Der Brexit ist da: Großbritannien geht – und in der EU werden die Zentralisten noch stärker

Heute um Mitternacht wird Großbritannien endgültig die Europäische Union verlassen. Premier Boris Johnson verkündet zur Feier des Tages finanzielle Erleichterungen für Millionen arbeitender Briten. Der Rest der EU könnte unterdessen noch tiefer in den Sozialismus abgleiten.
Titelbild
Die Westminster Bridge vor dem Houses of Parliament in London.Foto: GLYN KIRK/AFP via Getty Images
Von 31. Januar 2020

Um 11 Uhr Ortszeit wird Großbritanniens Premierminister Boris Johnson am heutigen Freitag (31.1.) vor die Mikrofone treten, um „den Beginn eines neuen Zeitalters“ für Großbritannien zu verkünden. In seiner Rede wird er, wie mehrere britische Zeitungen vorab berichten, erklären, das Inkrafttreten des Brexits, des Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union, sei „kein Ende, sondern ein Anfang“. Er werde einen „Augenblick tatsächlicher nationaler Erneuerung und Veränderung“ markieren.

Zur Feier des Tages wird die Downing Street für die arbeitende Bevölkerung in Großbritannien gleich zwei Vergünstigungen in Kraft setzen. Zum einen, so schreibt der „Telegraph“, wird es eine Steuersenkung für 31 Millionen Bürger des Vereinigten Königreiches geben. Zudem wird die Einkommenshürde angehoben, ab der Briten verpflichtet sind, Sozialbeiträge zu bezahlen.

Pompeo kündigt „Goldstandard eines Handelsabkommens“ an

US-Außenminister Mike Pompeo, der Johnson am Vorabend des „Brexit Days“ noch in London besucht hatte, hat die Handelsgespräche zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien als „Frontlinie“ für einen künftigen transatlantischen Freihandelsvertrag bezeichnet. Die spezielle Beziehung zwischen Washington und London könnten, so Pompeo, um „eine weitere Stufe“ nach oben gesetzt werden, sodass ein „Goldstandard eines Handelsabkommens“ auch die bislang zögerliche EU unter Zugzwang setzen würde.

Im Vorfeld der Zustimmung der EU-Mitgliedstaaten zur Brexit-Vereinbarung zwischen der britischen Regierung und Brüssel hatte es in Deutschland, Österreich und Slowenien noch Katzenjammer gegeben: Besagte drei Länder verfügen über kein bilaterales Auslieferungsabkommen mit Großbritannien. Die Folge ist, wie der „Telegraph“ schreibt, dass in bestimmten Fällen, in denen die Verfassungen der jeweiligen Länder die Auslieferung eigener Staatsbürger untersagen, eine Auslieferung flüchtiger Straftäter nicht stattfinden könne.

Für die EU selbst schwant Dorothea Siems, der Chefökonomin der „Welt“, als Folge des Brexits unterdessen Böses. Mit Großbritannien, so analysiert sie, verliere die EU nicht nur eines ihrer Schwergewichte, sondern die wirtschaftsliberalen Länder im Staatenbund – zu denen sie auch Deutschland zählt – büßten ihren wichtigsten Verbündeten ein:

Die Folge: Die Südeuropäer bekommen mehr Gewicht – und mit ihnen Staatsgläubigkeit und Zentralismus. Der Wandel beginnt schon.“

In Brüssel verlieren Etatisten und Zentralisten ein mächtiges Gegengewicht

Nun drohe in Brüssel „im Zweifel eine Mehrheit für zunehmende Staatsgläubigkeit statt für Unternehmertum und für mehr Zentralismus statt für Standortwettbewerb“.

Mit London gehe der EU nicht nur ihr wichtigster Finanzplatz verloren. Großbritannien sei auch die Heimat einer der innovativsten Start-up-Szenen des Kontinents. Der weitere Bedeutungszuwachs staatssozialistischer Konzepte, den der Abschied Großbritanniens nach sich ziehen werde, könnten die Europäer im weltweiten wirtschaftlichen Wettbewerb mit Amerika und Asien noch zusätzlich an Terrain verlieren.

