Referendum in Italien könnte Regierungschef Renzi wegfegen – Politische und wirtschaftliche Stabilität ungewiss

Sicher ist, dass es bei der Abstimmung für den italienischen Regierungschef Matteo Renzi ums Ganze geht: Sollten sich die Wähler gegen die von Renzi gewünschte Reform aussprechen, dann wird der Rücktritt des Ministerpräsidenten der Mitte-links-Regierung in Rom erwartet.
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Proteste gegen den italienischen Premier Mario Renzi - hier am 22. November.Foto: TIZIANA FABI/AFP/Getty Images
Epoch Times2. Dezember 2016

Es ist weit mehr als ein Referendum über eine Verfassungsänderung, wenn in Italien am Sonntag die Wähler zur Abstimmung gehen. Für manche steht gar die politische und wirtschaftliche Stabilität der drittgrößten Volkswirtschaft der Eurozone auf dem Spiel.

Sicher ist, dass es bei der Abstimmung für den italienischen Regierungschef Matteo Renzi ums Ganze geht: Sollten sich die Wähler gegen die von Renzi gewünschte Reform aussprechen, dann wird der Rücktritt des Ministerpräsidenten der Mitte-links-Regierung in Rom erwartet.

Viele Nein-Stimmen erwartet

Nach den letzten Umfragen lag das Nein-Lager zwischen fünf und acht Punkten vorne, wobei viele Wähler noch unentschieden waren. Eine Niederlage für Renzi scheint auch deshalb möglich, weil er sich einer breiten Koalition im Nein-Lager gegenüber sieht: Die Front reicht von der extremen Linken über Gewerkschaften und die Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) des Populisten Beppe Grillo und die rechte Mitte des ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bis hin zur rassistischen Lega Nord und der rechtsextremen Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens).

Renzi aber hat sein politisches Schicksal klar mit einem Ja zu der Reform verknüpft, noch zweieinhalb Wochen vor dem Referendum schloss er einen Verbleib im Amt aus, sollte das gegnerische Lager gewinnen. Durch die Änderungen will er mehr politische Stabilität erreichen, denn seit 1946 gab es in Italien bereits 60 Regierungen.

Abstimmung über die wichtigste Verfassungsreform seit 1945

Die vom Parlament bereits gebilligte Reform gilt als wichtigste Verfassungsänderung in Italien seit 1945. Ihr Hauptziel ist es, die Zuständigkeiten des Senats stark zu beschränken, um die Gesetzgebung zu beschleunigen und zu vereinfachen. Bisher waren Abgeordnetenhaus und Senat gleichberechtigt und blockierten sich oft gegenseitig.

Rund 40 Verfassungsartikel sind von der Reform betroffen. Vorgesehen ist unter anderem, dass der Senat dem Regierungschef künftig nicht mehr das Misstrauen aussprechen und nur noch bei ganz wenigen Gesetzen mitwirken darf. Die Regionen sollen eine Reihe ihrer bisherigen Kompetenzen an den Zentralstaat abgeben. Renzi verspricht sich davon, dass Entscheidungen schneller getroffen werden und der Staat eine Modernisierung erfährt.

Hinter der Verfassungsänderung stehen außer der großen Mehrheit von Renzis Demokratischer Partei (PD) Teile des Mitte-rechts-Lagers sowie der Unternehmerverband Confindustria. Die Gegner der Verfassungsänderungen befürchten dagegen eine Machtkonzentration in den Händen einer Person, des Regierungschefs. Manche fürchten gar, dass dem Faschismus in Italien dadurch wieder der Boden geebnet werden könnte.

Allerdings sind laut Umfragen nur 40 Prozent der Italiener der Ansicht, dass es am Sonntag bei der Abstimmung tatsächlich um die Reform geht – 56 Prozent geben an, es gehe bei dem Urnengang um die Regierung. Renzi selbst hat dies durch die Verknüpfung mit seiner politischen Zukunft mitbewirkt.

Sollte Renzi gehen könnte die „Antisystem“-Partei von Grillo stärkste Partei werden

Besondere Bedeutung hat der Ausgang des Referendums für die populistische „Antisystem“-Partei des Komikers Grillo, die in Umfragen mit der regierenden PD praktisch gleichauf liegt. Sollte es nach einem Rücktritt von Renzi zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, dann könnten sich die Populisten manchen Umfragen zufolge Hoffnungen darauf machen, stärkste Partei in Italien zu werden. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist einem Referendum über einen Austritt Italiens aus der Eurozone nicht abgeneigt.

Sollte Renzi zurücktreten, fürchten manche Experten daher nicht nur eine Phase der politischen Instabilität, sondern in der Folge auch negative Auswirkungen auf den ohnehin angeschlagenen italienischen Bankensektor. Als wahrscheinlicher gilt aber, dass Renzi nach einem Rücktritt der PD-Parteichef bleibt und es seinem Finanzminister Pier Carlo Padoan überlässt, eine Übergangsregierung zu führen, um die nächsten Wahlen vorzubereiten.

Selbst wenn die bisher für 2018 vorgesehenen Wahlen vorgezogen würden, müsste unter einer neuen Regierung erst einmal das Wahlgesetz reformiert werden – und das dürfte einige Zeit dauern. All diese Unwägbarkeiten brachten EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker jüngst zu dem Stoßseufzer: „Ich hoffe, das Nein gewinnt nicht.“ (afp)



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