Händels Oper „Teseo“ im Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt

Titelbild
William Towers (Egeo) und Gaëlle Arquez (Medea) in "Teseo" von Händel.Foto: Barbara Aumüller
Von 6. Juni 2013

 

Eines der unbekanntesten, aber kreativsten Werke von Georg Friedrich Händel ist derzeit im „Bockenheimer Depot“ der Oper Frankfurt am Main zu erleben.

Händels „Teseo“ wurde 1713 mit Prachtkulisse und ausgeklügelter Bühnentechnik uraufgeführt, doch erst 1947 wurde das Werk wieder ausgegraben: Im antiken Griechenland konkurriert Kriegsheld Teseo mit König Egeo um die Macht und eine gewisse Agilea. Doch auch die unberechenbare Hexe Medea ist in Teseo verliebt, was die Sache unnötig kompliziert macht. Sechs Personen, viel Eifersucht, Rache und ein unlogisches Happy End bilden ein Handlungskonzept voll guter Arien-Anlässe.

Regisseur Tilman Köhler gelang bei dieser Frankfurter Erstaufführung der Glücksfall einer zeitgemäßen Inszenierung. Mit modernen Kostümen (Susanne Uhl), einem kargen Bühnenbild mit wenigen, aber erstaunlichen Verwandlungen (Karoly Risz) und einer Regie aus dosierten Posen und Gesten, die die Sinnlichkeit der Musik unterstützen ohne peinlich zu werden, wurde es ein spannendes Kammerspiel, das ganz von der Musik und ihren Interpreten getragen wurde. Vor allem aber war es ein Abend der starken Charaktere. Jeder einzelne brachte Persönlichkeit, Unverwechselbarkeit und große Spielfreude ein – was die stimmlich sehr unterschiedlichen Ensemblemitglieder zum unschlagbaren Team zusammenschweißte. Die Sänger mussten als „geschlossene Gesellschaft“ im Sartre´schen Sinn die ganze Zeit anwesend sein. Was sonst oft ermüdend wirkt, in diesem intimen Rahmen war es intelligente Psychologie.

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Die Herren hätten gegensätzlicher kaum sein können. Als König Egeo brillierte William Towers, der als echter Countertenor im Falsett und ohne Vibrato sang – eine makellose Stimme von spröder Schönheit. Selbst ein langes Elend im dunklen Anzug, spielte er den Egeo als verklemmten Bürohengst mit großen Ambitionen. So schüttelte er der ersten Reihe staatsmännisch die Hände, während seinem Mund die Koloraturen entsprudelten. Und das war nur einer der ironischen Momente, für die er an diesem Abend zuständig war.

Flammende Leidenschaft und Farbenpracht, gepaart mit Präzision und Kraft, setzte Altus Matthias Rexroth als königlicher Berater dagegen. Mit seiner heldisch timbrierten Mischung aus Bruststimme und Falsett hauchte er dem notorisch eifersüchtigen „Arcane“ so glaubwürdiges Leben ein, dass aus seiner Nebenfigur ein omnipräsenter Charakter wurde. Mit Arcanes Auftrittsarie „O cruda gelosia“ einem schlichten, melancholischen Stückchen Musik, zwang er das Publikum förmlich zum ersten Szenenapplaus der Aufführung. Und das war nur einer der großen Opern-Augenblicke, die er mit seiner Partie kreierte.

Heftige Konkurrenz bekamen die Herren jedoch von Jenny Carlstedt als Teseo, die eine ungeahnt glaubwürdige Männerdarstellung hinlegte. In Jeans und Shirt mit zurückgegeltem Haar versprühte sie pubertäres Testosteron in Gestik und Haltung. Obwohl ihr Mezzosopran gemessen an den vokalen Stars des Abends „nur“ zur soliden Mittelklasse gehörte, schlug ihr Gesamterscheinung ein wie eine Bombe. Sie harmonierte von der Klangfarbe her perfekt mit ihrer Bühnenpartnerin Juanita Lascarro, was sehr schön beim Liebesduett von Teseo und Agilea zur Geltung kam.

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Die lyrischen Soprane Juanita Lascarro als Agilea und Anna Ryberg als Clizia gingen mit einem Lächeln und vollem Einsatz darüber hinweg, dass sie eigentlich keine Barockstimmen sind. Tremolierendes Vibrato und verwischte Koloratur-Klangwolken musste man ihnen verzeihen. Die Publikumsgunst war uneingeschränkt auf ihrer Seite, weil Händels ungleiches Freundinnen-Paar seine Parts so charismatisch gestaltete. Zart wie ein verletztes Reh hatte Juanita Lascarro ihre Stärken an den tragischen Stellen ihrer Rolle, während Anna Ryberg die kesse, emanzipierte Blondine gab.

Dominante Stimme bei den Damen und schauspielerisch die Königin des Abends war Gaëlle Arquez als Medea. Dank der ungewöhnlichen Dramaturgie des Stücks tritt sie erst spät auf, um die ganze Handlung an sich zu reißen. Die Regie gab ihr ein Entrée mit der Axt durch die Wand und die Frau im magisch-blauen Schleppenkleid hielt, was dieser Auftritt versprach: Ihre Mitspieler auf Trab und das Publikum in Atem. Mit geschmeidigem, hellen Mezzosopran und facettenreicher Weiblichkeit sang sie die rachedurstige Zauberin unerwartet schön. Der treffsichere Furor, mit dem sie immer wieder kraftvolle Höhepunkte hinausschleuderte, faszinierte und weder die Länge der Partie noch ihre vielen Wutausbrüche schienen ihr etwas anzuhaben. Ein fulminanter Feuerball begleitete ihren Abgang.

Etwas leiser als üblich begleitete das Frankfurter Opern- und Museumsorchester die gesamte Aufführung, weil es auf originalen Instrumenten der Entstehungszeit spielte. Zirpend und pudrig schmeichelnd klang der gedeckte Streichersound, während die Bläser kantiger und „holziger“ als im heutigen Orchester, die Fagotte und Blockflöten beinahe folkloristisch anmuteten. Dirigent Felice Venanzoni brachte die Facetten und teils ungewöhnlichen Instrumentierungen des Teseo ausdrucksstark zur Geltung und antwortete ebenso sensibel wie zupackend dramatisch

auf Händels kreative Tonsprache, in der das Orchester die Seele der Handlung ist. Im pochenden Accellerando der Bässe beim letzten Auftritt der rachsüchtigen Medea dämmerte einem gar, dass der Angriff des „Weißen Hais“ (1975 für den Film von Steven Spielberg komponiert von John Williams) bereits vor 300 Jahren von Händel prophezeit worden war. Ob Herr Williams den „Teseo“ kannte? Nur eine der erstaunlichen Entdeckungen im Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt.

 



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