Russland vor militärischer Offensive im Donbass?

Die Medienberichterstattung um den Donbass hat erneut an Fahrt aufgenommen. Zuletzt hatten russische Truppenbewegungen in Grenznähe und ein Dekret aus dem Kreml für Aufregung gesorgt. Mit einer Militäroffensive rechnet jedoch nicht einmal die Ukraine selbst.
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Der russische Präsident Wladimir Putin am 14. Mai 2021.Foto: SERGEI ILYIN/SPUTNIK/AFP via Getty Images
Von 25. November 2021

Im Westen warnen die Medien vor einer möglicherweise unmittelbar bevorstehenden militärischen Intervention Russlands im Donbass. Politiker aus Paris, Brüssel und Berlin haben bereits erste Warnungen vor einer vermeintlich drohenden Eskalation in den kriegsgeschüttelten östlichen Regionen der Ukraine an den Kreml gerichtet.

Satellitenfotos: „Truppen an der Grenze konzentriert“

Ein Faktor, der im Westen für Nervosität sorgt, waren Meldungen US-amerikanischer Geheimdienste, wonach es „nur noch ein kurzes Zeitfenster“ gäbe, um die Russische Föderation an einem militärischen Vorgehen in der Ukraine zu hindern.

Wie die „New York Times“ berichtete, hatte die Direktorin des Nationalen Nachrichtendienstes der USA, Avril D. Haines, die Warnungen ernst genug genommen, um nach Brüssel zu reisen und dort die NATO-Botschafter über die amerikanischen Erkenntnisse über die Situation zu informieren.

Haines rief die europäischen Länder dazu auf, gemeinsam mit den Vereinigten Staaten ein „Paket wirtschaftlicher und militärischer Maßnahmen zur Abschreckung Moskaus zu entwickeln“.

Satellitenfotos vom 2. November, die von dem in Colorado ansässigen US-Raumfahrtunternehmen Maxar Technologies aufgenommen und auf direktem Wege an das Portal „Politico“ weitergegeben wurden, zeigten Truppen und militärisches Gerät, die Russland an der Grenze zum Bürgerkriegsgebiet im Donbass konzentriert habe. In den USA ging man, wie es später hieß, „nicht davon aus, dass es sich um einen Bluff handele“.

Ukrainischer Verteidigungsminister glaubt nicht an Angriff Russlands

Am 11. November berichtete das Portal „Bloomberg“ von einer Warnung vor einer möglichen russischen Militäroperation gegen die Ukraine, die aus Washington an die europäischen Partnerländer gerichtet worden wäre und die sich auf Informationen beziehe, die „durch öffentlich zugängliche Beweise gestützt“ würden.

„Bloomberg“ sprach konkret von einem T-80-U-Panzerbataillon, das in der Region um Woronesch in Bewegung bemerkt worden wäre.

Deutlich entspannter sieht man die Situation allerdings in der Ukraine selbst. In einem Interview mit „Voice of America“ erklärt Verteidigungsminister Oleksii Reznikov zwar, die ukrainischen Geheimdienste hätten bezüglich einer russischen Truppenkonzentration nahe der ukrainischen Grenze ähnliche Daten wie die amerikanischen oder europäischen Dienste, allerdings habe man dazu „möglicherweise eine andere Einschätzung“.

Er glaube nicht an eine Invasion der Ukraine durch die Russische Föderation. Die Ukraine habe „in acht Jahren dieses Krieges gelernt, sich zu verteidigen“, und ihre Armee, vor allem die Bodentruppen, sei auf einem hohen Stand. Dazu käme eine hohe Mobilisierungsfähigkeit. Reznikov erklärte weiter:

Vergessen wir nicht: Wir haben 400.000 oder mehr Veteranen, die diese Front durchschritten haben und bereit sind, ihr Land zu verteidigen. Daher wird es keinen so leichten Durchmarsch geben wie 2014.“

Allerdings erneuerte Reznikov im Namen der Regierung den Wunsch auf Aufnahme der Ukraine in die Nato – was erst als realistische Option gilt, wenn die Territorialkonflikte im Osten der Ukraine beigelegt sind.

Dekret über „Schutzverantwortung“ für Menschen im Donbass

Der Westen und auch die KP Chinas sehen in einem jüngst von Putin verkündeten Dekret eine weitere Möglichkeit für eine spätere militärische Operation des Kremls in den nicht von der Ukraine kontrollierten Gebieten des Donbass: die von Putin ausgerufene R2P-Erklärung („Responsibility to Protect“). Auch die KP Chinas verbreitet diese Theorie.

Dieses System wurde 2005 auf UNO-Ebene geschaffen, und bezeichnet eine Schutzverantwortung, die dann greifen soll, wenn ein Staat nicht willens oder in der Lage sei, selbst Verantwortung für den Schutz seiner Bevölkerung zu übernehmen.

In diesem Fall würde ein anderer Staat, der dazu in der Lage ist, den elementaren humanitären Verpflichtungen gegenüber den Menschen nachkommen oder notfalls eingreifen, wenn Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ethnische Säuberungen identifiziert würden.