Zudem sei noch weniger Gegenwehr zu erwarten, wenn es um weitere zentralistische Gestaltungsansprüche Brüssels gehe – von der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik bis zum „Green Deal“. Für Frankreich mit seinen hohen Mindestlöhnen würde es einen Vorteil mit sich bringen, sollte Brüssel eine EU-weite Regelung durchsetzen, wonach der gesetzliche Mindestlohn in jedem Mitgliedstaat bei mindestens 60 Prozent des mittleren Einkommens liegen müsste. In den osteuropäischen Ländern könnte eine solche Vorgabe zu ähnlich verheerenden Folgen für den gerade erst mühsam errungenen Wohlstand führen wie die „bedenklich wenig Vertrauen in marktwirtschaftliche Prozesse“ zeigende Ankündigung des „Green Deal“.

Je mehr Bereiche entstünden, in denen Brüssel im Wege der Mehrstimmigkeit Entscheidungen treffen könne, umso mehr werde sich die Situation zuspitzen. „Die Gefahr ist groß, dass dieser Kurs Europa wirtschaftlich endgültig auf eine Kriechspur führt“, schreibt Siems.

Nicht London könnte hohen Preis für Brexit bezahlen, sondern Berlin

Die unterschiedlichen Wege, die London und Brüssel politisch beschritten hätten, würden mögliche Unwägbarkeiten jedoch schon bald minimieren oder gar ins Gegenteil verkehren können:

Doch wenn die Briten wie geplant mit Steuersenkungen und Freihandelsabkommen eine liberale Wirtschaftspolitik betreiben, während die EU lieber die Belastbarkeit ihrer Wirtschaft testet, könnte sich der Brexit am Ende doch noch als der Befreiungsschlag erweisen, als den ihn seine Befürworter darstellen.“

Dass nicht die Briten, sondern die Deutschen einen hohen Preis für den Brexit zahlen könnten, argwöhnt auch Publizist Gabor Steingart in seinem „Morning Briefing“-Podcast. Die SPD-Europaabgeordnete und Halb-Britin Katharina Barley bestätigt dies indirekt auch im Gespräch, das „Welt“-Redakteur Robin Alexander für das Format mit ihr führte.

Mit dem Brexit, so erwähnt die SPD-Politikerin, werden auf den EU-Haushalt Mindereinnahmen von bis zu zehn Milliarden Euro zukommen. Während Einsparungen und das Zurückdelegieren von Befugnissen an die Mitgliedstaaten ein Weg wären, darauf zu reagieren, bevorzugt Barley einen Ausgleich des Fehlbetrages durch alle verbleibenden EU-Mitglieder. Im „Morning Briefing“ sagt sie:

Der Beitrag von allen Mitgliedsstaaten sollte steigen. Wir müssen das auffangen. Das ist allen klar.“

„Churchill wäre im Johnson-Lager gewesen“

Steingart weist in seiner Analyse darauf hin, dass die Betonung der britischen Eigenständigkeit gegenüber Kontinentaleuropa in der Geschichte eher die Regel als die Ausnahme gewesen sei. Er ist überzeugt: „Würde Winston Churchill noch leben, wäre er heute im Johnson-Lager.“

Zwar habe auch der berühmte britische Kriegspremier 1946 vor der Universität Zürich davon gesprochen, dass man „eine Art Vereinigter Staaten von Europa“ aufbauen müsse. Großbritannien solle dabei jedoch wie „das mächtige Amerika und, ich hoffe, Sowjetrussland“ zu den „Freunden und Förderern des neuen Europas“ gehören – was im Umkehrschluss implizierte, dass es nicht unbedingt Teil davon sein solle.

Churchill selbst hatte bereits im Jahr 1930 erklärt, dass Großbritannien zwar eine globale Perspektive habe, aber dabei den Gedanken der Souveränität nicht ad acta gelegt wissen wolle:

Das Land hat seine eigenen Träume und Aufgaben. Wir gehören zu keinem einzelnen Kontinent, sondern zu allen.“

Auch Steingart rechnet nicht mit ökonomischen Verwerfungen, die der Brexit Großbritannien einbringen könnte. Vielmehr überwiege selbst unter den einst Brexit-kritischen Investoren der Londoner City die Hoffnung auf „ein von der Brüsseler Bürokratie befreites Land und damit auf eine Regulierungsarbitrage“. Dazu kämen weitreichende Handelsabkommen mit den USA, Kanada und Australien, die der britischen Wirtschaft – die vom europäischen Binnenmarkt deutlich weniger abhängig sei als Deutschland – zusätzliche Impulse verleihen würden.



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