Oberbefehlshaber: Kriegsfront 2.450 Kilometer lang

Russische Truppen greifen ohne Pause Ziele in der Ostukraine an. Der größte Teil der Stadt Sjewjerodonezk ist inzwischen von Russland erobert. Amnesty wirft Russland vor, in Charkiw Zivilisten mit Streumunition getötet zu haben. Hacker platzieren auf Seiten des russischen Staatsfernsehens eine Botschaft gegen den Krieg. Die Entwicklungen im Überblick.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj  befürchtet hohe Opferzahlen in  Borodjanka.
Zerstörte Gebäude in der ukrainischen Stadt Borodjanka.Foto: -/Ukrinform/dpa
Epoch Times13. Juni 2022

Bei der Abwehr andauernder russischer Angriffe auf Ziele in der Ostukraine hat die ukrainische Armee eigenen Angaben zufolge inzwischen eine Front von etwa 2.450 Kilometer zu verteidigen. „Davon werden an 1.105 Kilometern aktive Kampfhandlungen geführt“, schrieb der Oberbefehlshaber Waleryj Saluschnyj in der Nacht zum Montag bei Facebook nach einem Gespräch mit dem US-General Mark Milley.

Besonders schwer sei die Situation um die Stadt Sjewjerodonezk im Luhansker Gebiet in der Ostukraine. Der Gegner habe dort sieben Bataillonsgruppen eingesetzt und eine zehnfache Feuerüberlegenheit. „Jeder Meter der ukrainischen Erde ist dort mit Blut durchtränkt – doch nicht nur mit unserem, sondern auch mit dem der Besatzer“, sagte Saluschnyj.

Sjewjerodonezk zu über 90 Prozent von Russland erobert

Die ukrainische Armee räumt den Verlust des Zentrums der schwer umkämpften Stadt Sjewjerodonezk im Osten des Landes ein. Russische Truppen hätten die Großstadt im Gebiet Luhansk mit Artillerie beschossen und die ukrainischen Soldaten vertrieben, teilte der ukrainische Generalstab am Montagmorgen mit. Die Kämpfe dauerten aber weiter an, hieß es.

Einige Stunden zuvor hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärt, im strategisch wichtigen Sjewjerodonezk werde „buchstäblich um jeden Meter gekämpft“. Am Samstag kontrollierten ukrainische Truppen eigenen Angaben zufolge noch rund ein Drittel der Stadt.

Sjewjerodonezk ist seit Tagen Zentrum der heftigen Kämpfe im Gebiet Luhansk, das russische und prorussische Kämpfer bereits zu mehr als 90 Prozent erobert haben. Beschossen wird in Sjewjerodonezk auch die Chemiefabrik Azot, in der ukrainischen Angaben zufolge weiter Zivilisten ausharren, die das Werksgelände als Luftschutzbunker nutzten.

Selenskyj enttäuscht: Luftabwehr hätte Leben retten können

Die Ukraine dringt inmitten der schweren Kämpfe im Osten des Landes weiterhin auf zusätzliche und schnellere Waffenlieferungen aus dem Westen. Präsident Wolodymyr Selenskyj bat nach russischen Raketenangriffen in der Nacht abermals um moderne Luftabwehr-Systeme. Von dem laut einem Medienbericht anstehenden Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Kiew erhofft sich die Ukraine die Zusage zur sofortigen Lieferung deutscher Panzer.

„Ohne deutsche schwere Waffen wird es uns leider nicht gelingen, die gewaltige militärische Überlegenheit Russlands zu brechen und das Leben von Soldaten und Zivilisten zu retten“, sagte der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk der Deutschen Presse-Agentur. „Die Ukrainer erwarten, dass der Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch in Kiew ein neues Hilfspaket deutscher Rüstungsgüter verkünden wird, das unbedingt sofort lieferbare Leopard-1-Kampfpanzer sowie Marder-Schützenpanzer beinhalten soll.“

Seit der russischen Invasion im Februar seien ukrainische Städte von gut 2.600 feindlichen Raketen getroffen worden, sagte Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache am Sonntag. „Das sind Leben, die hätten gerettet werden können, Tragödien, die hätten verhindert werden können – wenn die Ukraine erhört worden wäre.“ Dabei habe das Land bereits vor dem Krieg um moderne Luftabwehr-Systeme gebeten, die schon vor Jahren hätten geliefert werden können, sagte Selenskyj.

In den umkämpften ostukrainischen Gebieten versuchten die russischen Truppen weiterhin, in Richtung von Städten wie Bachmut, Slowjansk und Lyssytschansk vorzustoßen, sagte Selenskyj. In der strategisch wichtigen Stadt Sjewjerodonezk werde „buchstäblich um jeden Meter gekämpft“.

Klitschko pocht auf Unterstützung vor möglichem Scholz-Besuch

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat hohe Erwartungen an einen möglichen Besuch von Kanzler Scholz in der ukrainischen Hauptstadt. Der „Bild am Sonntag“ zufolge plant der SPD-Politiker noch im Juni eine gemeinsame Reise mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi. „Wir brauchen von den drei Führern der wichtigsten Länder harte Unterstützungssanktionen und Waffen so schnell wie möglich“, sagte Klitschko der „Bild“.

