Italien: Corona-Folgen könnten im Herbst eskalieren – Proteste und Unruhen befürchtet

In Italien wird ein Drittel der Geschäfte, die infolge des Corona-Lockdowns schließen mussten, nicht wieder aufsperren. Zudem wird befürchtet, dass die Folgen der Pandemie erst im Herbst voll durchschlagen. Die Milliarden-Zusagen der EU steigern das Vertrauen nur wenig.
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"Alle gemeinsam, ohne Angst" ist auf diesem Plakat in Italien zu lesen.Foto: CARLO HERMANN/AFP via Getty Images
Von 14. Juli 2020

Große Versprechungen, geringe Erwartungen und eine angespannte Stimmung liegen über Italien, dem Land, das bislang am stärksten von allen EU-Staaten von der Corona-Pandemie heimgesucht wurde.

Die chinesischen Propagandaauftritte sind seltener geworden, die Regierung versucht die Gemüter mit dem Verweis auf zugesagte EU-Hilfsmittel zu beruhigen, in den Touristengebieten hält sich der Andrang in Grenzen – auch wenn sich C-Promis wie das österreichische High-Society-Ehepaar Richard und Christine Lugner bereit erklärt hatten, als „Tourismus-Botschafter“ für Urlaub in Lignano zu werben.

Corona schafft auch in Italien neue Protestformationen

Wie instabil die Lage ist, schildert auch Julius Müller-Meiningen, der für den „Cicero“ und für die „Augsburger Allgemeine“ Lageberichte aus Rom und anderen italienischen Städten geliefert hat.

Ihn scheint die Lage dermaßen zu beunruhigen, dass er der „Orangewesten“-Bewegung (Gilet Arancioni), als deren Gesicht der 73-jährige pensionierte General Antonio Pappalardo fungiert, zutraut, zu einer treibenden Kraft für mögliche politische Umwälzungen zu werden.

Noch ist die Reichweite der Bewegung überschaubar. Sie schafft es zwar, ähnlich wie in der Lockdown-Phase in Deutschland die mittlerweile von der Bildfläche verschwundene Bewegung „Widerstand 2020“, in einzelnen Städten Demonstrationen mit teilweise mehr als 1.000 Teilnehmern auf die Beine zu stellen. In Italien wollte die frühere Fünf-Sterne-Abgeordnete Sara Cunial auf diesen Zug aufspringen, allerdings scheint auch diese Gruppierung nicht aus den Startlöchern gekommen zu sein.

Kein politisches Lager hätte in Italien eigene Mehrheit

Der sizilianische Ex-General Pappalardo, dessen Bewegung derzeit auf etwas mehr als 15.000 Likes auf Facebook kommt, versteht sich als „weder links noch rechts“. Er greift die Regierung an, nutzt den verbreiteten Argwohn gegen die EU und bedient Verschwörungstheorien, wie sie in der Corona-Lockdownphase an Popularität gewonnen hatten.

Der Ex-General bezweifelt, dass es sich bei COVID-19 um eine reale Pandemie handelt, und hält es für denkbar, dass internationale Mächte und die Pharmaindustrie eine künstliche Hysterie geschaffen hätten, um Italiens Wirtschaft unter Kontrolle zu bekommen und sich einen Markt für ihre Impfungen zu erzwingen.

Tatsächlich scheint es insbesondere nach dem fliegenden Wechsel der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung von der Lega zu den Sozialdemokraten vor einem Jahr ein brachliegendes Protestpotenzial zu geben, das sich nicht der Rechten zuordnet.

Müsste Italien jetzt wählen, könnten weder die Regierungskoalition noch die Mitte-Rechts-Opposition aus Lega, Fratelli d’Italia und Forza Italia davon ausgehen, eine eigene Mehrheit zu erzielen.

Salvini hat in der Zeit der Corona-Krise an Strahlkraft eingebüßt, Fratelli-Chefin Giorgia Meloni ist mittlerweile deutlich beliebter als er, dennoch vermögen sie nicht alle Unzufriedenen in einer Weise an sich zu ziehen, wie dies noch bis zum Ende des Vorjahres der Fall gewesen wäre.

Wird Ex-General Pappalardo Beppe Grillo beerben?

Ob Pappalardo den Fünf-Sterne-Gründer Beppe Grillo beerben kann, der als Populist seit dem Koalitionswechsel seiner Formation an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat, wird auch davon abhängen, wie das Land und seine Wirtschaft aus dem Lockdown wieder herauskommen.

