Niederländischer Premier: Corona lässt „ausgeflippten Abschaum“ aus Langeweile in Städten randalieren

Nicht nur Stuttgart und Frankfurt am Main erlebten in den vergangenen Wochen Gewaltausbrüche, die Experten auf jugendlichen Frust über die Corona-Beschränkungen zurückführen. Auch in den Niederlanden gibt es Randale. Ministerpräsident Rutte findet drastische Worte.
Titelbild
Am 21. Juni 2020 auf dem zentralen Malieveld-Gelände der Stadt Den Haag: Proteste gegen den Umgang der Regierung mit der COVID-19-Pandemie. Die niederländische Polizei verhaftete Dutzende von Menschen nach Scharmützeln und ging zu Pferd und mit einem Wasserwerfer vor.Foto: ROBIN VAN LONKHUIJSEN/ANP/AFP über Getty Images
Von 20. August 2020

Nicht nur in deutschen und französischen Städten, auch in den Niederlanden kommt es in jüngster Zeit immer häufiger zu teils spontanen, teils aber auch organisierten Übergriffen zumeist Jugendlicher gegen öffentliches oder privates Eigentum und gegen die Polizei. Ähnlich wie in Deutschland vermuten Experten, dass es sich dabei um Ausbrüche handelt, die einen kausalen Zusammenhang mit den Einschränkungen infolge der Corona-Krise aufweisen.

Zweifelhafter Brauch eskaliert

Wie die „Welt“ berichtet, sind besonders Teile des politischen Zentrums des Landes, Den Haag, von regelmäßigen Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und Polizei gekennzeichnet. Es ist aber auch bereits in Utrecht, Rotterdam und sogar in kleineren Städten zu Ausschreitungen mit Verletzten und Schäden in Millionenhöhe gekommen.

Ein Schwerpunkt dabei ist das Den Haager Stadtviertel Schilderswijk. Dort kommt es bereits seit mehreren Jahren zu der Unsitte, dass Jugendliche sich dazu verabreden, Hydranten zu öffnen und auf diese Weise Häuser von der Wasserversorgung abzuschneiden. Bislang war es bei dieser Form des Vandalismus geblieben.

In diesem Jahr war das zweifelhafte Freizeitvergnügen jedoch begleitet von Ausschreitungen und Auseinandersetzungen mit der Polizei, die mit Steinen, Eiern und Feuerwerkskörpern beworfen wurde. Es kam zu Dutzenden Verhaftungen. Gegen mehrere Jugendliche wurden Platzverweise oder Ausgangssperren ausgesprochen.

Die Unruhen zogen sich über mehrere Tage hinweg und hatten sogar Krawalltouristen aus Belgien dazu animiert, aus dem Nachbarland anzureisen. Über Snapchat wurde in weiterer Folge dazu aufgerufen, in Utrecht ähnliche Zustände zu schaffen und sogar „Schilderswijk zu übertreffen“. Anders als in Den Haag ist die Lage in Utrecht immer noch gespannt.

Niederländische Polizeibeamte patrouillieren auf dem Fahrrad im Bezirk Schilderswijk in Den Haag, Niederlande, am 14. August 2020. Foto: NIELS WENSTEDT/ANP/AFP über Getty Images

Corona-Lockdown hatte „Langeweile“ zur Folge – „Unruhen um der Unruhe willen“

Der Soziologe Jaap Timmer von der Freien Universität Amsterdam spricht von „Unruhen um der Unruhe willen“. Politische oder ideologische Ziele verfolgten die beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht. Es sei eher „Langeweile“, die als Auslöser fungiere – wie auch Augenzeugen vor Ort gegenüber Medien äußern.

Der Corona-bedingte Lockdown hatte über Monate hinweg Sportvereine lahmgelegt, zur Schließung von Jugendzentren beigetragen, es gab keinen Zutritt zu Schwimmbädern, ohnehin in prekären Verhältnissen lebende Familien sahen sich finanziell noch zusätzlich belastet und vor allem in dicht besiedelten Gebieten ein erhebliches Konfliktpotenzial aufgestaut. Das Leben gerate, so Timmer, „aus den Fugen, wenn es nichts zu tun gibt“.

Langeweile begünstige es, dass sich Jugendliche gegenseitig zu Mutproben anstachelten. Gruppendynamik, verstärkt durch Aufrufe in sozialen Medien, trage ihren Teil zur Eskalation bei. Auch Eltern seien in einer solchen Lage häufig zu sehr mit der eigenen Situation beschäftigt, um den Jugendlichen Halt geben zu können. Der Jugendbotschafter von Den Haag, Aad van Loenen, nennt auch die Schließung von Schulen als Faktor:

Wenn Sie Schulen monatelang schließen, […] dann passiert das.“

Niederlande erlebten ähnliche Sommer auch vor dem Internet-Zeitalter

Van Loenen relativiert die Bedeutung der Vorfälle, indem er darauf hinweist, dass es zu ähnlichen Jugendkrawallen, teils unter Mitwirkung ausländischer Randale-Touristen, auch in Sommern der 1950er und 1980er Jahre gekommen sei. Damals noch ohne Internet.

Weniger entspannt sieht Premierminister Mark Rutte die Entwicklung. Er spricht von „ausgeflipptem Abschaum“ und von „völlig sinnlosem und inakzeptablem Verhalten“, das die Frage nach der Verantwortung der Eltern aufwerfe.

Die harschen Worte Ruttes erinnern an die Reaktion des damaligen französischen Innenministers Nicolas Sarkozy auf Ausschreitungen, die 2005 Pariser Vorstädte heimsuchten. Dieser kündigte damals an, die Viertel „mit dem Kärcher reinigen“ zu wollen.

Ruttes Rhetorik nur taktisch?

Timmer hält dies jedoch für „Wahlkampfrhetorik“. Um eine Abwanderung von Wählern zu den Rechtsparteien FvD und PVV zu verhindern, müsse Rutte die Gangart zumindest verbal verschärfen.

Er will „Aktivitäten für diese jungen Leute entwickeln und Programme für die Stadtteile aufstellen, in denen es diese Ausschreitungen gibt“. Dies möge zwar Steuergeld kosten, gleiches träfe aber auch auf die Aufräumarbeiten nach Exzessen zu.

Täter sollten jedoch zum Ausgleich des verursachten Schadens verpflichtet und Eltern an ihre erzieherische Verantwortung erinnert werden, meint auch der Soziologe.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion