Orbáns drei vertrauliche Briefe an Charles Michel und eine Antwort
Mehr als zwei Jahre nach der Eskalation des Krieges in der Ukraine hat der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán eine „Friedensmission“ gestartet. Er wolle den Dialog zwischen den Parteien wieder in Gang bringen.
In zehn Tagen reiste der Ministerpräsident „um die Welt“, wie er es in den sozialen Medien beschrieb. Dabei betonte Orbán immer wieder, dass er nicht im Auftrag der EU unterwegs sei und auch keine Friedensgespräche führe. Er sammle lediglich Informationen aus erster Hand von allen Konfliktparteien.
Dabei wolle er der EU Bericht erstatten. Er tue dies als Regierungschef des Landes, das gerade die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehabe.
Orbán hat sein Versprechen gehalten. Er hat kürzlich drei Briefe an den Ratspräsidenten Charles Michel geschickt. In diesen eigentlich vertraulichen Briefen berichtete er von seinen Erfahrungen auf seinen Reisen und machte Vorschläge.
Die Anmerkungen und Vorschläge Orbáns wurden nun vom eigentlichen Adressaten Michel beantwortet. Sowohl Orbáns Briefe als auch Michels Antwort sind inzwischen an die Öffentlichkeit gelangt. Ihr Inhalt hat in Brüssel hohe Wellen geschlagen.
Orbáns Reisediplomatie
Unmittelbar nach seinem Besuch in Moskau am 5. Juli sandte Orbán sein erstes Schreiben an Michel. Darin fasste er zusammen, was er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin besprochen hatte.
Den zweiten Brief hat der Ministerpräsident am 8. Juli an den Ratspräsidenten gesandt. Laut „El País“ gab er darin Details zu seinen Gesprächen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping bekannt. In seinem jüngsten, dritten, Brief berichtete Orbán über seine Gespräche mit Trump.
Alle drei Briefe wurden der Presse zugespielt.
Orbán hat bereits an seinem ersten Tag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft die internationale Aufmerksamkeit für seine sogenannte Friedensmission genutzt. Noch am 1. Juli reiste er in die Ukraine, wo er Präsident Wolodymyr Selenskyj traf. Wenige Tage später war er zu Gesprächen mit Putin in Moskau. Vor dem NATO-Gipfel besuchte er dann Xi in Peking. In den USA führte er Gespräche mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und anschließend mit dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Mit Biden kam Orbán nur am Rande des NATO-Gipfels zusammen und es ist nicht bekannt, ob es zu einem gemeinsamen Gespräch kam.
Orbáns jüngster Brief
Die „Financial Times“ will den jüngsten Brief Orbáns kennen. Die Inhalte des angeblich eineinhalbseitigen Briefes an den Ministerpräsidenten wurde am 15. Juli bekannt gegeben.
Laut Orbán habe Trump „solide Pläne“ für die Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine. Dem Brief zufolge wird der republikanische Präsidentschaftskandidat im Falle eines Wahlsiegs im November rasch Friedensgespräche initiieren. Noch in diesem Jahr.
Orbán warnt jedoch davor, dass ein Wahlsieg Trumps die EU teuer zu stehen kommen würde. „Ich bin mehr als überzeugt, dass sich im wahrscheinlichen Fall eines Wahlsiegs von Präsident Trump die finanzielle Belastung zwischen den USA und der EU deutlich zuungunsten der EU verschieben wird, wenn es um die finanzielle Unterstützung der Ukraine geht“, so Orbán.
Deshalb fordert der ungarische Regierungschef die EU auf, eine eigene Strategie zur Lösung des Konflikts zu entwickeln und nicht einfach die „Pro-Kriegs-Politik“ der Biden-Regierung zu kopieren.
„Bis jetzt haben wir keine souveräne und unabhängige europäische Strategie oder einen politischen Aktionsplan. Ich schlage eine Diskussion darüber vor, ob es vernünftig ist, diese Politik in Zukunft fortzusetzen“, wird Orbán in der „Financial Times“ zitiert.
