In „Klein-Syrien“ kippt langsam die Stimmung

Auf vielen Straßen von Gaziantep wird heute mehr Arabisch als Türkisch gesprochen. So allgegenwärtig sind die syrischen Flüchtlinge in der südtürkischen Stadt, dass die Einwohner im Scherz von "Klein-Syrien" sprechen.
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Flüchtlinge an der türkisch-syrischen Grenze.Foto: Gokhan Sahin/Getty Images
Epoch Times24. Mai 2018

Auf vielen Straßen von Gaziantep wird heute mehr Arabisch als Türkisch gesprochen, neben syrischen Bäckereien finden sich Gewürzläden, Schischa-Cafés und Restaurants, deren Speisekarten nur auf Arabisch sind.

So allgegenwärtig sind die syrischen Flüchtlinge in der südtürkischen Stadt, dass die Einwohner im Scherz von „Klein-Syrien“ sprechen. Manche bezeichnen die Integration der Syrer als Erfolgsgeschichte, doch wächst vor den Wahlen im Juni unter den Türken der Unmut.

„Unsere Kunden aus Gaziantep kommen nicht mehr zum Einkaufen zu uns. Dies ist zum Markt der Syrer geworden“, sagt der türkische Gemüsehändler Adil Bayraz mit einem leicht gezwungenen Lächeln. „Das ist wie die Hauptstadt Syriens, da sie zahlreicher sind als wir.“ Auch Hasan Amanakh, ein benachbarter Verkäufer, sieht die Syrer kritisch und beklagt, dass wegen ihres Zuzugs die Ladenmieten stiegen, während sein Umsatz sinke.

Knapp 500.000 Syrer haben sich in der Zwei-Millionen-Stadt angesiedelt, die 120 Kilometer nördlich der syrischen Handelsmetropole Aleppo liegt. Als der Bürgerkrieg in Syrien 2011 begann, war in der Türkei die Solidarität mit den bedrängten Nachbarn groß, und die Flüchtlinge wurden mit offenen Armen aufgenommen.

Doch heute, da ihre Zahl im Land auf insgesamt 3,5 Millionen angewachsen ist, nehmen die Spannungen zu. Besonders in Großstädten wie Istanbul, Izmir oder Gaziantep kommt es vermehrt zu Konflikten und viele Türken wollen inzwischen, dass die Syrer zurückkehren. Für die meisten Flüchtlinge kommt eine Rückkehr derzeit aber nicht in Frage.

In Gaziantep betonen viele Syrer ihre Dankbarkeit für die Gastfreundschaft der „türkischen Brüder“ und versichern wie der Kaffee- und Gewürzhändler Mohammed al-Hamawi, dass es bei den Beziehungen „keinerlei Probleme“ gebe. Auch Gazianteps Bürgermeisterin Fatma Sahin findet, dass es ihrer Stadt gut gelungen sei, „diese schwierigen Zeiten zu überwinden – ohne großen Schaden für die Leute, die hier leben“.

Im Schutz der Anonymität erzählen manche Syrer aber eine andere Geschichte. So sei es schwierig, von Banken Kredite zu erhalten oder auch nur ein Konto zu eröffnen. Vermieter würden sich weigern, Syrern Wohnungen und Läden zu vermieten. Im Alltag bekämen sie abschätzige Bemerkungen zu hören, und einige syrische Geschäfte seien sogar attackiert worden.

Laut einem Bericht der International Crisis Group von Januar ist die Zahl der gewaltsamen Konflikte zwischen Türken und Syrern im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. „Mindestens 35 Menschen wurden 2017 bei Zusammenstößen getötet, darunter 24 Syrer“, heißt es in dem Bericht. Indem die Behörden die Spannungen kleinredeten, werde eine wichtige öffentliche Debatte über die Frage der Integration verhindert.

Angesichts des wachsenden Unmuts unter den Türken betont Präsident Recep Tayyip Erdogan regelmäßig, dass die Syrer letztlich zurückkehren würden. Auch Gazianteps Bürgermeisterin Sahin versichert, dass die Syrer nach Hause wollten, sobald die Sicherheitsbedingungen in ihrer Heimat dies erlaubten. Die Einwohner verstünden, dass die Stadt bis dahin alles tue, „damit sich ihr Lebensstandard nicht verschlechtert“.

Viele Türken sind aber langsam mit ihrer Geduld am Ende. „Es gibt großen Verdruss gegenüber der Regierung“, sagt der Händler Amanakh. Selbst deren Anhänger hätten mittlerweile genug. Der Umgang der Regierung mit den Flüchtlingen werde sich gewiss auf seine Entscheidung bei den vorgezogenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 24. Juni auswirken.

Auch für die Hausfrau Sinem wird die Flüchtlingsfrage „auf jeden Fall“ eine Rolle bei der Stimmabgabe spielen. Die Beteuerungen der Regierung, dass die Flüchtlinge bald die Türkei wieder verlassen werden, können sie nicht länger überzeugen. „Es ist unmöglich, dass die Syrer zurückkehren“, sagt sie. „Syrien ist kaputt, dort gibt es nichts mehr.“ (afp)



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