Dieser war in Italien, das 33.000 Corona-Tote zu beklagen hat, länger und härter als in allen anderen europäischen Ländern, und der dadurch bewirkte wirtschaftliche Zusammenbruch hat nicht nur einen Großteil der selbstständigen Unternehmer in gravierende Liquiditätsengpässe manövriert, sondern auch der Mafia einen zweiten Frühling beschert. Dazu kommen nun auch Nachrichten, wonach die ohnehin niedrige Geburtenrate in Italien unter dem Eindruck der Corona-Krise noch weiter sinken dürfte.

Die psychische Anspannung durch den Lockdown und die Unsicherheit über die Zukunft trifft nun auf noch nicht ausbezahlte Hilfsgelder, eine nicht immer effiziente Verwaltung, die Aussicht auf eine Million zusätzlicher Arbeitsloser und ein Minuswachstum der Wirtschaft von bis zu 13 Prozent. Diesen Wert halten zumindest mehrere Experten für denkbar.

Verschuldung wird auf 160 Prozent des BIP anwachsen

Emanuele Orsini vom Industriellenverband Confindustria rechnet sogar damit, dass die schwersten Verwerfungen infolge der Corona-Krise gar nicht der Lockdown selbst nach sich gezogen hätte, sondern dass diese erst im kommenden Herbst bevorstünden. Auch wiederkehrende Touristen, wiedergeöffnete Cafés und Restaurants und ein Mindestmaß an wiedergewonnener Normalität können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Drittel aller vom Lockdown betroffenen Geschäfte nicht wieder öffnen wird.

Die Nachwirkungen der Schuldenkrise machen sich bemerkbar, bereits vor der Krise war das Wachstum niedrig. Kritiker werfen der EU vor, das Land kaputtgespart zu haben, und sich nun als vermeintliche Krisenfeuerwehr zu inszenieren.

Trotz der massiven Sparprogramme, die in den vergangenen Jahren durchgezogen wurden, um die Schuldenlast zu senken, belaufen diese sich auf 2,3 Billionen Euro. Bedingt durch Corona und die dadurch erforderlichen Mehrausgaben werden sie schätzungsweise von 135 auf 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts anwachsen.

Die italienische Regierung hatte unter dem Eindruck der Corona-Krise Eurobonds als möglichen Ausweg angeregt, am Ende hat Brüssel einen Wiederaufbaufonds im Umfang von insgesamt 750 Milliarden Euro aufgelegt, von dem immerhin 150 bis 170 Milliarden als Zuschüsse oder Kredite in Italien ankommen sollen.

Erhoffter Dämpfer für „Europafeinde“ bleibt aus

Auch deutsche Kommentatoren feierten dies bereits als vermeintliche Entzauberung der „Europafeinde“ und „Populisten“, doch haben vollmundige Versprechungen bislang noch wenig an der ausbaufähigen Popularität der Staatengemeinschaft und ihrer selbstberufenen Führungsmächte Deutschland und Frankreich geändert.

Einige werfen generell die Frage auf, ob ein Ausscheiden Italiens aus der Eurozone, verbunden mit den noch aus früheren Zeiten bekannten Abwertungsoptionen der Lira in Krisenzeiten, nicht am Ende sogar mehr an Gestaltungsfreiräumen erhalten würde als das Verharren in einem Geflecht aus Vorgaben und Zusagen. Die Fünf-Sterne-Bewegung spricht auch jetzt noch im Zusammenhang mit den ESM-Geflechten von „Knebelverträgen“.

Zudem seien von den knapp 34 Millionen an Hilfsgeldern, die bereits für die Zeit von 2014 bis 2020 aus Brüssels Strukturfonds zur Verfügung gestellt wurden, erst knapp 40 Prozent abgerufen worden. Sie sollten unter anderem für Infrastruktur, Innovation und Digitalisierung verwendet werden.

Die Gründe dafür können mannigfaltig sein: Auf der einen Seite wirft die Bilanz kein gutes Licht auf Italiens Verwaltungsstrukturen. Auf der anderen könnten die Bedingungen, Widmungen und Fußangeln, die von Brüssel mit einem Abruf der Mittel verbunden wären, an den tatsächlichen Bedürfnissen der potenziellen Empfänger vorbeigehen.



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