Energiekrise, Rentenreform, Politikfrust – Neuer Staatschef vor großen Herausforderungen

Frankreich bekommt ein neues Staatsoberhaupt. Am Sonntag steht der Präsident oder die Präsidentin fest. Die Herausforderungen für die neue Regierung sind groß. Im Juni folgt dann die Parlamentswahl.
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Emmanuel Macron und Marine Le Pen im TV-Duell.Foto: LUDOVIC MARIN/AFP via Getty Images
Epoch Times21. April 2022

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Nach der Wahl ist in Frankreich vor der Wahl: Sobald am Sonntagabend der neue Präsident oder die neue Präsidentin gewählt ist, richten sich die Augen auf die sogenannte „dritte Runde“, die Parlamentswahl am 12. und 19. Juni.

Für die Amtszeit des nächsten französischen Staatsoberhaupts zeichnen sich schwierige Entscheidungen und Krisen ab. In den vergangenen Jahren hatte Präsident Emmanuel Macron mit den Massenprotesten der „Gelbwesten“ und der Corona-Pandemie zu tun. Nun erwarten ihn oder eine mögliche Nachfolgerin Marine Le Pen neue Großbaustellen.

Energiekrise und Klimawandel

Wer auch immer die Wahl gewinnt, muss sich zu den rasant steigenden Preisen für Strom und Gas verhalten. Sowohl Macron als auch Le Pen würden die staatliche Preisdeckelung vorerst beibehalten und die Energieversorgung von russischen Importen unabhängiger machen.

Macron hat bereits den Bau von bis zu 14 neuen Atomreaktoren angekündigt, will aber auch massiv in erneuerbare Energien investieren. Le Pen plant bis zu 20 neue Atomreaktoren und will den Bau der in Frankreich stark umstrittenen Windräder stoppen.

Macron gilt als bekennender Klimapolitiker, der während des ersten Mandats jedoch weit hinter seinen Ankündigungen zurückgeblieben ist. Er will dem künftigen Premierminister die Zuständigkeit für Umwelt übertragen. Im Programm von Le Pen spielt das Klima-Thema keine große Rolle.

Rentenreform

Derzeit liegt das Renteneintrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren – und es gibt 42 verschiedene Rentensysteme. Macron will das Rentenalter auf 65 anheben und die Sondersysteme abschaffen, dabei aber trotzdem Rücksicht auf bestimmte Berufsgruppen nehmen.

Gegen Ende des Wahlkampfs erklärte er, dass die Rente mit 65 „kein Dogma“ sei. Er hatte sich bereits während des ersten Mandats an einer Rentenreform versucht, sie dann aber wegen der Pandemie nicht weiter verfolgt. Macron hält die Reform für notwendig, um das Sozialsystem weiter finanzieren zu können.

Le Pen hatte zunächst eine Rente mit 60 für alle Arbeitnehmer mit 40 Berufsjahren vorgeschlagen. Später differenzierte sie ihre Vorschläge. Arbeitnehmer, die zu Beginn ihres Arbeitsleben jünger als 20 waren und dann 40 Jahre gearbeitet haben, sollen mit 60 bei vollen Bezügen in Rente gehen können.

Je später jemand angefangen habe zu arbeiten, desto länger müsse er einzahlen, um in Rente gehen zu können. Le Pen bezifferte die Kosten ihres progressiven Systems mit knapp zehn Milliarden Euro jährlich. Die Denkfabrik Institut Montaigne schätzt die Kosten hingegen auf 27 Milliarden Euro.

Politikfrust und Extremismus

Bei der ersten Runde hatte die Wahlbeteiligung bei 74 Prozent gelegen, vier Punkte weniger als 2017. Vor allem bei jungen Menschen herrscht Politikverdrossenheit. Studierende an der Pariser Universität randalierten und besetzten Teile des Gebäudes, weil sie mit dem Wahlergebnis unzufrieden waren. „Weder Macron noch Le Pen“ stand auf einem ihrer Banner.

Falls das Ergebnis der Stichwahl knapp ausfällt, muss der Sieger davon ausgehen, dass ein erheblicher Teil der Franzosen ihn oder sie nicht unterstützt. In der ersten Runde hatte gut die Hälfte der Wähler für populistische oder radikale Kandidaten gestimmt. Sollte Le Pen gewinnen, wäre es ein Schock für das Land. Die gemäßigten Parteien würden sich vermutlich zusammenraufen, um eine starke Opposition zu bilden.

