EU-Gipfel nur wegen Corona abgesagt? Außenpolitische Uneinigkeit könnte tatsächlicher Grund sein

Wurde der für Donnerstag geplante EU-Gipfel abgesagt, weil Merkel einen außenpolitischen Super-GAU fürchtete? Uneinigkeit und unterschiedliche Prioritäten in der Außenpolitik hätten sogar die geplanten Sanktionen gegen Weißrussland platzen lassen können.
Titelbild
Der Medienbereich im Atrium des EU-Ratsgebäudes am vierten Tag des EU-Gipfels am 20. Juli 2020. Damals trafen sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union persönlich in Brüssel, um sich auf einen wirtschaftlichen Rettungsplan in Höhe von 750 Milliarden Euro (860 Milliarden Dollar) zu einigen.Foto: JOHN THYS/POOL/AFP über Getty Images
Von 24. September 2020

Offiziell wurde der für Donnerstag (24.9.) geplante EU-Gipfel wegen eines Corona-Falls unter den Teilnehmern abgesagt. Die „Welt“ argwöhnt jedoch in einer Analyse, dass mit der Absage ein Scheitern in wichtigen Tagesordnungspunkten verhindert werden sollte – und damit eine Blamage, die am Ende auf die deutsche Ratspräsidentschaft unter Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückfallen hätte können.

Ein multiples Risiko der Ergebnislosigkeit hätten nicht zuletzt Fragen wie Weißrussland, die Migrationspolitik, der Konflikt mit der Türkei im Mittelmeer oder Nawalny eröffnet.

Quittung für offensive „Wertepolitik“ Deutschlands und Frankreich?

Bereits in den Jahren zuvor hatte sich mehrfach abgezeichnet, dass sich Länder wie Deutschland und Frankreich mit ihrer Beschwörung von „mehr Europa“, dabei aber auch einer robusten „werteorientierten“ Politik nach innen und außen, möglicherweise weiter aus dem Fenster lehnen als ihrer Sache gut tut.

In der Zeit seit der Ukraine-Krise waren sie über Jahre hinweg die treibende Kraft in der Sanktionspolitik gegen Russland – während damals schon mehrere mittel-, süd- und osteuropäische Staaten wie Österreich, Italien, Tschechien, Ungarn oder Griechenland offen Bedenken äußerten. Gleichzeitig versuchte man durch Beteiligung am Minsk-Prozess, die Lage zu entschärfen.

Gegenüber der Türkei hatten sich beide Länder zurückhaltender gezeigt: Zum einen stand man auf der Seite Ankaras, als Präsident Erdoğan zu den treibenden Kräften eines angestrebten Regierungswechsels in Syrien stand, zum anderen wusste man in der Türkei zu viel über das gezielte Wegsehen westeuropäischer Regierungen, als es um die Durchreise von IS-Terroristen aus Ländern wie Frankreich, Deutschland oder Großbritannien ging. In vielen Fällen hatte man die Dschihadisten trotz Hinweisen ziehen lassen in der Hoffnung, dass sie aus dem Kampfgebiet nicht mehr zurückkehrten.

Zypern wollte Weißrussland-Sanktionen bei EU-Gipfel von solchen gegen die Türkei abhängig machen

Mit der Eskalation der Flüchtlingskrise wurde die Türkei aber auch als Schleusenwärter zu wertvoll. Auch deshalb erscheint die veränderte Strategie der Konfrontation als Stilbruch, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in den vergangenen Wochen gegenüber Ankara fuhr – unter anderem in Libyen und bezüglich des Konflikts zwischen der Türkei und Griechenland bzw. Zypern im Mittelmeer. Zypern drohte, so berichtet die „Welt“, auf dem Gipfel sogar Sanktionen gegen Weißrussland scheitern zu lassen.

Grund dafür sei nicht so sehr Anteilnahme oder gar Abhängigkeiten vom dortigen Machthaber Lukaschenko. Vielmehr wollte Nikosia mit seiner Blockadehaltung Sanktionen gegen die Türkei erzwingen, die bezüglich des Gaskonflikts im östlichen Mittelmeer Druck macht.

