheidend dazu bei, unsere Erde besser zu verstehen, so Karliczek weiter. Diese Forschung vor Ort sei elementar, um die Prozesse zu verstehen, die ein massiver Eisbergabbruch nach sich zieht. Sie sind eine wichtige Momentaufnahme. Nur selten gelingt es aber, vor Ort zu sein, wenn ein Gebiet erstmals eisfrei wird und mit Sonnenlicht in Kontakt kommt.

Kleinere Eisberge werden öfter freigesetzt. Schnee fällt, komprimiert sich zu dicken Eisschichten und diese rutschen dann langsam den Kontinent Richtung Meer herab. Ausläufer des Eises schwimmen als sogenanntes Schelfeis auf dem Ozean, liegen also nicht mehr auf festem Boden auf. Wenn ihre Verbindung zu den Gletschern durch weiter nachgeschobenes Eis instabil wird, kalben sie letztendlich. Derart große Eisberge brechen in der Antarktis jedoch nur etwa alle 10 Jahre ab.

„Polarstern“: zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Das Alfred-Wegener-Institut führt bereits seit den 1980er Jahren Polarstern-Expeditionen ins antarktische Weddellmeer durch. Meeresboden, Ozean, Eis und Atmosphäre sind dabei Forschungsgegenstand – mit jeweils unterschiedlichen Expeditionsschwerpunkten.

„Es ist ein Glücksfall, dass wir flexibel reagieren und das Abbruchgeschehen am Brunt-Schelfeis aktuell so detailliert erforschen konnten“, sagt Dr. Hartmut Hellmer, physikalischer Ozeanograph am AWI und Leiter der Expedition. Das geplante Forschungsgebiet erstreckt sich auf das südöstliche Weddellmeer und lag somit ohnehin in der Nähe.

„Polarstern“ im Spalt zwischen dem Brunt-Schelfeis (links) und dem Ende Februar abgebrochenen Eisberg A74 (rechts). Hinter dem Schiff liegt der Eingang in den „Fuchsbau“. Foto: Alfred-Wegener-Institut / Ralph Timmermann

„Noch glücklicher bin ich jedoch, dass wir eine große Anzahl von Verankerungen erfolgreich ausgetauscht haben, die auch in unserer Abwesenheit elementare Daten von Temperatur, Salzgehalt, Strömungsrichtung und -geschwindigkeit aufzeichnen“, so Hellmer weiter. Diese Daten bildeten die Grundlage für Modellrechnungen darüber, wie etwa die Eisschilde auf Klimaveränderungen reagieren werden.

Forscher entdecken blühendes Leben unter dickem Eis

Am Meeresboden war die Lebensvielfalt trotz der jahrelangen kontinuierlichen Eisbedeckung groß. Das Tiefsee-Forschungsteam beobachtete zahlreiche Tiere, die auf unterschiedlich großen Steinen festsitzen, umgeben von einer Schlammlandschaft. Die Steine stammen vom antarktischen Kontinent und werden mit den Gletschern ins Meer transportiert.

Die meisten dieser Organismen sind sogenannte Filtrierer. Ob sie sich weitgehend von Algenresten ernähren oder von organischen Partikeln, die mit dem Eis transportiert werden, bleibt zu klären. Entdeckt wurden auch einige mobile Arten wie Seegurken, Seesterne, verschiedene Weichtiere sowie mindestens fünf Fischarten und zwei Tintenfischarten.

Dieses überraschend artenreiche Ökosystem hat das Tiefsee-Team mit Hilfe des OFOBS (Ocean Floor Observation and Bathymetry System) erstmals fotografiert und gefilmt. Die Kameraplattform wird an einem langen Draht vom Schiff geschleppt. Entsprechend sind die Forscher vom Eisabbruch abhängig gewesen, um den bisher unzugänglichen Meeresboden zu erkunden. Zukünftig sollen neue Technologien wie autonome Unterwasserrobotik auch Lebensräume unter dem Eis erforschen. (ts)

Leben auf dem antarktischen Meeresboden, wo der riesige Eisberg A74 vom Brunt-Schelfeis (östliches Weddellmeer) kalbte: Eine Seeanemone von 10 cm Durchmesser nutzt einen kleinen Stein als Substrat. Foto: Alfred-Wegener-Institut / OFOBS-Team PS124

(Mit Material des Alfred-Wegener-Instituts)



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