Die „allgemeine Beobachtung“ des Ministerpräsidenten sei, dass „die Intensität des militärischen Konflikts bald radikal eskalieren wird“.
Orbán: Putin und Xi rechnen mit Friedensgesprächen noch in diesem Jahr
Auf die Gespräche mit dem ukrainischen Präsidenten geht Orbán in seinen Briefen nur kurz ein, da die ukrainische Position der EU bekannt sei. Zur Haltung Putins schreibt er, diese unterscheide sich derzeit „deutlich von der Interpretation von Präsident Selenskyj“.
Gleichzeitig sagt Orbán, dass Putin jedoch bereit sei, einen möglichen Waffenstillstand in Betracht zu ziehen, der „nicht der versteckten Umgruppierung und Reorganisation der ukrainischen Streitkräfte dient“.
Es sei deutlich geworden, dass Russland zu Friedensgesprächen bereit sei, insbesondere auf der Grundlage der Bedingungen, auf die sich beide Seiten bereits bei den Gesprächen in Istanbul im April 2022 geeinigt hätten.
Dieses Dokument von 2022 trägt laut Putin den Titel „Vertrag über die dauerhafte Neutralität und Sicherheitsgarantien für die Ukraine“. Aus dem Entwurf gehe hervor, dass die Ukraine die „permanente Neutralität“ in ihrer Verfassung verankern müsse. Als Garanten würden nicht nur Russland, sondern auch die USA, China, Großbritannien und Frankreich genannt.
Im Rahmen seiner Gespräche mit dem chinesischen Staatschef habe Orbán mögliche Szenarien zur Beendigung des Krieges in der Ukraine nach den US-Präsidentschaftswahlen im November erörtert, berichtet „El País“ weiter.
Die EU solle auch mit China über den Frieden sprechen, so Orbán. Man solle sich gemeinsam auf künftige Friedensverhandlungen vorbereiten. Sowohl Putin als auch Xi gingen davon aus, dass neue Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine noch in diesem Jahr stattfinden würden.
Michel widerspricht Orbán
Der Präsident des Europäischen Rates hat am 16. Juli auf die Schreiben des ungarischen Ministerpräsidenten geantwortet. Der Brief von Michel gelangte an die europäische und die ungarische Presse.
„Ich kann Ihre Behauptung nicht akzeptieren, dass wir eine ‚Pro-Kriegs-Politik‘ betreiben. Das Gegenteil ist der Fall“, heißt es in Michels Brief. Die EU, so der belgische Politiker, habe sich stets um eine breite Unterstützung für einen umfassenden und gerechten Frieden bemüht. Dieser stehe im Einklang mit den wichtigsten Prinzipien und Zielen der ukrainischen „Friedensformel“.
Gleichzeitig sei der „direkte Weg zum Frieden der Abzug aller russischen Streitkräfte aus der Ukraine und die Achtung der territorialen Integrität der Ukraine und der Charta der Vereinten Nationen“, so Michel.
Mit Blick auf die Gespräche mit Orbán in den vergangenen Tagen betonte er, dass „wir nicht ohne die Ukraine über die Ukraine sprechen können“.
Orbán habe nicht das Recht, im Namen der EU zu verhandeln. Die EU habe zuletzt im Juni bekräftigt, dass die Mitgliedstaaten bereit seien, die Ukraine „so lange und so intensiv wie nötig“ zu unterstützen, um sich gegen die Aggression Russlands zu verteidigen und die Sicherheit Europas zu schützen.
Als Reaktion auf Ungarns „Friedensmission“ hat die EU mit Konsequenzen gedroht. Der Juristische Dienst des Rates schrieb vergangene Woche, dass das Vorgehen Budapests einen Verstoß gegen die EU-Verträge darstellen könnte. Die Kommission hat einen Boykott der Treffen der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft angekündigt. Weitere konkrete Schritte gegen Orbán haben die EU-Länder bislang aber nicht unternommen.
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