Königsberg – Kaliningrad: Kein Phönix aus der Asche

Königsberg/Kaliningrad ist ein Lehrbeispiel dafür, was totalitäre Diktaturen anrichten und dass es der Widerstand, bzw. die Abkehr von Ideologien ist, was das Leben ermöglicht. So die Einschätzung unserer Gastautorin Vera Lengsfeld, die sich gerade auf einer Busreise über Polen nach Russland befindet.
Titelbild
Russlands Navy in Kaliningrad, Russland.Foto: Laurence Griffiths/Getty Images
Epoch Times22. August 2017

Nach Königsberg, heute Kaliningrad, zu kommen ist heutzutage möglich, aber beschwerlich. Lange Zeit war der Kaliningrader Oblast ein Sperrgebiet, das kein Ausländer betreten durfte, Sowjetbürger nur mit Spezialgenehmigung, wenn sie hier Verwandte hatten. Wenige Jahre gab es zwischen Polen und der russischen Enklave einen visumfreien kleinen Grenzverkehr. Die Polen kamen hierher zum Tanken, die Russen fuhren zum Lebensmittelkauf in die polnischen Nachbarorte. Nun brauchen auch die Polen wieder Visa, die etwa 100 Euro kosten. Da kann man nichts mehr mit Fremdtanken verdienen. Entsprechend ruhig ist es an den Grenzübergängen geworden.

Als unser Bus auf polnischer Seite hielt, kam eine Kontrolleurin und sammelte unsere Pässe ein. Sie verschwand damit für eine Viertelstunde, dann bekamen wir sie wieder und durften weiter . Auf der russischen Seite mussten wir an der ersten Schranke Auskunft erteilen, wer wir seien. Zwei Polen und 13 Deutsche. Das versetzte die Grenzerin in Aufregung. Sie warf einen Blick in unsere Pässe und überzeugte sich, dass wir, wie wir versichert hatten, alle ein Visum besaßen.

Trotzdem telefonierte sie. Ein Vorgesetzter kam und fragte noch einmal, ob wir wirklich alle Visa hätten und kontrollierte das noch einmal. Am Vortag war tatsächlich ein Auto mit Deutschen angekommen, die nicht gewusst hatten, dass man ein Visum braucht, um nach Russland zu kommen. Das war für die Grenzer offensichtlich ein traumatisches Erlebnis gewesen.

Dann standen wir etwa eine Viertelstunde an der ersten Schranke, obwohl hinten, am Schalter für die Busse, alles leer war. Schließlich sah ich, dass dort eine Absperrung entfernt wurde. Kurz darauf ging die Schranke vor uns hoch und wir durften weiter fahren.Vor einer Baracke hielten wir ein zweites Mal. Wir wurden instruiert auszusteigen, den Pass am Schalter kontrollieren zu lassen und danach unbedingt im Raum hinter dem Schalter zu warten. Neben dem Bus stand schon ein Grenzer mit Hund zur Kontrolle auf Sprengstoff oder Drogen bereit, außerdem wurde mit Spiegeln der Unterboden abgeleuchtet.

Es war mein dritter Grenzübertritt nach Russland in diesem Jahr. Ich hatte angenommen, das würde die Sache erleichtern, aber das Gegenteil war der Fall. Ich wurde noch überprüft, während mein Reisegefährten am Nachbarschalter bereits durch waren. Am Ende durfte auch ich im Raum hinter dem Schalter darauf warten, wieder in den Bus steigen zu dürfen.

Endlich war es so weit, aber es brauchte weitere zehn Minuten, bis unser Fahrer endlich seine Papiere für den Bus bekam. Als wir von der Grenze losfuhren, war eine Stunde vergangen. nicht auszudenken, wie lange wir gebraucht hätten, wären ein oder gar zwei Busse vor uns gewesen!

Die Landschaft änderte sich schlagartig. Vernachlässigtes Kulturland ist kein schöner Anblick. Statt der gepflegten Dörfer, wie auf der polnischen Seite, sah man fast nur Verfall. Die Häuser waren grau und wirkten zerlumpt. Kein Wunder, dass die jungen Grenzer so grimmig dreinschauten. Wer in so einer deprimierenden Gegend zu wohnen gezwungen ist, kann schwerlich fröhlich ein.

