Arabischer Frühling, türkische Ernte

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Sitzung zur Besprechung von Hilfsmaßnahmen: Am 17. August spricht der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) in Istanbul während einer Sitzung mit den Medien über die Möglichkeiten, wie den am stärksten von der Dürre und der Hungersnot betroffenen Menschen in den Ländern am Horn von Afrika geholfen werden kann.Foto: Mustafa Ozer/AFP/Getty Images
Von 13. Oktober 2011

Nach der Konsolidierung ihrer politischen Position im Inland mit einem beeindruckenden dritten Sieg bei den Parlamentswahlen von 2011 ist die Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) dabei, den Status der Türkei als wichtigste Macht im Nahen Osten zu festigen.

Als es in den meisten Ländern der Region einschließlich Israel zu Massenprotesten kommt, erweist sich die Türkei zunehmend als Beispiel für wirtschaftliche Dynamik und demokratische Stabilität.

Die größten Nutznießer des arabischen Frühlings sind weder der Iran noch die USA noch Israel. Dank ihrer kreativen Außenpolitik, ihres guten internationalen Rufs und ihrer durchsetzungsfähigen politischen Rhetorik profitiert die Türkei wohl am meisten von den arabischen Aufständen.

Die Türkei erweist sich zunehmend als Beispiel für wirtschaftliche Dynamik und demokratische Stabilität.

Die Türkei ist nicht nur eine Quelle ideeller Inspiration für arabische Aufstände, sondern leistet auch konkrete politische Unterstützung und sozio-ökonomische Hilfe.

Die Vereinigten Staaten und ihre europäischen Verbündeten sollten dies als ein ermutigendes Zeichen einer sich abzeichnenden post-amerikanischen Ordnung im Nahen Osten anerkennen. Immerhin erweist sich die Türkei als verantwortungsvolle und effektive Status-quo-Macht.

Außenpolitisches Geschick

Das größte Kapital der türkischen Außenpolitik sind die Flexibilität und Standhaftigkeit ihrer Botschaft. Neben dieser aufwendigen politischen Architektur profitiert Ankara von einem sehr tiefen und prägnanten Verständnis der regionalen Politik.

Die Türkei ist bekannt für ihre quasi-merkantilistische Außenwirtschaftspolitik und benutzt ihre positiven politischen Beziehungen als Sprungbrett für die Ausweitung ihrer Export- und Investitionsmärkte in der Region. Der Türkei wird auch der beste private Sektor der Region und die am breitesten gefächerte Wirtschaft zugeschrieben. Kein Wunder also, dass türkische Firmen – mit stillschweigender und pro-aktiver staatlicher Unterstützung – ihre Marktdurchdringung im gesamten Nahen Osten verstärkt haben.

Doch trotz wachsender wirtschaftlicher Beziehungen zu den arabischen Autokraten in der Region veränderte Ankara seine Politik umsichtig und sorgfältig, als die Massenproteste den arabischen Raum von Benghazi bis Kairo elektrifizierten. Unter allen regionalen und internationalen Großmächten ragt die Türkei durch ihre Fähigkeit heraus, eine einheitliche und differenzierte Politik in Anbetracht der sich vor Ort schnell ändernden Tatsachen zu entwickeln.

Als die Jasmin-Revolution begann, verurteilte die Türkei gewalttätige Razzien und ermutigte die Anführer, auf die Stimme des Volkes zu hören. Als der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die tunesischen und ägyptischen Autokraten aufforderte zurückzutreten und einer demokratischen Politik den Weg zu ebnen, untermauerte er die regionale Popularität der Türkei. Ankara begrüßte ausdrücklich den sehr weltlichen, vom Volk ausgehenden und sogar liberalen Charakter der Volksaufstände und positionierte sich abseits der anderen regionalen Mächte. Dadurch und aufgrund seiner günstigen innenpolitischen Bedingungen verbesserte die Türkei ihre Position in der arabischen Welt.

