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plus-iconUS-Friedensplan im Fokus

Selenskyjs Risikoabwägung: Würde vs. strategische Partnerschaften

Die USA haben einen Friedensplan für die Ukraine vorgelegt, der aus Sicht vieler westlicher Staaten zu große Zugeständnisse an Russland beinhaltet. Präsident Selenskyj steht zwischen dem Risiko, die Unterstützung der USA zu verlieren, und dem möglichen Verlust ukrainischer Gebiete. Europa fordert nun ein Mitspracherecht, um eine Lösung zu verhindern, die ohne Kyjiw und europäische Interessen ausgehandelt wird.

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj überquert den Innenhof vor seinem Treffen mit dem französischen Präsidenten im Élysée-Palast in Paris, Frankreich, am 17. November 2025.

Foto: Amaury Cornu/Hans Lucas via AFP

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Lesedauer: 8 Min.


In Kürze:

  • USA stellen neuen Friedensplan vor, der weitreichende Gebietsverluste der Ukraine vorsieht
  • Europäische Staaten und US-Senatoren kritisieren den Vorschlag als zu russlandfreundlich
  • Selenskyj steht unter Druck, Trump fordert schnelle Entscheidung, Europa verlangt Mitsprache

 
Seit drei Tagen nehmen die Verhandlungen über ein mögliches Ende des Ukraine-Krieges wieder Fahrt auf. Auslöser ist ein bekannt gewordener 28-Punkte-Plan der USA, der zahlreiche westliche Regierungschefs am 22. November alarmierte. Sie befürchten, dass der Vorschlag zu weitreichende Zugeständnisse an Russlands Präsidenten Wladimir Putin enthält.
Der neue Plan aus Washington wurde ohne nennenswerte Beteiligung der Ukraine oder Europas ausgearbeitet. Nun sollen die Europäer doch noch eingebunden werden.

Krim-Verzicht und Truppenbegrenzung

Hochrangige Vertreter der USA, der Ukraine sowie aus Frankreich, Großbritannien und Deutschland beraten heute, am 23. November, in Genf über den amerikanischen Vorschlag. Dies meldet unter anderem die internationale Nachrichtenagentur „Reuters“.
Für die USA nehmen der Sondergesandte Steve Witkoff und Außenminister Marco Rubio an den Gesprächen teil. Beide waren an der Ausarbeitung des Friedensplans beteiligt, der am 20. November erstmals durch das amerikanische Nachrichtenportal „Axios“ bekannt geworden war.
Der Plan sieht im Kern vor, dass die Ukraine auf die Halbinsel Krim sowie auf große, derzeit überwiegend von Russland besetzte Gebiete im Südosten des Landes verzichten soll. Zudem sollen die ukrainischen Streitkräfte auf rund 600.000 Soldaten begrenzt werden, während ein NATO-Beitritt dauerhaft ausgeschlossen bliebe.

US-Senatoren: „Plan ist eine Wunschliste Moskaus“

Auch in den Kreis der europäischen Kritiker reiht sich nun eine Gruppe amerikanischer Senatoren ein. Sie meldeten sich am Rande einer Sicherheitskonferenz in Kanada zu Wort: Der amerikanische Außenminister Marco Rubio habe ihnen vor seinem Abflug nach Genf gesagt, dass der Friedensplan im Wesentlichen seitens Russlands vorgeschlagen worden sei. Er sei laut Rubio eine „Wunschliste der Russen“.
Das Weiße Haus hingegen erklärte, der Plan sei von Witkoff, Rubio und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner erarbeitet worden. Dieses Trio hatte bereits den Friedensplan für Gaza verfasst.
Rubio stellte nach den Äußerungen der Senatoren mittels eines Posts auf X klar: „Der Friedensvorschlag wurde von den USA verfasst. Er wird als solider Rahmen für die laufenden Verhandlungen angeboten. Er basiert auf Informationen von russischer Seite. Aber es basiert auch auf früheren und laufenden Informationen aus der Ukraine.“
Putin äußerte sich am 21. November in Moskau am Rande eines Sicherheitsratstreffens und bestätigte den Erhalt des Plans. Nach übereinstimmenden Berichten westlicher Medien bezeichnete er das Dokument als „neue Version“ sowie „modernisierten Plan“, der „die Grundlage für eine endgültige Friedensregelung bilden könnte“.
Zudem wird Putin mit den Worten zitiert: „Dieser Text wurde jedoch in keiner Weise substanziell mit uns diskutiert, und ich kann mir vorstellen, warum.“ Die amerikanische Regierung sei bislang nicht in der Lage gewesen, die Zustimmung der ukrainischen Seite zu erhalten.