Nach einer knappen Stunde erreichten wir die Vororte von Kaliningrad. Der Verfall wurde dichter. Nur ab und zu stand ein neues Gebäude wie ein Fremdkörper dazwischen. Auffällig viele junge Männer in Tarnkleidung oder T-Shits mit dem Aufdruck „Donetzkaja Respublika“. Als ob  Separatisten-Kämpfer auf Heimaturlaub wären.

Bis zum Zentrum waren es acht Kilometer. Als wir uns ihm näherten, wurde der Straßenbelag besser, dann fuhren wir auf frischem Asphalt. Kurz darauf ging die Fahrbahn in eine neue Hochstraße über. Rechts sahen wir ein nickelnagelneues Stadion in Blau-Weiß auf einer riesigen Sandfläche. Es sah aus, als wäre ein UFO in der Wüste gelandet. Hier sollen im nächsten Jahr bei der Fußballweltmeisterschaft mehrere Spiele stattfinden. Kaum vorstellbar, dass bis dahin die Umgebung fertiggestellt sein könnte.

Auch die Hochstraße war noch nicht ganz befahrbar. Wir mussten sie verlassen, auf einer ungesicherten Baustelle ein gewagtes Wendemanöver durchführen, ehe wir die Zufahrt zu der Straße erreichten, in der sich unser Hotel „Königshof“ befand. Bisher waren wir nur an Häuserreihen in unterschiedlichem Stadium des Verfalls vorbeigefahren. Wobei wir feststellen mussten, dass die Plattenbauten aus den 60er oder 70er Jahren weit hässlicher altern, als die Häuser, die vor dem Zweiten Weltkrieg gebaut wurden.

An der Uferstraße des Pregel, die wir nun erreichten, änderte sich das Bild schlagartig. Am Fluss steht ein Block schöner alter Häuser, die einen Leuchtturm in ihre Mitte genommen haben. Es sah aus, als wäre hier durch ein Wunder  ein Stück Königsberg stehengeblieben und zu alter Pracht restauriert worden. Auch die Uferpromenade glänzte mit neuem Belag und einem wunderschönen Eisengeländer, ergänzt mit alten Laternen. Im Hintergrund die Dominsel mit dem wiedererstandenen Dom. Man bekam einen Eindruck davon, was Königsberg mal gewesen war.

Später erfuhren wir von unserer Stadtführerin, dass das ganze Ensemble erst seit 2003 steht. Vorher herrschte auch hier die Plattenbautristesse, die sonst überall das Bild prägt.

Nebenan, flussaufwärts, ist bereits ein ehemaliges Militärgelände planiert. Hier sollen weitere Nachbauten des alten Königsbergs entstehen.

Diese Veränderungen hat die Stadt einem Bürgermeister zu verdanken, der auf die Idee kam, 2005 das 750-jährige Bestehen Königsbergs  zu feiern. Damit begann die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Stadt, die vorher erst 1945 begann. Inzwischen hat ausgerechnet Wladimir Putin eine neue Debatte angestossen. Bei seinem kürzlichen Besuch hatte er gefragt, ob die Kaliningrader sich nicht in Königsberger umbenennen wollten.

Tatsächlich werden immer mehr verschüttete Relikte der Stadtgeschichte freigelegt und rekonstruiert. Der Kern des alten Königsbergs war die Dominsel, die dicht bebaut war. Heute steht der Dom wieder aufgebaut in einem Park. Aber Tafeln mit Bildern der alten Straßen stehen überall in der Anlage verteilt.

Dass der Dom wieder aufgebaut werden konnte, ist dem Kaliningrader Parteikommitee zu verdanken. Als die Anweisung aus Moskau kam, die Ruinen des Doms abzutragen, erhoben die Genossen vorsichtig Einwände. Sie verwiesen darauf, dass Immanuel Kant am Dom begraben ist und Kant von Lenin in seinen Schriften als Vorläufer des Marxismus zitiert wird. Das half. Anfang der 90er Jahre begann der Wiederaufbau des Doms, der heute am Eingang eine orthodoxe, eine evangelische und eine katholische Kapelle besitzt. Der Hauptraum wird als Konzertsaal genutzt.

