Prof. Schwab: Der Staat ist nicht befugt, Journalisten in gut und böse einzuteilen

Das Bundesverfassungsgericht selektiert Journalisten – die guten ins Töpfchen, die nicht genehmen ins Kröpfchen. In einem freiheitlich-demokratischen Staat, der wir sein wollen, darf aber keine einzige staatliche Instanz, auch nicht das Bundesverfassungsgericht, Journalisten in professionell oder unprofessionell oder anhand anderer Kriterien in gut oder schlecht einteilen. Eine Analyse.
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"In einem solchen Staat ist keine einzige staatliche Instanz, auch nicht das Bundesverfassungsgericht, befugt, Journalisten in professionell oder unprofessionell oder anhand anderer Kriterien in gut oder schlecht einzuteilen", so Prof. Martin Schwab.Foto: Uli Deck/dpa
Von 20. November 2022

Dieser Artikel erschien zuerst auf alexander-wallasch.de.

Bereits am 4. November 2020 legte der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages die Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 044/20 vor. Diese trägt den Titel „Vorabinformationen des Bundesverfassungsgerichts an Mitglieder der Justizpressekonferenz Karlsruhe“. Etwas mehr als zwei Jahre später wurde diese Ausarbeitung von zahlreichen Medienkanälen aufgegriffen, nämlich am 13. November 2022 von der BILD-Zeitung, vom Tagesspiegel, vom Pleiteticker und am 14. November 2022 von Legal Tribune Online.

Warum diese Ausarbeitung erst jetzt ein so reges mediales Interesse weckt, vermag ich nicht zu erklären. Aber es ist zu begrüßen, dass die Medien dieses Thema überhaupt behandeln. Denn der Inhalt hat es in sich: Es geht um die Praxis des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), ausgewählten Journalisten, jenen nämlich, die zuvor in die Justizpressekonferenz aufgenommen worden sind, Informationen über Entscheidungen des BVerfG exklusiv vorab zur Verfügung zu stellen.

Gleichbegünstigungsgrundsatz

Bei der Justizpressekonferenz handelt es sich nicht etwa um eine staatliche Stelle, sondern um einen privaten Verein. Das BVerfG versucht, diese Praxis mit der Überlegung zu rechtfertigen, dass über seine Entscheidungen sorgfältig berichtet werden müsse, und nur die Journalisten, die in der Justizpressekonferenz versammelt seien, böten dabei die Gewähr für die nötige Professionalität.

Die Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 044/20 des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages enthält eine bemerkenswert profunde und äußerst lesenswerte Analyse. Einschlägige Rechtsprechung wird umfassend ausgewertet. Besonders bedeutsam sind dabei die auf den Seiten 19 bis 21 dokumentierten Urteile. Diese besagen im Kern: Gerichte haben Journalisten ohne Rücksicht auf ihre sachliche oder persönliche Qualifikation zeitgleich mit Informationen über gerichtliche Entscheidungen zu beliefern, die sie für die Veröffentlichung würdig erachten, und auch andere staatliche Stellen haben den Zugang zu den von ihnen eröffneten Informationsquellen allen interessierten Pressevertretern in gleicher Weise zugänglich zu machen. Man spricht insoweit von einem sogenannten Gleichbegünstigungsgrundsatz.

Die Justizpressekonferenz darf keine Differenzierungen vornehmen

Ebenso aufhorchen lässt, was der Wissenschaftliche Dienst auf den Seiten 13 bis 14 der Ausarbeitung ausführt: Wenn eine staatliche Stelle die Auswahl der Pressevertreter, die in den Genuss von bestimmten Informationen gelangten, an einen privaten Verein – hier: die Justizpressekonferenz – auslagere, sei dieser Verein unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Das kann im hier interessierenden Zusammenhang nur bedeuten, dass jedem Pressevertreter, der Aufnahme in die Justizpressekonferenz begehrt, diese Aufnahme zu gewähren ist. Die Justizpressekonferenz darf keine Differenzierungen vornehmen, die das Bundesverfassungsgericht nicht auch selbst vornehmen dürfte – und wie gesehen, darf das Bundesverfassungsgericht überhaupt keine Differenzierung nach sachlicher oder persönlicher Qualifikation treffen.

Im Klartext: Alle Pressevertreter sind nicht nur vor dem Gesetz gleich, sondern auch vor Parlamenten, Behörden und Gerichten und ganz generell vor jeder staatlichen Stelle und dann eben auch vor privaten Akteuren, die sich in den Dienst des Staates stellen.

Die Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 044/20 erinnert uns an wichtige Funktionsbedingungen eines freiheitlich-demokratischen Staates. In einem solchen Staat ist keine einzige staatliche Instanz, auch nicht das Bundesverfassungsgericht, befugt, Journalisten in professionell oder unprofessionell oder anhand anderer Kriterien in gut oder schlecht einzuteilen.

Die Medien haben die Aufgabe, kritisch über das Handeln aller drei Zweige der Staatsgewalt zu wachen: über das Handeln der Gesetzgebung, über das Handeln von Regierung und Verwaltung und über das Handeln der Rechtsprechung, auch über das Bundesverfassungsgericht. Dann kann nicht ein Gericht seinerseits darüber befinden, welcher seiner Kontrolleure besonders gut, besonders geeignet, besonders „sachkundig“, besonders „zuverlässig“, besonders „professionell“ oder was auch immer ist und welcher nicht. Und schon gar nicht darf ein Gericht an diese Einteilung rechtliche Konsequenzen anknüpfen wie etwa die Gewährung oder Versagung des Zugangs zu privilegierten Informationen.