Er gehe davon aus, dass die dramatische Lage der Ukraine durch einen Besuch deutlicher werden würde. „Ich glaube, man kann die Situation besser verstehen, wenn man Städte wie Butscha mit eigenen Augen gesehen hat“, sagte Klitschko. Er sieht auch die Hauptstadt weiter in Gefahr eines Angriffs durch Russland. „Kiew war ein Ziel und Kiew bleibt ein Ziel.“

Ukrainische Polizei: 12.000 Zivilisten getötet

Nach ukrainischen Angaben kamen mehr als 12.000 Zivilisten im Krieg um. Die meisten Opfer seien durch Explosionen getötet worden, sagte der Chef der ukrainischen Polizei, Ihor Klymenko, in einem am Montag von der Agentur Interfax-Ukraine veröffentlichten Interview. 75 Prozent der Getöteten seien Männer, zwei Prozent Kinder und die Übrigen Frauen. „Es handelt sich um Zivilbevölkerung, diese Menschen standen in keiner Beziehung zum Militär oder den Rechtsschutzorganen“, unterstrich Klymenko. 1.200 Opfer habe man noch nicht identifizieren können.

Mehr als 1.500 Tote sollen nach dem Abzug russischer Truppen Ende März allein im Gebiet um die Hauptstadt Kiew gefunden worden sein. Funde von Massengräbern und gefesselten Erschossenen vor allem im Kiewer Vorort Butscha hatten weltweit Entsetzen ausgelöst. Die Vereinten Nationen haben bisher erst 4.300 getötete Zivilisten erfasst. Russland hatte den Nachbarstaat Ende Februar überfallen.

London: Flussquerungen werden zentrale Rolle spielen

Nach Einschätzung britischer Geheimdienste dürften Flussquerungen in der kommenden Phase des Ukraine-Krieges eine entscheidende Rolle spielen. Ein zentraler Teil der russischen Frontlinie in der Donbass-Region liege westlich des Flusses Siwerski Donez, hieß es am Montag in einem Update des britischen Verteidigungsministeriums.

Um weitere Fortschritte im Donbass zu erzielen, müsse Russland daher entweder komplizierte Flankenangriffe durchführen oder Flussquerungen unternehmen. Bislang sei es den Russen oft nicht gelungen, unter Beschuss groß angelegte Überquerungen von Flüssen erfolgreich zu meistern. Die Ukrainer hätten es hingegen mehrfach geschafft, vor ihrem Rückzug Brücken zu zerstören.

Amnesty: Zahlreiche tote Zivilisten durch Streumunition

Russische Truppen haben nach Recherchen von Amnesty International durch den völkerrechtswidrigen Einsatz geächteter Streumunition zahlreiche Zivilisten im ostukrainischen Gebiet Charkiw getötet. „In Charkiw wurden Menschen in ihren Häusern und auf der Straße getötet, während sie mit ihren Kindern Spielplätze besuchten, auf Friedhöfen ihrer Angehörigen gedachten, beim Anstehen für Hilfslieferungen oder beim Einkaufen“, berichtete Janine Uhlmannsiek vom deutschen Ableger von Amnesty International.

Als Streumunition werden Raketen und Bomben bezeichnet, die noch in der Luft über dem Ziel zerbersten und eine Vielzahl kleiner Sprengkörper freisetzen.

Putin entlässt bekannte Juristin aus Staatsdienst

Nachdem sie sich kritisch über Russlands Krieg gegen die Ukraine geäußert hat, hat Kremlchef Wladimir Putin eine prominente Juristin aus dem Staatsdienst entlassen. Per Dekret entzog Putin am Montag Natalja Poklonskaja ihren Posten als stellvertretende Leiterin von Rossotrudnitschestwo – eine ans russische Außenministerium angegliederte Organisation, die sich unter anderem für Russlands Interessen in anderen Ex-Sowjetstaaten einsetzt.

Die heute 42 Jahre alte Poklonskaja war nach Russlands Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel Krim von 2014 schlagartig berühmt geworden – als Generalstaatsanwältin, die dem Kreml treue Dienste erwies. In der Ukraine wurde sie als Verräterin beschimpft. Später war sie zwischenzeitlich Abgeordnete des russischen Parlaments und Botschafterin im afrikanischen Kap Verde.

Nach Russlands Einmarsch in die Ukraine Ende Februar aber sprach Poklonskaja von einer „Katastrophe“. An die Russen – aber auch an die Ukrainer – gerichtet, sagte sie außerdem: „Hört bitte auf! Mir scheint, dass wir zu weit gegangen sind und es an der Zeit ist, aus eigener Kraft den Mut für die Zukunft aufzubringen und sie nicht in die Hände derer zu legen, die bewaffnet sind.“

Später bezeichnete sie den Buchstaben Z, der als Propaganda-Symbol für Russlands Krieg gegen die Ukraine gilt, als Sinnbild für „Tragödie und Trauer sowohl für Russland als auch für die Ukraine“. Nach diesen Äußerungen kündigte die Staatsorganisation Rossotrudnitschestwo, für die Poklonskaja erst einige Monate lang arbeitete, „Konsequenzen“ an.

Hacker bringen Kritik an Krieg auf russische TV-Webseiten

Unbekannte Hacker haben eine Botschaft gegen den Krieg in der Ukraine auf Webseiten des russischen Staatsfernsehens platziert. Auf dem Streaming-Portal „Smotrim.ru“ etwa stand am Sonntagabend neben Fotos von Zerstörung in der Ukraine der Text „Putin vernichtet Russen und Ukrainer! Stoppt den Krieg!“, wie Internet-Nutzer berichteten.

Das Staatsfernsehen räumte später eine Hacker-Attacke ein, durch die weniger als eine Stunde lang „Inhalte mit extremistischen Aufrufen“ angezeigt worden seien. Russland bezeichnet den Krieg in der Ukraine als „militärische Spezial-Operation“. Von der offiziellen Linie abweichende Darstellungen stehen als Verbreitung angeblicher Falschinformationen über russische Streitkräfte unter Strafe. (dpa/mf)



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