Die wichtigen Entscheidungen

Der eigentliche Test für Ankaras Entschlossenheit kam mit den libyschen und syrischen Aufständen. Angesichts intensiver wirtschaftlicher und politischer Verbindungen mit diesen Ländern werden Ankaras Schritte im arabischen Raum genau beobachtet.

Trotz der enormen Investitionen von rund 17 Milliarden US-Dollar in Libyen, vor allem in der Baubranche, bewegte sich die Türkei allmählich auf die Opposition zu. Trotz ihrer anfänglichen Zurückhaltung unterstützte die Türkei schließlich die Intervention der NATO in Libyen. Sie setzte sich dafür ein, dass die Grundsätze der Schutzverantwortung (Responsibility to Protect – R2P) und des Schutzes der Zivilbevölkerung (Protection of Civilians – PoC) eingehalten werden, indem sie eine Flugverbotszone einrichtete, als sich Gaddafis Truppen den Toren Benghazis näherten.

In den folgenden Monaten legte die Türkei die Grundlage für die Anerkennung des Nationalen Übergangsrats (TNC) und leistete den Rebellen gleichzeitig entscheidende humanitäre Hilfe.

Als die Unruhen in Syrien begannen, spielte die Türkei auf zwei Ebenen eine entscheidende Rolle. Sie lieferte die dringend benötigte humanitäre Hilfe für syrische Flüchtlinge, die in die südlichen türkischen Städte strömten. Und sie versuchte über alle diplomatischen Kanäle und mit allen politischen Mitteln, die anhaltende politische Krise in Syrien friedlich beizulegen.

Die Türkei war wohl das einzige NATO-Mitglied mit einem gewissen Einfluss auf Syrien. Aufgrund der engen und herzlichen Beziehung zwischen Ministerpräsident Erdogan und Präsident Assad versuchte Ankara, seinen Einfluss zu nutzen, damit sich das syrische Regime in die Richtung einer echten Reform, Versöhnung und Dialog bewegt.

Auch bei den Verhandlungen mit der syrischen Regierung eröffnete die Türkei Kommunikationskanäle mit oppositionellen Kräften. In türkischen Städten fanden Ereignisse statt, bei denen sich syrische Oppositionskräfte über das ganze ideologische Spektrum hinweg versammelten. Dieses zweigleisige Vorgehen zeigte, wie sich die Türkei nach allen Seiten absicherte, indem sich Ankara auf alle Fälle vorbereitete.

Als sich Assad weigerte die Spannungen zu entschärfen, dringend erforderliche Reformen durchzuführen und die Razzien zu beenden, kritisierten türkische Regierungsvertreter das syrische Regime hart und verurteilten es auch auf internationaler Ebene. Indem sich die Türkei gegen den einstigen Verbündeten wendete, konnte sie als eine Nation in Erscheinung treten, die ihr konsequentes Engagement für politische Reformen in der arabischen Welt unterstreicht. Dies stand in krassem Widerspruch zu den Ungereimtheiten, die sich in der Politik der anderen Großmächte sowohl innerhalb als auch außerhalb der Region zeigten.

Die Einbindung regionaler Mächte

Der bedeutende Aufschwung der Türkei ergab sich auch aus den Beziehungen mit den anderen regionalen Mächten: Iran, Israel und dem von Saudis geführten Golf-Kooperationsrat (Gulf Cooperation Council – GCC).

Gegenüber dem Iran nahm die Türkei eine sehr anspruchsvolle und vielschichtige Position ein. Auf der einen Seite verstärkte Ankara seine kommerziellen und wirtschaftlichen Beziehungen mit Teheran exponentiell, diente als wichtiger Energiemarkt und nahm Investitionen vor. Die Türkei handelte aber auch als Vermittler in der Konfrontation mit dem Westen wegen Teherans Atomprogramm. Darüber hinaus war Ankara auch als Finanzvermittler tätig, als Sanktionen Irans Ölgeschäfte mit Ländern wie Indien trafen. Kürzlich koordinierten die Türkei und Iran auch ihre gemeinsamen Operationen gegen kurdische Separatisten im Irak.