In der Nähe des Doms stand das Königsberger Schloss, dessen Ruine als „fauler Zahn des Kapitalismus“ beseitigt wurde. Heute finden archäologische Grabungen nach seinen Überresten statt. Mittendrin steht ein Hochhaus, das in den 60er Jahren begonnen wurde und seit Mitte der 70er als Bauruine weithin sichtbar das Stadtbild prägt. Das sollte das „Haus der Räte“ werden und alle Verwaltungen des Kaliningrader Gebiets beherbergen.

Der letze Gouverneur des Kaliningrader Oblast wollte dieses Haus abreißen und das Schloss wieder aufbauen. Leider wurde er abgewählt, bevor er das verwirklichen konnte. Der neue Gouverneur will das Rätehaus fertig bauen lassen. Bisher tut sich dort aber nichts, denn die Stadt braucht alle Mittel, um sich für die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft aufzuhübschen. Dafür sollen alle Plattenbauten, die vom Fußballstadion aus zu sehen sind, neue Fassaden erhalten. Die Ersten bekamen noch eine Verkleidung, die an die Silhouetten der alten Königsberger Häuser erinnert. Dafür reicht aber das Geld nicht bei allen. Die Anderen müssen sich mit bunten Wänden begnügen.

Auch am Ufer des Pregel, des Ober- wie des Unterteiches im Zentrum gibt es nur auf einer Seite die aufwändige Rekonstruktion der schönen alten schmiedeeisernen Gitter, die andere Seite muss sich mit einer bescheideneren Abgrenzung begnügen. Königsberg ist an seinen Ufern am schönsten. Auf den Promenaden am Wasser kann man die allgemeine Tristesse fast vergessen.

Stadtenthusiasten, die es auch hier gibt, wollen entlang der alten Wallanlagen, die samt Toren fast vollständig erhalten sind, einen Grünzug um die Innenstadt errichten, was Königsberg eine neue Qualität verleihen würde. Man könnte um das Zentrum spazieren, nach Lust und Laune entweder eins der schönen Restaurants, Cafés oder Museen besuchen, die in den alten Mauern entstehen und zwischendurch die alten Wehranlagen bewundern.

Bei unserer Stadtrundfahrt kommen wir immer mal wieder an einem Vorkriegsgebäude vorbei, das stehengeblieben ist und etwas von der früheren Stadt erahnen lässt. Die Revitalisierung vollzieht sich rund um diese Überreste. Das Experiment Kaliningrad, eine sozialistische Stadt auf den Trümmern des Kapitalismus zu errichten, ist vollständig gescheitert. Ein Denkmal des Namensgebers, das auf dem Vorplatz des liebevoll restaurierten Bahnhofs steht, ist charakteristisch dafür: hinter Kalinins Rücken entsteht eine orthodoxe Kirche, vor Augen hat er eine McDonalds-Filiale.

Kaliningrad ehrt den größten Sohn der Stadt, Immanuel Kant. Die hiesige Universität trägt seinen Namen. Im Dom ist ihm eine interessante Ausstellung gewidmet. Dort sind unter anderem Kantausgaben und Schriften über ihn aus aller Welt zu sehen. Von der „Kritik der reinen Vernunft“ in Chinesisch bis hin zu Steffen Dietzschs Kant-Biografie.

Vor dem Universitätshaupteingang steht eine Replik des historischen Kant-Denkmals. Die Figur ist von Marion Gräfin Döhnhoff beim Herannahen der Roten Armee abgebaut und auf ihrem Gut versteckt worden. Allerdings fand sie nach ihrer späten Rückkehr das Denkmal nicht wieder. Deshalb hat sie eine Kopie anfertigen lassen. Als es aufgestellt werden sollte, bekannte ein ehemals hoher Parteifunktionär, dass sich der Sockel in seinem Garten befände. Er gab ihn zurück und war, wie Gräfin Dönhoff bei der Wiederaufstellung dabei. Jahrelang wurden den Absolventen der Uni ihre Diplome feierlich an diesem Denkmal ausgehändigt. Heute empfangen sie diese im Dom.

Der Platz vor der Universität ist aus einem andern Grund interessant: Unter der Erde befindet sich der Bunker für den Armeestab, der die Verteidigung Königsbergs leitete. Um die Ruinen der Stadt, die durch zwei alliierte Angriffe im Sommer 1945 stark zerstört worden war, gab es erbitterte Kämpfe. Der Bunker wurde im März 1945 fertig. Mitte April wurde hier die Kapitulation der „Festung“, zu der Königsberg erklärt worden war, beschlossen.

Im heutigen Bunkermuseum ist ein Raum Michael Wieck gewidmet, der als Sohn einer jüdischen Mutter und eines „arischen“ Vaters Kindheit und Jugend in Königsberg verbrachte. In seinem Buch: „Zeugnis vom Untergang Königsbergs – Ein Geltungsjude berichtet“ beschreibt er seine Erlebnisse während der Zeit des Nationalsozialismus und nach dem Einmarsch der Roten Armee.

Die erlebte er nicht als Befreiung, sondern als Beginn einer neuen Leidensgeschichte. Geschätzte 80% der Königsberger, die den Krieg überlebt hatten, starben in den zwei Jahren danach an Hunger, Kälte, Krankheiten. Im Winter erfroren die Menschen auf offener Straße. Niemand dachte daran, die Leichen wegzuräumen. So gab es überall in der Trümmerlandschaft Eisskulpturen in allen Lagen zu sehen. Als der Strom wiederkam, installierten die Sowjets Lautsprecher und beschallten die gespenstische Szenerie mit Beethovenmusik. Die Jagd nach etwas Essbaren wurde zum Überlebenstraining. Es hungerten nicht nur die Königsberger, auch die Russen, die von den Sowjets in der Stadt angesiedelt wurden, hatten wenig zu essen und hausten in den Ruinen nicht viel besser, als die alten Königsberger. Wieck beschreibt eine Verfolgungsjagd, nachdem er einem Russen eine Kartoffel gestohlen hatte.

Die Sowjets hatten die Stadt Wochen nach der Einnahme evakuiert und in Brand gesetzt. Anschließend mussten die Königsberger in ihre gebrandschatzte Stadt zurückkehren.

Die Szenen, die Wieck beschreibt, sind so irreal, dass sie aus einem Katastrophenfilm zu entstammen scheinen, der die Herrschaft einer außerirdischen Macht beschreibt.

Heute ist dieses Stadtkapitel fast vergessen. Um so verdienstvoller ist seine Darstellung in einem Raum des Museums. Unsere Stadtführerin Katja, deren Begeisterung für Kaliningrad uns sehr rührte, versicherte uns an dieser Stelle, dass den Kindern in der Schule beigebracht würde, dass es einen Unterschied zwischen Nazis und den Deutschen gegeben hätte und man beide nicht in einen Topf werfen dürfe. Damit wissen es die Schulkinder in Kaliningrad heute besser als unsere Antifa und etliche linke Politiker, die sich das Verschwinden der Deutschen auf die Fahnen geschrieben haben, weil angeblich alle, außer Antifa und Linksextreme natürlich, Nazis seien.

Königsberg/Kaliningrad ist ein Lehrbeispiel dafür, was totalitäre Diktaturen anrichten und dass es der Widerstand, bzw. die Abkehr von Ideologien ist, was das Leben ermöglicht.

Über die Autorin: Vera Lengsfeld ist eine deutsche Politikerin und Publizistin. Sie war Bürgerrechtlerin und Mitglied der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. 1983 wurde sie wegen der Mitarbeit in einer Bürgerrechtsbewegung aus der SED ausgeschlossen und mit einem Berufsverbot belegt. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages, zunächst bis 1996 für Bündnis 90/Die Grünen, ab 1996 für die CDU. Heute ist sie freischaffende Autorin in Berlin. Ihr Blog: http://vera-lengsfeld.de



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