Ausländeranteil im geschlossenen Strafvollzug steigt europaweit

Eine Berner Studie zu Fragen der Re-Sozialisation und Anforderungen an die Mitarbeiter
Von 26. Juni 2006

In den geschlossenen Strafanstalten der Schweiz liegt der Ausländeranteil seit Anfang der 1990er Jahre zwischen 70 und 80 Prozent. Sozialanthropologen und Juristen untersuchten im Rahmen eines Nationalen Forschungsprogramms diese seit Mitte der 80er Jahre stattfindende Tendenz, die auch in anderen europäischen Ländern zu beobachten ist. Sie steht in Zusammenhang mit erhöhter „Fluchtgefahr“ bei Ausländern, während für Schweizer eher Strafen im offenen Vollzug oder alternative Sanktionsformen angeordnet werden.

Die Studie der Universität Bern beschäftigte sich unter anderem mit der Frage der Re-Sozialisation der Insassen, die oft Asylsuchende sind oder keine Aufenthaltsbewilligung besitzen. Durchgeführt wurde sie von 2003 bis 2005 in den zwei geschlossenen Berner Strafanstalten Hindelbank und Thorberg.

Vielfältige Gefängnispopulation

Die Zusammensetzung der Population der beiden Anstalten spiegelt Phänomene moderner Migration und international organisierter Kriminalität wider. Die ausländischen Strafgefangenen in Hindelbank und Thorberg stammen heute kaum mehr aus den Nachbarstaaten der Schweiz, sondern zu großen Teilen aus Lateinamerika (Frauen) und Südosteuropa (Männer). Insgesamt befinden sich in den beiden Anstalten gegenwärtig Menschen aus über 40 Ländern. Zwei Drittel der ausländischen Strafgefangenen verfügten vor der Inhaftierung weder über eine Aufenthalts- noch über eine Niederlassungsbewilligung, was zur Folge hat, dass sie die Schweiz nach der Entlassung verlassen müssen.

Frauen ohne Bewilligung waren mehrheitlich als Drogenkurierinnen tätig. Von den Männern dieser Gruppe war gut ein Drittel vor der Inhaftierung als Asylsuchende registriert. Auch sie werden in der Regel nach der Entlassung zur Ausreise verpflichtet. Personen mit schweren Delikten werden selbst dann, wenn eine Aufenthalts- oder eine Niederlassungsbewilligung vorliegt, meist ausgewiesen.

Resozialisierung stößt an Grenzen

Die Strafanstalten sehen sich bei der Umsetzung des gesetzlich verankerten Resozialisierungsauftrags bei Strafgefangenen, die die Schweiz verlassen müssen, vor besondere Schwierigkeiten gestellt. Einerseits ist eine schrittweise Wiedereingliederung durch Hafturlaub oder durch Arbeit außerhalb der Anstalt verbaut, andererseits ist es praktisch unmöglich, eine Wiedereingliederung im Herkunftsland zu unterstützen. Der Schwerpunkt der Resozialisierungsbemühungen verschiebt sich daher von einer auf die Schweiz ausgerichteten gesellschaftlichen (Re-) Integration hin zu einem Modell der Integration ins Anstaltsleben. Dabei stehen neben Arbeit und beruflicher Bildung auch Persönlichkeitsbildung, etwa die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie oder das Erlernen sozialer Umgangsformen im Vordergrund. Bildungsaktivitäten oder vertiefte Arbeit im sozialen oder psychologischen Bereich sind aber wegen Kommunikationsproblemen oft kaum möglich.  

Die vielen Sprachen, unterschiedliche religiöse Praktiken und Ernährungsgewohnheiten bleiben eine ständige Herausforderung für die Gefängnisse. Verschiedene Anpassungen sind diesbezüglich bereits in die Wege geleitet worden. So ist heute zum Beispiel die Betreuung durch nichtchristliche Seelsorgende, das Einhalten von religiösen Geboten sowie der Kauf von Lebensmitteln, die nicht zum typisch schweizerischen Menuplan zählen, möglich. Allerdings sind dem Gewähren von Freiräumen kultureller, religiöser und sozialer Art aufgrund der strengen Sicherheitsvorschriften im geschlossenen Strafvollzug enge Grenzen gesetzt.

Herausforderung Qualitätssicherung

In nächster Zeit ist kein Rückgang des hohen Ausländeranteils im geschlossenen Strafvollzug zu erwarten. Die am Projekt beteiligten Forschenden kommen deshalb zu dem Schluss, dass systematisch und gemeinsam mit den Strafvollzugspraktikern Instrumente entwickelt werden müssen, mit welchen die Strafanstalten Kommunikationsprobleme, Fragen des alltäglichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlichster Herkunft auf engem Raum sowie eine sinnvolle und qualitativ gleichwertige Vorbereitung aller Strafgefangenen auf die Zeit nach der Entlassung angehen können. Zu denken ist etwa an den Einsatz von Dolmetschern, an den Einbezug in Rückkehrprogramme und an eine individuelle Vollzugsplanung für alle Strafgefangenen.

Silke Jelkic



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