Misserfolg in Libyen: Spaltet die NATO die Atlantik-Partner?

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Ein Ausbilder unterrichtet einen jungen Libyer über die Funktionsweise eines RPG-Raketenwerfers in der Rebellenhochburg Bengasi. Die NATO ist über ihr Engagement in Libyen zerstritten.Foto: Saeed Khan / AFP / Getty Images
Von 28. Mai 2011

Mit der Operation „Unified Protector“ in Libyen tritt die NATO zum dritten Mal in ihrer Geschichte in einen Krieg ein. Und wie bei ihrem ersten Konflikt mit Jugoslawien im Jahr 1999 ist die Allianz alles andere als einheitlich. Aber jetzt ist sie wieder in den Krieg gezogen und fligt an den meisten Tagen mehr als 100 Luftangriffen gegen Gaddafi-treue Kräfte.

Die halbherzige Art der Intervention kann für die Allianz als ein halb volles oder halb leeres Glas angesehen werden. Aber im Laufe der Zeit könnte sie durch das sehr wählerische Verhalten der Mitglieder in die Bedeutungslosigkeit versinken.

Die erste Entscheidung der NATO, Ende März die Führung der Operation Libyen von den Vereinigten Staaten zu übernehmen und wie die militärische Aktion durchgeführt wird – beides verursachte Spaltungen in der Allianz und verheißt nichts Gutes für ihre Zukunft.

Auf der anderen Seite kann argumentiert werden, dass trotz dieser Spaltung die NATO das Kommando von den Amerikanern übernahm und es gelungen war, einige unwillige Nationen wie die Türkei und Italien dazu zu bringen, sich an der Operation zu beteiligen. Dies kann als Erfolg für eine Weiterführung der Allianz gewertet werden.

Die NATO in Libyen

Als zu der libyschen Mission aufgerufen wurde, haben von den 28 Mitgliedern der NATO 14 der Operation Unified Protector Truppen zur Verfügung gestellt. Aber die Zahlen schildern nicht die ganze Geschichte, da einige nicht beteiligte Länder die Aktion unterstützen und einige andere wiederum, die starke Vorbehalte haben, sind beteiligt: Bei der NATO ist wie gewohnt nichts einfach.

Die ursprüngliche Entscheidung, in Libyen aktiv zu werden, wurde am 19. März in Paris bei einer von Präsident Nicolas Sarkozy einberufenen Sitzung getroffen, wo Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten bereit waren, Maßnahmen zu ergreifen. Sie wollten die Rückeroberung der Rebellenhochburg Bengasi durch Gaddafis Truppen verhindern und ebenso weitere Verluste der Zivilbevölkerung.

An diesem Punkt war die NATO nicht beteiligt und obwohl alle drei Mitglieder der Allianz sind, bildeten Frankreich, die Vereinigten Staaten und England eine Koalition der Willigen.

Wie hat sich die NATO darauf eingelassen?

Die Antwort auf diese Frage liegt in Ankara und Washington. Türkei, eine wichtige NATO-Macht und ehemalige Kolonialmacht Libyens, war ungehalten, weil sie vom Pariser Treffen ausgeschlossen war. Ankara sieht sich als vermittelnde Kraft in der Region und sah die NATO-Führung als eine Möglichkeit, Einfluss auf die Intervention zu gewinnen. Dies fiel zeitlich mit dem Wunsch der Obama-Regierung zusammen, nicht bei noch einem weiteren muslimischen Land die führende Nation bei einer militärischen Aktion zu sein.

Nach Überwindung der anfänglichen Zurückhaltung Frankreichs wurde vereinbart, dass die NATO die Umsetzung der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates übernimmt. Die Resolution 1973 berechtigt dazu, eine Flugverbotszone über Libyen durchzusetzen sowie militärische Aktionen zum Schutze von Zivilisten durchzuführen.

Doch die NATO-Führung hat das Eingreifen erschwert. Die türkische Regierung nimmt eine weniger kompromisslose Haltung zur Zukunft der Gaddafi-Regierung ein als die beiden Hardliner Frankreich und Großbritannien und ist weniger erpicht auf Luftangriffe gegen Gaddafis Bodentruppen. Ankara hat Schiffe geschickt, um das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen und um verwundete Zivilisten zur medizinischen Behandlung zu evakuieren. Ankara hat auch aktiv versucht, zwischen dem Nationalen Übergangsrat der Rebellen und Gaddafis Regierung zu vermitteln, bislang mit wenig Erfolg.

