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Lukaschenko: "Wenn Belarus fällt, ist Russland als nächstes dran"

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Alexander Lukaschenko.

Foto: SIARHEI LESKIEC/AFP via Getty Images

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Lesedauer: 6 Min.

Sollte der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko durch die aktuellen Proteste gestürzt werden, dann ist nach Ansicht des umstrittenen Staatschefs „Russland als nächstes dran“. Dies sagte Lukaschenko nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti am Dienstag in einem Gespräch mit mehreren russischen Medien. „Wissen Sie, was wir mit dem russischen Establishment und der russischen Führung gemeinsam denken? Wenn Belarus fällt, ist Russland als nächstes dran.“
Lukaschenko zeigte sich zudem überzeugt, dass ohne ihn als Präsidenten „das ganze System zusammenstürzt und dann ganz Belarus“. Seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl am 9. August demonstrieren die Menschen in Belarus gegen den seit 26 Jahren autoritär regierenden Staatschef. Sie werfen der Regierung massiven Betrug bei der Wahl vor, die Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent der Stimmen gewonnen haben soll.

Widersprüchliche Angaben zu Festnahme belarussischer Oppositioneller an Grenze

Nach der Festnahme der belarussischen Oppositionspolitikerin Maria Kolesnikowa gibt es widersprüchliche Angaben aus Kiew und Minsk: Nach Angaben des belarussischen Grenzschutzes soll die 38-Jährige in der Nacht zu Dienstag versucht haben, die Grenze zur Ukraine zu überqueren. Sie sei dabei festgenommen worden.
Kiew widersprach: Kolesnikowa habe sich einer Abschiebung widersetzt; ukrainischen Medienberichten zufolge soll sie ihren Pass zerrissen haben. Wo sich Kolesnikowa aufhält, ist weiter unklar.
Kolesnikowa war am Montag verschwunden. Nach Angaben des Koordinierungsrates der belarussischen Opposition wurde sie zusammen mit einem Sprecher und einem Mitarbeiter „von Unbekannten im Zentrum von Minsk entführt“. Die belarussischen Behörden äußerten sich zunächst nicht. Ihr Verschwinden löste daher international Besorgnis aus.
„Kolesnikowa ist derzeit in Gewahrsam“, sagte am Dienstag dann ein Sprecher des Grenzschutzes. In der Nacht zu Dienstag habe sie gegen 4.00 Uhr morgens (3.00 Uhr MESZ) versucht, die Grenze zu überqueren. Zwei weiteren Mitgliedern des oppositionellen Koordinierungsrates, die Kolesnikowa begleiteten, sei der Grenzübertritt gelungen.
Kiew bestätigte die Einreise der beiden Begleiter von Kolesnikowa, widersprach jedoch der Darstellung aus Minsk. „Das war keine freiwillige Ausreise, es war eine erzwungene Abschiebung aus ihrem Heimatland“, teilte der ukrainische Vize-Innenminister Anton Geraschtschenko im Online-Dienst Facebook mit. Kolesnikowa habe „gehandelt“, um ihre Abschiebung zu verhindern. Nach Berichten der ukrainischen Nachrichtenagentur Interfax soll sie ihren Pass zerrissen haben.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatten am Montag von den belarussischen Behörden Aufklärung über den Aufenthaltsort der Oppositionellen sowie ihre Freilassung gefordert.

Kolesnikowa will Rechtsstaat nach europäischem Vorbild

Kolesnikowa hat wenige Tage vor ihrem Verschwinden beschrieben, wie sie ihr Land nach westlichem Modell reformieren will. „Ich träume davon, dass die Menschen in Belarus in einem rechtsstaatlichen System aufwachen können, das sich Europa zum Vorbild nimmt“, sagte sie dem „Zeitmagazin“. Ihre Landsleute sollten darüber in fairen und freien Wahlen entscheiden.
Der weißrussische Machthaber Alexander Lukaschenko müsse zurücktreten. „In den vergangenen 26 Jahren hat er uns in Grund und Boden regiert. Er soll sich aus der Politik verabschieden.“ Sie setze darauf, dass Gewalt und Willkür in ihrem Land aufhören. „Gewalt ist für uns ein Fremdwort.“
Ihre Landsleute seien „zurückhaltende, ruhige und entspannte Menschen“. Und weiter: „Wir ziehen sogar unsere Schuhe aus, wenn wir bei Demonstrationen auf Parkbänke steigen.“ Sie wünsche sich ein Land, „dessen Bürger und Bürgerinnen nicht mehr ins Ausland gehen müssen, um Geld zu verdienen“ und „in das auch Leute aus dem Ausland kommen, um hier zu arbeiten“.
Sie hoffe, dass Weißrussland „ein kulturelles Zentrum Europas wird, in dem sich alle Menschen zu Hause fühlen können, inmitten von Kunst und Musik“. In Deutschland, wo die Berufsmusikerin zwölf Jahre gelebt hat, habe sie erst „ein Bewusstsein für meine belarussische Identität erlangt“.

Osteuropa-Expertin erwartet mehr Gewalt gegen die Bevölkerung

Die Osteuropa-Expertin Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sieht ernste Konsequenzen für die Opposition in Weißrussland nach der Festnahme von Maria Kolesnikowa: „Nachdem man gegen den politischen Überbau der Opposition vorgegangen ist, wird man auch gewaltsamer gegen die Proteste vorgehen“, sagte sie dem Nachrichtenportal Watson.
Dass die weißrussische Regierung unter Machthaber Alexander Lukaschenko mit Kolesnikowa einen führenden Kopf der Bewegung verhaften würde, wundert Pagung hingegen nicht: „Wir haben in den vergangenen Wochen schon gesehen, dass Lukaschenko gegen den Regierungsrat der Opposition immer stärker vorgeht.“
Es sei nur die Frage gewesen, ob er und die Politiker an seiner Seite sich wirklich trauen würden, die führenden Köpfe festzunehmen. „Aber das ist aus Sicht des Regimes die logische Strategie, um die Identifikationsfiguren dieser Demonstrationen festzusetzen.“ Auch sei Lukaschenko unter Zugzwang geraten: „Lukaschenkos Strategie des Aussitzens funktioniert nur mäßig. Er musste in irgendeiner Form handeln, um die Proteste zumindest zu minimieren.“
Je länger die Proteste laufen gelassen würden, „desto eher manifestiert sich da eine Oppositionsstruktur“, so die Osteuropa-Expertin. Die Auswirkungen eines dauerhaften Verschwindens der letzten verbliebenen Oppositionsführerin seien laut Pagung noch nicht abschätzbar: „Entweder es führt zu einer `Jetzt-erst-recht-Mentalität` bei den Demonstranten – oder dazu, dass sich die Proteste abschwächen, weil es keine Kanäle mehr gibt, um sie zu lenken.“ (afp/dts)

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