Osteuropa-Experte: „Eine Mehrheit der Russen ist gegen einen Krieg“

Eines der Hauptziele von Russland und China ist, die bisherige Weltordnung zu verändern und eigene Regeln zu setzen. Wie ist die Lage? Osteuropa-Experte Dr. Stefan Meister im Interview.
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Einwohner von Kiew vor einer Übung am 20. Februar 2022. Sie trainieren den Umgang mit Waffen und Erste-Hilfe-Maßnahmen.Foto: GENYA SAVILOV/AFP via Getty Images
Von 24. Februar 2022

Die Lage an der ukrainisch-russischen Grenze bleibt undurchsichtig. Spekulationen blühen. Deutschland ist in gewissem Sinne involviert, da es in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Unterstützer der Ukraine wurde.

Was sagt Dr. Stefan Meister, Politologe und Osteuropa-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, dazu? Für ihn ist klar, dass die russische Bevölkerung keinen Krieg möchte, ebenso wenig wie der Westen.

Wie ist die Lage in Russland? 

Eine Mehrheit der Russen ist gegen einen Krieg, die Bevölkerung hat nach Syrien und der Ukraine 2014 kein Interesse an einem weiteren Kriegsabenteuer. Themen sind eher die negativen sozioökonomischen Bedingungen. In der innerrussischen Debatte spielt deshalb Krieg auch keine Rolle, es gibt keine Debatte wie in westlichen Medien über einen möglichen Krieg in der Ukraine.

Aber die Öffentlichkeit in Russland funktioniert nicht wie in demokratischen Staaten, es gibt kaum unabhängige Medien, sollte es zu Krieg kommen, werden die kontrollierten Medien das entsprechend verkaufen und es wird kaum zu Widerstand kommen.

Warum eröffnet Putin gerade jetzt dieses Szenarium?

Aus seiner Perspektive ist der Westen schwach, Biden will sich auf China konzentrieren und aus Europa in Teilen zurückziehen, Deutschland hat eine neue Bundesregierung, die Orientierung sucht sowie auf solch einen Konflikt nicht vorbereitet ist und Frankreich hat im April Präsidentschaftswahlen.

Weiterhin ist Winter und die Gaspreise sind hoch, eine gute Verhandlungsposition für Putin. Mit Blick auf die Ukraine spielt die Zeit gegen Russland, die ukrainische Armee wird modernisiert und das Land entwickelt sich weg von Russland, es ist also Zeit, zu intervenieren und die Kontrolle zurück erlagen.

In der Ukraine gibt es durchaus westlich und europäisch gerichtete Bevölkerungsteile. Welche Auswirkungen hat der derzeitige Konflikt auf diese?

Genau, das ist die Mehrheit, und die ukrainische Identität gegen Russland hat sich verstärkt. Die Ukrainer werden darum kämpfen, nicht mehr in den russischen Einflussbereich zu kommen.

Wie kann Deutschland reagieren, wenn es zu einem Angriff kommt? Was würde eine Erdöl- und/oder eine Erdgas-Blockade bewirken?

Deutschland wird Finanz-, Banken- und Personensanktionen unterstützen, dafür gibt es bereits eine Liste, Nord Stream 2 wurde gerade aufgrund der Anerkennung der beiden sogenannten Volksrepubliken durch Russland gestoppt. Ein Stopp von Öl und Gaslieferungen durch Russland wäre das letzte Mittel bei einer Eskalation, die Deutschland stark treffen würden (55 Prozent Gas aus Russland) und global die Gas- und Ölpreise steigen lassen würden.

Wie könnte die NATO reagieren? 

Aktuell ziehen sich die USA zumindest kurzfristig nicht aus Europa zurück, sondern stärken ihre Truppen innerhalb der NATO. Die NATO wird wegen der Ukraine in keinen Krieg mit Russland gehen, aber sie wird ihr Abschreckungspotenzial gegenüber Russland in ihren Mitgliedstaaten erhöhen.

Die NATO wird vorsichtig sein, weiter Waffen an die Ukraine zu liefern, um nicht in einen militärischen Konflikt mit Russland zu kommen.

Welche Rolle spielt China? Könnte es sein, dass Xi den Russland/Ukraine-Konflikt als eine Art „Testballon“ für sein Vorgehen um Taiwan betrachtet?

Der Kontext ist ein völlig anderer, somit schwer als Testballon zu bezeichnen. Aber China schaut sich genau an, wie die USA Russland in diesem Kontext managen und werden daraus ihre Schlüsse für Taiwan ziehen. Xi hat erstmals die NATO kritisiert, somit Putin unterstützt, wird sich aber in keinen Konflikt hereinziehen lassen. Es geht eher darum, die Handlungsfähigkeit der USA zu analysieren.

Die Fragen stellte Kathrin Sumpf.



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