Dies steht in krassem Gegensatz zu Paris, London und Washington, deren Führung in einem Essay in der New York Times sehr deutlich gemacht hat, dass sie weitermachen werden, bis Oberst Gaddafi sein Amt niederlegt hat oder gestürzt worden ist. Von dieser Seite aus gibt es keinen Raum für Vermittlung.

Deutschland ist ein weiteres NATO-Mitglied mit wenig Begeisterung für die Luftangriffe. Berlin hatte von Anfang an starke Vorbehalte gegen die Intervention in Libyen. Kritisch daran war, dass
Deutschland dabei Brasilien, Russland, Indien und China beitrat und sich im UN-Sicherheitsrat bei der Abstimmung über die Resolution 1973 ebenso wie diese Länder enthielt. Als Argument wurde angeführt, dass zu viele Fragen über die Ziele der Intervention unbeantwortet blieben. Berlin ist zwar nicht aktiv gegen die Intervention vorgegangen, doch hat es abgelehnt, sich zu engagieren.

Aufgrund des Einflusses dieser unwilligen Länder scheiterte die NATO, mehr von Gaddafis Kriegsgerät und schweren Waffen zu zerstören. Die libyschen Rebellen haben die Allianz aufgerufen, aggressiver vorzugehen.

Andere führende Mitgliedstaaten waren in ihrem Engagement zunächst auch zurückhaltend, vor allem die Mittelmeermächte Spanien und Italien. Italien, eine weitere ehemalige Kolonialmacht, ist mit seiner Energieversorgung von Libyen abhängig und hatte auch einen Vertrag mit Gaddafi unterzeichnet, um den Strom der afrikanischen Migranten über das Mittelmeer einzudämmen. Beide Länder haben sich letztendlich doch an Patrouillen für die Flugverbotszone beteiligt.

Diese Spaltungen in ihren Reihen haben Fragen über die Zukunft der NATO entfacht.

Die Relevanz der NATO

Kritiker weisen darauf hin, dass eine Allianz, die vor mehr als 60 Jahren gegründet wurde, um Westeuropa bei einer potentiellen Bedrohung durch die Sowjetunion zu verteidigen, nicht mehr genug gemeinsame Interessen hat, aus denen heraus sie eine effektive Organisation in der Welt nach der Zeit des Kalten Krieges wäre. Sie verweisen auf die Kosovo-Kampagne im Jahr 1999, bei der Griechenland sich nicht engagierte.

Dann ist da Afghanistan, wo die NATO Zehntausende von Truppen einsetzt, um die Taliban zu bekämpfen, aber viele Mitglieder haben keine Truppen geschickt und einige wie Deutschland haben für das, was ihre Truppen tun können, enge Grenzen gesteckt.

Aber die NATO-Optimisten können mit dem Libyen-Mandat für das Bündnis punkten. Die Akzeptanz der NATO-Führung bei der Operation Unified Protector durch Frankreich ist die Bestätigung, dass eine der größeren militärischen Mächte der Organisation sich jetzt voll in der Allianz verpflichtet sieht. 1966 hatte Präsident Charles de Gaulle Frankreich aus der militärischen Kommandostruktur der NATO herausgenommen, doch vor zwei Jahren beendete Sarkozy den Boykott. Indem Frankreich bei der libyschen Mission unter NATO-Kommando eine führende Rolle übernommen hat, wird diese Entscheidung untermauert.

Der Wechsel der Vereinigten Staaten in der NATO-Operation in den Hintergrund ist eine weitere neue Entwicklung, die für die Allianz als positiv gewertet werden kann. Wird die NATO vom Rest der Welt nicht mehr nur als eine US-dominierte Organisation gesehen, könnte sich die internationale Akzeptanz der NATO als Instrument für die Durchsetzung von Beschlüssen des UN-Sicherheitsrates verbessern. Das könnte der UN zu einem Mehr an Muskeln verhelfen.

Das bisherige strategisches Konzept der Nato war, dass sich ihre Mitglieder im Verteidigungsfall gegenseitig beistehen. Anders als in Afghanistan, wo die NATO nach den 9/11-Angriffen auf eines ihrer Mitgliedstaaten eingriff, verteidigt sich die NATO in Libyen nicht. Vielmehr hat sie in einen internen Konflikt eingegriffen und einige ihrer Mitglieder machten da nicht mit.

Alistair Burnett ist der Herausgeber von „The World Tonight“, einem BBC-News-Programm. Mit freundlicher Erlaubnis von YaleGlobal Online. Copyright © 2010, Yale Center for the Study of Globalization, Yale University.

 

Artikel auf Englisch: Libyan Fallout: Does NATO Divide the Atlantic Partners?

 

 



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