Andreas Unterberger: Warum nicht von Österreich lernen?

Inwieweit ist Deutschland noch eine Demokratie? Überall gilt, dass es eine rechte Regierung gibt, wenn die Mehrheit der Wähler Parteien rechts der Mitte wählt – und eine linke, wenn die Mehrheit links gewählt hat. In Deutschland gilt diese Regel jedoch nur zur Hälfte.
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Österreichisches Parlament.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 5. Oktober 2021

Zentrale Identität der Demokratie ist, dass die Mehrheit der Wähler entscheidet. Nach der deutschen Bundestagswahl muss man sich fragen: Inwieweit ist Deutschland noch eine Demokratie? In dem Land gelten nämlich demokratische Regeln nicht, die von Skandinavien bis Italien ganz selbstverständlich sind.

Überall dort ist es mit kurzfristigen Ausnahmen selbstverständlich, dass es eine rechte Regierung gibt, wenn die Mehrheit der Wähler Parteien rechts der Mitte, und eine linke, wenn die Mehrheit linke Parteien gewählt hat. In Deutschland gilt diese Regel jedoch nur zur Hälfte. Die drei Linksparteien wären zwar ganz selbstverständlich eine Koalition eingegangen, hätten sie dafür eine Mehrheit im Bundestag. Eine formelle oder faktische Zusammenarbeit der drei Parteien rechts der Mitte gilt in der politmedialen Elite Deutschlands hingegen als völlig undenkbar – so etwa wie ein Wechsel des Papstes zu einer anderen Religion.

Freilich: In etwa zwei Monaten könnte die Undenkbarkeit doch denkbar werden. Erste Voraussetzung dafür: Alle drei Parteien rechts der Mitte sind dann wieder handlungsfähig (was CDU und AfD derzeit kaum sind). Zweite Voraussetzung: CDU und FDP erkennen, dass das, was vor allem die Grünen mit jeder Faser wollen, ein totaler, ein totalitärer Systemwechsel ist, der für sie nicht infrage kommen kann.

Genau dieses Ziel des Systemwechsels ist umgekehrt das, was Linkspartei und linke Sozialdemokraten an die Grünen bindet, obwohl in ihren Genen keine Spur von Umwelt- oder Planetenrettungstümelei zu finden ist. Sie sind vielmehr aus dem Industrieproletariat heraus entstanden.

Was kann bei Verhandlungen herauskommen, bei denen sich einerseits das grüne Ziel eines Systemwandels und andererseits die FDP gegenübersitzen, die am deutlichsten von allen die Freiheit der Menschen in wirtschaftlichen, beruflichen und finanziellen Fragen zu vertreten verspricht?

Blickt man nüchtern auf die Dinge, ist eine Einigung eigentlich nicht vorstellbar – es sei denn, eine Partei hätte sich von der Gier nach Ministerämtern treiben lassen. In Wahrheit hätte eine solche Koalition zur Folge, dass zumindest eine der beiden Parteien bei allen nächsten Wahlen vernichtend für den Verrat an jenen Versprechungen bestraft wird, die sie ihren Wählern gegeben hat.

  • Wie wollen die Freidemokraten etwa mit jemand koalieren, der die massenweise Enteignung von Wohnungen fordert?
  • Wie können die Grünen etwa mit einer Partei koalieren, die für Steuerreduktionen und gegen Schuldenausweitungen ist, wenn sie doch utopische Summen für ihre Klimaprojekte benötigen?
  • Wie kann eine wirtschaftsnahe Partei bei einer Regierung mitmachen, die der Industrie die wichtigste Basis nimmt, nämlich eine ausreichende Energieversorgung?

Eines ist freilich klar – und sollte auch in der CDU begriffen werden: Sollte es trotz allem zu einem Formelkompromiss zwischen Gelb und Grün kommen, dann bedeutet das mit Sicherheit eine Ampelkoalition unter Führung der SPD. Denn fast alle Positionen der SPD (wie auch der CDU/CSU) liegen zwischen den Polen von Grün und Gelb.

Nach einer theoretischen Einigung mit den Grünen wird die FPD – bei aller persönlichen Freundschaft zum CDU-Kanzlerkandidat – kein sonderliches Interesse mehr daran haben, dass der Dritte im Bunde Laschet heißt. Die FDP hat sich da auch nie festgelegt. Und sie weiß:

  1. Die SPD ist knapp, aber doch eindeutig stimmen- und mandatsstärkste Partei, was einen großen Erklärungsbedarf auslösen würde, sollte man sie übergehen;
  2. auch bei allen Umfragen empfindet eine deutliche Mehrheit der Deutschen den Kanzler-Anspruch von Scholz als gerecht;
  3. die noch immer einflussreichen Zwangsgebühren-Anstalten kämpfen militant für möglichst linke Lösungen ohne CDU;
  4. Armin Laschet ist selbst in der eigenen Partei umstritten;
  5. Laschet hat schwachsinniger Weise seinen Kanzleranspruch nicht mit inhaltlichen Positionen begründet, nicht mit Gründen weshalb die CDU unverzichtbar wäre – dadurch erscheint sein Anspruch endgültig als rein persönlicher Überlebenskampf;
  6. eine Koalition mit der Union statt der SPD bedeutet einen zusätzlichen schwierigen Partner am Tisch – denn die CSU wird mit Sicherheit auch künftig regelmäßige Konflikte liefern, um ihre Eigenständigkeit zu beweisen;
  7. Olaf Scholz als Person war zumindest verbal als Finanzminister ein Vertreter der von der FDP verlangten Stabilität;
  8. Scholz ist in der eigenen Partei derzeit völlig unangefochtene Nummer eins;
  9. und als einzige nicht-linke Partei in der Regierung kann sich die FDP viel besser profilieren.