Auch Polen, jahrelang von Deutschland und Frankreich wegen angeblicher Defizite im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zum Buhmann aller werteaffinen Europäer mit Haltung gestempelt, macht Druck: Wenn es Frankreich und Deutschland mit ihren moralischen Mahnungen tatsächlich so ernst meinen, so der Tenor, wäre es jetzt an der Zeit, dies zu beweisen. Dies könne man gegenüber Weißrussland, wo viele Polen leben und Warschau eine russische Invasion und vielleicht eine Massenflucht nach Polen fürchtet; und gegenüber Russland, dem man vorwirft, durch Nord Stream 2 ganz Europa in Abhängigkeit vom Kreml bringen zu wollen.

Macron müsste gegen Russland zweite Kehrtwende vollziehen

Hingegen lassen Themen wie der Konflikt zwischen Griechenland, Zypern und der Türkei die Öffentlichkeit in Polen kalt. Auch was das Flüchtlingslager in Moria anbelangt, schafft es die dortige Problematik in Polen, aber auch Tschechien, Ungarn oder der Slowakei, allenfalls als Randnotiz in die Medien. Eine Aufnahme der Migranten und Flüchtlinge schließt man dort jeweils aus.

Gleichzeitig stehen Deutschland und Frankreich in Sachen Nawalny vor einem Dilemma. Macron hatte bereits im Vorjahr angekündigt, eine Einbindung Russlands und eine neue strategische Partnerschaft ins Auge zu fassen. Damit hatte er bereits eine Vielzahl an Personen vor den Kopf gestoßen, die sich 2017 bei seiner Wahl von Macron Härte gegenüber Moskau versprochen hatten.

Und auch in Deutschlands Regierung reicht der Realitätssinn so weit, dass man weiß: Übertriebene Sanktionen gegen Russland aufgrund der versuchten Tötung des Enthüllungsjournalisten, vielleicht noch verbunden mit einem Ende für Nord Stream 2, könnten sich am Ende als böses Eigentor erweisen. Immerhin hat sich Berlin durch seine vielfältigen Ausstiegsentscheidungen der vergangenen Jahre zwar das Wohlwollen der heimischen Medien und der Klima-Kinder erkauft – die Abhängigkeit von Energieimporten und damit auch von Russland als deren bedeutendstem Anbieter ist dadurch jedoch nicht kleiner geworden.

Fällt Schweden Deutschland bei Flüchtlingspolitik in den Rücken?

Während aus den skandinavischen Staaten und dem Baltikum grundsätzlich Bereitschaft signalisiert wird, in Sachen Nawalny klarere Worte gegenüber Moskau zu finden, und man in Weißrussland demonstrativ die Opposition unterstützt, dürfte Italiens Regierungschef vorsichtiger agieren. Grundsätzlich hatte er zwar Merkel in Sachen Nawalny versichert, die Position Brüssels und Berlins zu teilen. Andererseits ist seine Regierung von der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung abhängig und Unterstützung aus der Rechtsopposition ist für einen russlandkritischen Kurs auch nicht zu erwarten.

Unterdessen deuten sich auch in der Migrationspolitik erstmals Sollbruchstellen zwischen Deutschland und Schweden an. Während bis dato auch dort eher die moralisierende Komponente in der Einwanderungsdebatte im Vordergrund stand, sind in den vergangenen Wochen erstmals ungewohnte Töne aus den Reihen der Sozialdemokraten zu hören. Ministerpräsident Stefan Löfven brachte Gewaltexzesse, Bandenkriege, Bombenanschläge und Parallelgesellschaften, wie sie immer schwerer zu übersehen waren, mit Einwanderungswellen der vergangenen Jahre in Verbindung.

Ob daraus ein Kurswechsel wird, der sich etwa an der Politik der dänischen Sozialdemokratie orientiert, ist noch ungewiss. Dass Schweden bereits bezüglich einer möglichen Aufnahme von Moria-Flüchtlingen abgewunken hat, dürfte in Berlin erste Illusionen über eine breite Koalition der Willigen in Europa zerstört haben.



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