Auf der anderen Seite hält sich die Türkei wenig dabei zurück, ihre eigene politische Agenda voranzutreiben, auch wenn die bilateralen Beziehungen mit Iran dadurch belastet werden. Die Türkei stimmte zum Beispiel der Aufstellung eines NATO-Raketenabwehrsystems auf ihrem eigenen Boden zu. Daraufhin protestierte Teheran gegen diesen Schritt mit dem Argument, die Abschirmung könnte Irans Abschreckungsfähigkeit durch den Einsatz ballistischer Raketen einschränken, da sich das islamische Regime laufenden militärischen Drohungen ausgesetzt sehe. Darüber hinaus fand die sehr kritische und aggressive Haltung der Türkei gegenüber Syrien bei den Iranern wenig Anklang, die im syrischen Regime einen wichtigen Verbündeten sehen.

Der weltliche Hintergrund der Türkei trug auch dazu bei, sektiererische Probleme zu umgehen, die die anhaltenden Proteste prägten. Da sie starke Beziehungen zu beiden schiitischen und sunnitischen Ländern hat, kann die Türkei glaubhaft behaupten, dass seiner Außenpolitik sektiererische Tendenzen fehlen.

Alle Straßen führen nach Ankara

Jüngste Umfragen unter den arabischen Ländern ergaben ein sehr positives Bild von der Türkei. Nach Erhebungen des türkischen Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung und des Arabisch-Amerikanischen Instituts in Washington betrachten Araber die Türkei nicht nur als eine Modellnation sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht. Sie sehen in ihr auch eine echte regionale Macht, die demokratischen Werten und politischen Reformen in der arabischen Welt verpflichtet ist. Darüber hinaus vertieft Ankara auch seinen regionalen Einfluss, indem es starke Verbindungen mit aufstrebenden post-autokratischen Regimen in Ägypten, Libyen und Tunesien aufbaut.

Am stärksten zeigt sich der Aufstieg der Türkei zur Führungsmacht in dieser Region vielleicht darin, dass Ministerpräsident Erdogan in die arabischen Länder reisen möchte, die in den letzten Monaten demokratische Umwälzungen erlebten.

Vom türkischen Regierungschef wird erwartet, dass er die Unterstützung seines Landes für die demokratischen Bewegungen in der arabischen Welt hervorhebt, gleichzeitig aber die arabischen Regimes zu demokratischen Reformen ermutigt. Begleitet von einem Heer von hohen Persönlichkeiten aus dem Geschäfts- und Wirtschaftsleben, wird von ihm auch erwartet, dass die Türkei ihre wirtschaftliche Präsenz in der post-revolutionären Phase des Wiederaufbaus und der Wiederherstellung festigt. Gesegnet mit ideellem Charme und einem leistungsfähigen Wirtschaftsmuskel, hat die Türkei eine gute Chance, sich einen Platz im Zentrum der Nahostpolitik zu sichern.

Trotz einiger ernsthaften und anhaltenden Sorgen macht die eigene demokratische Legitimation das Land zu einem Leuchtfeuer der Inspiration für eine stabilere und demokratischere arabische politische Landschaft. Die Vereinigten Staaten haben allen Grund, den Aufstieg der Türkei zur vorherrschenden Macht zu unterstützen. Auf diese Weise könnte Washington andere regionale Mächte inspirieren, diesem Beispiel zu folgen und in Übereinstimmung mit internationalen Normen und dem Geist der Zeit verantwortungsvoll zu handeln.

Der in Manila lebende Richard Javad Heydarian schreibt Beiträge für Foreign Policy In Focus und ist Analyst für Außenpolitik.

Artikel auf Englisch: Arab Spring, Turkish Harvest

 

 



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