Daher wird eine unwahrscheinliche, aber mögliche Einigung zwischen den Grünen und der FDP mit 99-prozentiger Sicherheit zu einer SPD-geführten Ampelkoalition führen. Daher sollte jeder in der Union – unabhängig davon, wie er zu Laschet steht – sich den Gedanken an eine CDU-geführte Jamaika-Koalition abschminken.

Wenn sie das kleine Einmaleins der Politik beherrschen, werden CDU wie SPD aber inzwischen diskret Alternativen für den Fall eines Scheiterns der grün-gelben Konsenssuche zu suchen beginnen. Und die haben beide – auch wenn sie derzeit (noch?) nicht darüber reden.

Die – einzige – Alternative für die SPD besteht in einer großen Koalition. Diese ist zwar nach dem Abnützungskrieg der letzten Jahre in beiden Parteien sehr unbeliebt. Dennoch ist klar:

  • Es gab keine unüberbrückbaren Differenzen.
  • Es wäre die einzig mögliche Zweierkoalition.
  • Und es ist für die SPD die einzige denkbare Alternative, das Kanzleramt zu erobern.

Wenn Scholz schlau ist, dann macht er der CDU ein diskretes inhaltliches Angebot, das gleichsam die bisherige Politik Merkels spiegelt. Diese hat ja in allen Fragen eine eher linke Politik gemacht. Scholz könnte sich nun umgekehrt den Kanzlerjob dadurch zu sichern versuchen, dass er inhaltlich CDU-Politik macht. Die große Gefahr ist freilich, dass die linksgestrickte eigene Partei dagegen revoltieren würde.

Für Laschet ist die „GroKo“ mit den Roten viel unattraktiver. Denn die CDU würde dabei nicht nur den Kanzler verlieren, sondern es wäre auch ungewiss, ob Laschet selbst dann wenigstens Vizekanzler wird.

Wenn er politisch begabt ist, wird sich Laschet stattdessen – ebenso diskret – einer für ihn viel interessanteren Lösung zu nähern versuchen. Und das wäre eindeutig die Aktivierung der Mehrheit rechts der Mitte, also ein Einschluss der AfD.

Diese Partei ist zwar von der veröffentlichten Meinung Deutschlands als unberührbar tabuisiert worden. Diese Partei steht zwar derzeit ohne klare Führung da. Sie hat sich zuletzt auch durch ihren Corona-Kurs selbst beschädigt (wie das wenig berauschende Wahlergebnis zeigt). Aber inhaltlich wäre die AfD in Wahrheit fast der ideale Partner:

  • Gesellschaftspolitisch ist sie konservativ, wie die CDU/CSU zumindest einst gewesen ist.
  • Wirtschafts- und finanzpolitisch, aber auch in der Kritik an der EZB- und Euro-Politik ist sie recht nahe bei der FDP.

Natürlich müssten Union und FDP der AfD einen Preis für die Unterstützung zahlen. Der würde logischerweise in konkreten Anti-Migrationsmaßnahmen bestehen, die mit keiner Linkspartei denkbar sind.

Umgekehrt müssten sie von der AfD verlangen, dass sie allen Versuchen abschwört, einen EU-Austritt zu verlangen, und auch ihre Anti-Impf-Kampagne einstellt.

Ein solches Verlangen wäre spiegelbildlich vergleichbar mit dem, was SPD und Grüne von der Linkspartei als Preis für eine Linkskoalition verlangen wollten, wäre sich diese ausgegangen: nämlich einen Verzicht auf den NATO-Austritt.

Gewiss: Eine solche Strategie von CDU/CSU und FDP wäre schwierig, sie könnte nur in schrittweisen Geheimgesprächen verfolgt werden. Sie könnte auch zu einer schon in anderen europäischen Ländern praktizierten Lösung führen: dass die AfD keine Ministerposten bekommt, sondern nur ein Zusammenarbeitsabkommen auf Augenhöhe.

Gewiss: Die Linksmedien werden aufheulen und einige dümmliche Äußerungen aus der AfD hervorkramen wie jene vom „Fliegenschiss“. Das muss man politisch aushalten. Aber es kann überhaupt keine Frage sein, dass die AfD tausendmal weiter von der NSDAP und ihren Verbrechen entfernt ist als die Linkspartei von der SED und deren Verbrechen.

Als Österreicher hat man eine sehr ähnliche Situation schon zweimal erlebt, als die FPÖ, eine mit der AfD vergleichbare Partei, in Wien von der ÖVP in die Regierung geholt worden ist; im Jahr 2000 hat die ÖVP das sogar aus dritter Position heraus getan. Die Proteste in den Medien und auf der Straße waren zwar gewaltig. Aber ebenso sind diese schwarz-blauen Koalitionen von der großen Mehrheit der Österreicher sehr bald als positiv eingeschätzt worden, wie viele Umfragen gezeigt haben.

Und der ÖVP, der Schwester von CDU/CSU, haben sie eindeutig nicht geschadet: Sie hat sich dadurch vielmehr aus einem historischen Tief auf ihre besten Wahlergebnisse seit Jahrzehnten gehievt, während die FPÖ dann jeweils in schwere Krisen gestürzt ist (die teils selbst-, teils fremdverschuldet gewesen sind). Und Demokratie und Rechtsstaat haben keinerlei Schaden erlitten.

Gewiss: Es mag vermessen sein, dem großen Deutschland zu empfehlen, Lehren aus dem kleinen Österreich zu ziehen. Aber dennoch wäre es manchmal klug, auf die Alpenrepublik zu blicken.

Andreas Unterberger war 14 Jahre Chefredakteur der österreichischen Tageszeitungen „Presse“ und „Wiener Zeitung“. Er schreibt unter www.andreas-unterberger.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch“, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.



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