Der Bevollmächtigte Russlands in der Kontaktgruppe zur Regelung der Lage in der Ostukraine, Boris Gryslow, äußerte sich gegenüber der Nachrichtenagentur „TASS“ zu Inhalt und Zweck des Erlasses.

Ihm zufolge stelle das Dekret mit dem Titel „Über die Gewährung humanitärer Hilfe für die Bevölkerung einzelner Bezirke der ukrainischen Regionen Donezk und Lugansk“ eine humanitäre Antwort dar, da sich die Ukraine weigere, die Minsker Vereinbarungen einzuhalten.

Durchlässiger Wirtschaftsraum zwischen Russland und Separatistengebieten

In dem Dekret aus Moskau heißt es, die Russische Föderation werde innerhalb eines Monats die erforderlichen Maßnahmen veranlassen, um auf der Grundlage der Minsker Vereinbarungen die Quoten für den Warenverkehr über die Zollgrenze zwischen dem Donbass und der Russischen Föderation aufzuheben.

Darüber hinaus werde es Anbietern aus der von prorussischen Separatisten kontrollierten Region möglich sein, sich künftig in der Russischen Föderation an staatlichen Ausschreibungen zu beteiligen.

Gryslow betonte, dies „ebnet den Weg für die Wiederbelebung und den Aufschwung der Volkswirtschaften von Donezk und Lugansk, die über beträchtliche Ressourcen und Potenziale in den Bereichen Metall, Energie und Maschinenbau verfügen“. Die Maßnahmen bewirkten auch eine „engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den russischen Regionen in Übereinstimmung mit dem Maßnahmenpaket“.

Vereinfachte Zollverfahren sollen demnach die Kapazitäten der Unternehmen im Donbass stärker nutzen, Arbeitsplätze erhalten und die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der lokalen Bevölkerung verbessern:

Das bedeutet billigere Waren, ein größeres Handelsvolumen und damit einen deutlichen Anstieg der Kaufkraft der Bevölkerung im Donbass.“

Westen und China spekulieren über Eskalation

Eine Angliederung des stark von russischsprachiger Bevölkerung geprägten Donbass habe – anders als im Fall der Halbinsel Krim – der Kreml eigenen Angaben zufolge zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt. Diese scheint während der Wirren der Ereignisse von 2014 militärisch sinnvoller und leichter machbar gewesen.

Präsident Putin erklärte in den Jahren nach der Eskalation des Ukraine-Konflikts, dass von Moskau selbst in Auftrag gegebene Überlegungen im Donbass keine ausreichend einhellige Stimmung für eine Loslösung von der Ukraine erkennen ließen.

Gleichzeitig verfolgt Moskau jedoch eine Strategie, die darauf ausgerichtet ist, die Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle Kiews über das Gebiet zu erschweren oder zu verhindern.

Moskau schaut beim militärischen Grenzverkehr absichtlich weg, sodass Geheimdienstmitarbeiter, Söldner, Freizeitkämpfer und andere Abenteurer über die Grenze kommen, um die Separatisten gegen die ukrainische Armee und Freiwilligeneinheiten zu stärken. Diese bestehen nicht selten aus Ultranationalisten und Neonazis.

Russland als Nutznießer

In diesen Kontext dürfte es nun auch fallen, wenn der Kreml einen einheitlichen Wirtschaftsraum zwischen den nicht von Kiew kontrollierten Gebieten und Russland schafft. Dieser dürfe die in weiten Teilen der Bevölkerung vorhandene innere Verbundenheit zu Russland stabilisieren.

Bereits 2014 stellte die Regierung in Kiew Sozialleistungen und Rentenzahlungen für Donezk und Lugansk ein. Für Bankdienstleistungen mussten Bewohner einen stundenlangen Weg durch Absperrungen und Kontrollpunkte antreten, um auf dem von der Regierung kontrollierten Territorium ihre Rechte wahrnehmen zu können.

Im Jahr 2017 stellte die Regierung in Kiew auf Beschluss des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine den gesamten Handelsverkehr mit der Separatistenregion ein, nachdem Extremisten bereits mehrfach Güterzüge blockiert hatten.

Gryslow begründete sein jüngstes Dekret: „Eine erzwungene Antwort auf die Handlungen Kiews, die auf eine Eskalation des Konflikts abzielen und eigentlich unter die UN-Völkermordkonvention fallen“.

Russland forderte die Regierung in Kiew erneut dazu auf, direkte Gespräche mit den Vertretern der selbsternannten „Volksrepubliken“ in Donezk und Lugansk zu suchen. Kiew lehnt das jedoch seit 2014 ab, weil die Separatisten nach ukrainischem Recht als „Terroristen“ gelten.

Es gibt belastbare Indizien dafür, dass es sich bei den Autoritäten in den betroffenen Gebieten tatsächlich um politische Abenteurer, Gangster oder Kriegsherren handelt, deren realer Rückhalt in der Bevölkerung der betroffenen Gebiete gering ist.

Dass es die Regierung in Kiew dennoch nicht schafft, die dortige Bevölkerung auf ihre Seite zu bringen, spricht jedoch auch für die Untauglichkeit ihrer Politik der Härte und der Assimilation.



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