Europapolitik

Für Macron war die Europapolitik ein Schwerpunkt seiner ersten Amtszeit. Die EU-Ratspräsidentschaft, die Frankreich turnusgemäß im Januar für ein halbes Jahr übernommen hat, bot ihm eine zusätzliche Bühne, für den Ausbau der europäischen Souveränität zu werben. Der Ukraine-Krieg hat nach Ansicht vieler Europäer Macron in seinem Engagement für eine gemeinsame Verteidigung bestärkt. Sollte er gewinnen, wird Macron diese Politik fortsetzen.

Le Pen ist grundsätzlich EU-kritisch eingestellt, hat aber ihre früheren Forderungen nach einem Frexit oder einem Abschied vom Euro aufgegeben. Sie tritt für ein „Europa der Nationen“ ein und versucht seit einiger Zeit, mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban und dem italienischen Matteo Salvini eine Fraktion im EU-Parlament zu gründen.

Migration

Das klassische Thema Einwanderung hat durch den Ukraine-Krieg während des Wahlkampfs eine neue Aktualität bekommen. Frankreich habe die Pflicht, ukrainische Flüchtlinge „unter den bestmöglichen Umständen aufzunehmen und zu schützen“, sagte Macron.

Le Pen zeigte sich offen für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, einen Begriff, mit dem sie ukrainische von anderen Flüchtlingen trennen wollte, der aber rechtlich keinen Bestand hat. Wesentlich heikler ist die Frage nach dem Umgang mit den nicht-europäischen Flüchtlingen, die etwa in Calais unter unwürdigen Bedingungen hausen.

Sowohl Macron als auch Le Pen wollen die Außengrenzen des Schengenraums besser schützen. Le Pen plant zudem Kontrollen an den Binnengrenzen, die vor allem auf Nicht-EU-Ausländer zielen. Die rechtsgerichtete Politikerin will die Verfassung ändern, um Privilegien für Franzosen etwa bei der Vergabe von Jobs und Wohnungen festzuschreiben.

Wie sieht die Amtsübernahme aus?

Macron hatte sich 2017 für einen feierlichen Auftritt vor dem Louvre entschieden. Falls er im Amt bleibt, wird der Beginn des zweiten Mandats nüchterner ausfallen. Auf eine erneute Fahrt über die Prachtstraße der Champs-Elysée würde er verzichten. Eine Zeremonie soll es aber geben.

Premierminister Jean Castex hat bereits seinen Rücktritt im Fall eines Wahlsiegs von Macron angekündigt. Macron würde vermutlich erneut Politiker aus dem linken und rechten Lager in sein Kabinett holen. Seine erste Dienstreise würde traditionell nach Berlin gehen.

Falls Le Pen das höchste Staatsamt übernimmt, würde ihr Vater bei ihrer Amtseinführung anwesend sein, sagte sie. Ihrem rechten Konkurrenten Eric Zemmour und ihrer Nichte Marion Maréchal, die zu Zemmour übergelaufen ist, will sie keinen Platz in ihrem Kabinett einräumen. Ihre erste Dienstreise würde nach Brüssel gehen.

Was würde ein Sieg Le Pens für Europa bedeuten?

Es wäre für Kritiker ein drittes politisches Erdbeben nach dem Brexit und dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA. Le Pen würde eine Kehrtwende in der Europapolitik einläuten und unter anderem die gemeinsame Verteidigung aufkündigen. Die Allianz westlicher Staaten gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin wäre gefährdet. Le Pen lehnt Sanktionen ab, um die französische Wirtschaft nicht zu gefährden.

Wie wird die Parlamentswahl im Juni verlaufen?

Macrons Partei La République en Marche ist nicht besonders stark in der Fläche verwurzelt. Sie müsste viele Allianzen schmieden, um Kandidaten in die Nationalversammlung zu schicken. Dies ist auf regionaler Ebene aber oft einfacher als auf nationaler Ebene, zumal die Kandidaten der Sozialisten in der ersten Runde äußerst schlecht abgeschnitten haben.

Le Pen hat seit Jahren daran gearbeitet, landesweit ein Netz von Bürgermeistern und Parlamentariern aufzubauen. Ihre Partei ist vor allem in ehemaligen Industriegebieten und im Süden Frankreichs stark, wo viele ihrer Wähler Angst vor dem Monatsende und vor kriminellen Einwanderern haben.

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, der mit 21 Prozent auf den dritten Platz gekommen war, brachte sich bereits als Premierminister ins Gespräch, falls seine Partei gut abschneidet. (afp/dpa/red)



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