Konsequent stehen auch der Justizpressekonferenz keine derartigen Befugnisse zu. Das gegenwärtige Gebaren der Justizpressekonferenz, wie es etwa in den bereits erwähnten Beiträgen im Tagesspiegel und in Legal Tribune Online beschrieben wird, erinnert eher an die Türpolitik am Eingang von Diskotheken („Nur für Stammgäste“, „Du kommst hier nicht rein mit diesen Schuhen“ usw.) als an eine Aufnahmepraxis, die in irgendeiner Weise vom Bewusstsein der Grundrechtsbindung geprägt erscheint.

Entscheidet Justizpressekonferenz über richtigen oder falschen Journalismus?

Geradezu verräterisch ist es, wenn die frühere Vorsitzende der Justizpressekonferenz die bisherige Praxis mit der Überlegung rechtfertigt, es müsse verhindert werden, dass bei der Berichterstattung über Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ein „falscher Ton gesetzt“ werde (Zitat nach dem Beitrag auf Legal Tribune Online) – bestimmt also die Justizpressekonferenz über den „richtigen“ Ton? Entscheidet sie also nicht nur über guten oder schlechten, sondern auch über richtigen oder falschen Journalismus?

Wenn der Zugang zu staatlichen Informationen an solchen Kriterien festgemacht wird, ist der Weg zur Meinungszensur nicht mehr weit. Denn wer einen „falschen Ton“ befürchtet, hat sich bereits eine Meinung über die Einordnung und Bewertung der betreffenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gebildet und wird verhindern wollen, dass sich eine abweichende Sicht der Dinge in der Medienlandschaft durchsetzt. Wer also bestimmte Journalisten privilegiert, privilegiert rasch auch bestimmte Meinungen und benachteiligt damit zwangsläufig andere.

Indes ist es dem Staat – oder den von ihm herangezogenen Hilfspersonen und damit auch der Justizpressekonferenz – im Bereich der Meinungsfreiheit ebenfalls nicht gestattet, Meinungen in gut oder schlecht einzuteilen und Menschen mit der von ihm als „gut“ erachteten Meinung anders zu behandeln als Menschen mit der als „schlecht“ befundenen Meinung.

Besonders schön kommt dies in Art. 10 Abs. 1 der Verfassung des Landes Rheinland-Pfalz zum Ausdruck. Dort ist in Satz 1 zunächst (insoweit wortgleich mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) ausgeführt, dass jedermann das Recht hat, seine Meinung frei zu äußern. Und dann heißt es in Satz 2: „Niemand darf ihn deswegen benachteiligen“. Das Verbot, Menschen wegen des Inhalts ihrer Meinung zu diskriminieren, trifft also nicht nur den Staat, sondern kann sogar Private treffen!

Diskriminierungsverbot

Deutlich wird dies auch in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes: Danach besteht das Ziel dieses Gesetzes u.a. darin, die Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer Weltanschauung zu verhindern. Adressaten dieses Diskriminierungsverbots sind nicht nur der Staat, sondern ebenso etliche private Akteure (siehe im Einzelnen § 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes).

Die Ausarbeitung WD 10 – 3000 – 044/20 ist nicht nur für die Praxis der Vorabinformationen durch das Bundesverfassungsgericht von Interesse, sondern ebenso für den Zugang zu Behördeninformationen. Am 14.9.2022 berichteten die „Polizisten für Aufklärung“ über die Weigerung der Berliner Polizei, eine Presseanfrage der freien Journalistin Sophia Maria Antonulas zu beantworten. Aus der Begründung dieser Weigerung wird deutlich, dass auch die Berliner Polizei sich anmaßt, in eigener Zuständigkeit zu bewerten, ob Journalisten ihren beruflichen Standards genügen oder nicht, und je nach dem Presseauskünfte zu erteilen oder eben nicht.

Ein solches Verhalten staatlicher Akteure ist indes zutiefst undemokratisch. Freie Meinungsäußerung und freie Presse sind Wesenselemente der Demokratie. Die frei geäußerte Meinung mündet in jenen Diskurs, in dem Argumente aufeinandertreffen und politische Konzepte miteinander in Wettbewerb treten. Freier und unabhängiger Journalismus beschafft und veröffentlicht die Informationen, die für die Meinungsbildung wichtig sind, und hilft bei der Einordnung und Bewertung dieser Informationen, ohne dem Adressaten das Selbst-Denken und die Aufgabe der eigenen Meinungsbildung abzunehmen.

Auf diese Weise garantieren die Meinungs- und die Pressefreiheit die Möglichkeit, dass Mehrheiten sich ändern und dementsprechend Regierungen abgelöst werden können. Dann aber dürfen die jeweils aktuellen Machthaber nicht bestimmte Meinungen und bestimmte Medienkanäle privilegieren und andere benachteiligen. Indem sie es trotzdem tun, versuchen sie, ihrer demokratischen Kontrolle zu entrinnen und in letzter Konsequenz die Möglichkeit ihrer eigenen Verdrängung von den Schalthebeln der Macht zu torpedieren.

Indem der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages auf diese Zusammenhänge aufmerksam macht, erhöht er die Erfolgsaussichten jener Journalisten, die vor Gericht ziehen, weil sie sich nicht damit zufriedengeben wollen, dass sie von bestimmten Informationen ausgeschlossen oder nur nachrangig mit ihnen versorgt werden. Der Druck auf Parlamente, Regierungen, Behörden und Gerichte, den presserechtlichen Gleichbegünstigungsanspruch in der Praxis konsequent einzulösen, wird größer. Und das ist gut so!

Prof. Martin Schwab, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Verfahrens- und Unternehmensrecht von der Universität Bielefeld.



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