Selenskyj hofft auf Europa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte den Plan in einer Ansprache auf X nicht vollständig abgelehnt, sprach aber von einem „der schwierigsten Momente“ in der ukrainischen Geschichte.
Das Land stehe „möglicherweise vor einer sehr schwierigen Entscheidung: entweder den Verlust seiner Würde oder das Risiko, einen wichtigen Partner [die USA] zu verlieren“.
Die Ukraine müsse sich entweder den anspruchsvollen 28 Punkten beugen oder einen extrem harten Winter überstehen. Es komme nun darauf an, ob die Ukrainer „ein Leben ohne Freiheit, Würde und Gerechtigkeit“ führen wollen oder darauf hoffen können, dass ihnen Europa zur Seite steht.

Trump will Antwort aus Kiew bis Thanksgiving

Der amerikanische Präsident Donald Trump sagte am 21. November in einem Radiointerview, dass er bis Donnerstag, dem 27. November, von Selenskyj eine Antwort auf seinen 28-Punkte-Plan erwarte. An dem Tag feiern die Amerikaner traditionell Thanksgiving, ein Erntedankfest, das in den USA in seiner Bedeutung Weihnachten gleichkommt.
Grundsätzlich könne er sich jedoch auch eine Fristverlängerung vorstellen, so Trump: „Ich hatte schon viele Fristen, aber wenn die Dinge gut laufen, neigt man dazu, die Fristen zu verlängern“, sagte er in einem Interview auf „Fox News Radio“. Dennoch betonte Trump, dass Donnerstag der festgelegte Zeitpunkt sei und bezeichnete diesen Tag als „angemessenen Zeitpunkt“.
Im Oval Office im Weißen Haus zeigte sich Trump vor der Presse weniger konziliant: Er betonte, dass der ukrainische Präsident den neuen Plan nicht mögen müsse, und fügte hinzu: „Wenn er ihn nicht mag, dann soll er halt weiterhin dagegen kämpfen.“

Kellogg warnt Selenskyj vor katastrophalen Verlusten

Der US-Sonderbeauftragte für die Ukraine, Keith Kellogg, bezeichnete die Äußerungen von Wolodymyr Selenskyj als „Pose“ und warnte davor, dass dem Land „katastrophale Verluste“ drohen könnten.
In einem Interview mit dem amerikanischen Sender „Fox News“ kritisierte Kellogg Selenskyj und die ukrainischen Vertreter bei den Vereinten Nationen: „Ich habe gehört, was Selenskyj am Freitag in seiner Rede an die Nation gesagt hat. Das ist Teil ihrer Show. Das habe ich verstanden.“ Kellogg fügte hinzu: „Ich glaube, sie müssen sich für ihr eigenes Volk in Pose werfen.“
Gleichzeitig betonte er, dass der Konflikt beendet werden müsse. Die Ukrainer müssten nun „kluge Entscheidungen treffen“, andernfalls drohten ihnen katastrophale Verluste. Gleichzeitig zeigte sich Kellogg überzeugt, dass noch „Details des Plans“ etwas „genauer ausgearbeitet werden müssen“.

Merz fordert Beteiligung Europas ein

Die neue Dynamik im Ukraine-Friedensprozess erreichte die europäischen Staats- und Regierungschefs während des G20-Gipfels in Südafrika. In einer Pressekonferenz vor Ort formulierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) klare Forderungen an Russland und die USA.
Der Krieg in der Ukraine könne „nur mit der Zustimmung der Ukraine und auch unserer Zustimmung, der europäischen Zustimmung, beendet werden“, betonte Merz. „Denn es ist ein Krieg auf dem europäischen Kontinent.“ Sollte die Ukraine den Krieg verlieren oder gar kollabieren, hätte dies Folgen für die gesamte europäische Politik und den Kontinent insgesamt, erklärte der Bundeskanzler weiter.
Dies sei der Grund für das Engagement der europäischen Staaten. Merz wies darauf hin, dass er diese Position bereits in einem Telefonat am 21. November gegenüber Donald Trump „deutlich gemacht“ habe. Abschließend erklärte er: „Aus meiner Sicht gibt es derzeit eine Chance, diesen Krieg zu beenden. Aber wir sind von einem gemeinsamen guten Ergebnis noch ziemlich weit entfernt.“
Tom Goeller ist Journalist, Amerikanist und Politologe. Als Korrespondent hat er in Washington, D.C. und in Berlin gearbeitet, unter anderem für die amerikanische Hauptstadtzeitung „The Washington Times“. Seit April 2024 schreibt er unter anderem für Epoch Times. Ferner war er von 1995 bis August 2023 Reserveoffizier im Dienstgrad Oberstleutnant und nahm an Auslandseinsätzen teil, unter anderem zehn Monate im Irak.

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