Steinmeier in Warschau: Verbundenheit trotz Schwierigkeiten

Bundespräsident Steinmeier trifft sich heute mit dem polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Anlass ist der 1991 abgeschlossene Nachbarschaftsvertrag zwischen Deutschland und Polen. Vor 30 Jahren erfolgte ein Neustart der deutsch-polnischen Beziehung.
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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist nach Warschau.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times17. Juni 2021

Genau 30 Jahre nach Unterzeichnung des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag zu einem offiziellen Besuch in Warschau eingetroffen.

Steinmeier landete am Vormittag auf dem Flughafen der polnischen Hauptstadt und folgt mit seinem Besuch einer Einladung des polnischen Präsidenten Andrzej Duda. Die beiden Staatsoberhäupter wollen das Abkommen aus dem Jahr 1991 würdigen, das nach der deutschen Vereinigung die Grundlage für eine enge politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit legen sollte.

„Europäische Erfolgsgeschichte“

Beide Präsidenten bemühten sich, aus Anlass des Jahrestags einen versöhnlichen Ton anzuschlagen. „Wir können heute sagen, dass wir verflochten sind“, sagte Duda. Steinmeier zählte das deutsch-polnische Verhältnis zu den „größten europäischen Erfolgsgeschichten der letzten 30 Jahre.“

Der Nachbarschaftsvertrag habe „ein neues Kapitel in unserer oft bewegten, oft schwierigen Geschichte“ eröffnet, sagte Steinmeier – und fügte hinzu: „Wir müssen gar nichts schönreden: Natürlich gibt es manchmal unterschiedliche Interessen und Sichtweisen.“ Seine Botschaft in Warschau sei: „Kritik nehmen wir ernst, und wir werden uns einsetzen für vernünftige Lösungen.“

Als symbolische Geste sagte Steinmeier die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Sanierung des polnischen Kulturinstituts Dom Polski in Bochum zu. Duda sagte nach dem Treffen, es sei eine Verständigung in einem für Polen wichtigen Punkt erzielt worden: Ein Sonderfonds in Höhe von fünf Millionen Euro im Jahr soll Polnischunterricht für polnische Kinder in Deutschland mitfinanzieren.

Im Bereich Schulunterricht hatte Duda ausdrücklich eine mangelnde Umsetzung der Vereinbarungen aus dem Nachbarschaftsvertrag beklagt. Polens Präsident sprach insgesamt von „schwierigen Fragen“, die es noch zwischen Polen und Deutschland zu lösen gelte. Seine Unterredung mit Steinmeier sei „kein Bonbon-Treffen“ gewesen, resümierte Duda – damit deutete er an, dass in dem Gespräch auch Streitfragen thematisiert worden seien.

Polens Präsident forderte, die in Deutschland lebenden Polen offiziell als Minderheit anzuerkennen – so wie die Deutschen in Polen durch den Nachbarschaftsvertrag einen offiziellen Minderheitenstatus bekommen haben.

Steinmeier seinerseits zeigte sich „etwas besorgt“ über die polnische Entscheidung, den Deutschunterricht für Kinder der deutschen Minderheit von fünf auf drei Stunden pro Woche zu kürzen. Dies sei „nicht unerheblich“, sagte er.

Zustand der deutsch-polnischen Beziehung

Bei seinem Besuch will Steinmeier laut Präsidialamtskreisen ein „Zeichen der Verbundenheit setzen trotz der Schwierigkeiten, die es im Verhältnis der Regierungen gibt“. Die derzeitigen Streitfragen dürften in Steinmeiers Gesprächen eine Rolle spielen, im Mittelpunkt sollen sie aber nicht stehen. Steinmeier war auf Dudas Einladung hin nach Warschau gereist.

Die politischen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen auf Regierungsebene sind seit einigen Jahren belastet. Zu den Streitfragen zählen das deutsch-russische Pipeline-Projekt Nord Stream 2, die Justizreformen der konservativen polnischen Regierung und Polens Forderung nach Kriegs-Reparationen. Zu diesen Fragen äußerten sich Duda und Steinmeier bei der Pressekonferenz nach ihrem Treffen aber nicht.

Für diplomatische Verstimmung in Berlin sorgte im vergangenen Jahr des Weiteren, dass die polnische Regierung den neuen deutschen Botschafter Arndt Freytag von Loringhoven erst mit monatelanger Verzögerung akkreditiert hat.

Polen ist inzwischen der fünftgrößte Handelspartner Deutschlands. Das Handelsvolumen erreichte 2019 einen Rekordwert von 123 Milliarden Euro – mit steigender Tendenz. Die Zahl der in Deutschland lebenden Polen wird auf drei Millionen geschätzt. Seit 1999 gehört Polen der Nato an, seit 2004 der EU.

Auschwitz Komitee sieht Steinmeiers Polen-Reise als Signal

Steinmeier trifft in Warschau auch mit dem KZ-Überlebenden und Vorsitzenden des Internationalen Auschwitz Komitees, Marian Turski, zusammen. Der 94-Jährige wertete den Besuch des Bundespräsidenten als eine Geste des guten Willens.

„Dies ist ein gutes Signal, denn Polen ist dann stärker, wenn die Beziehungen zwischen Polen und der EU stärker sind“, sagte Turski der Deutschen Presse-Agentur. Turski wurde 1944 in das deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert, er ist Mitbegründer des Museums der Geschichte der polnischen Juden in Warschau.

Maas: Jubiläum nutzen, um gemeinsam nach vorne zu schauen

In einem Gastbeitrag für die „Rheinische Post“ sprach sich Außenminister Heiko Maas für eine Neubelebung der deutsch-polnischen Beziehungen aus. Das Jubiläum sollte vielmehr genutzt werden, um gemeinsam mit Polen nach vorne zu schauen. „Dann werden wir sehen: Polnische und deutsche Interessen liegen oft näher beieinander, als wir denken“, so Maas.

Außerdem solle Europa „glaubwürdig eintreten“ für seine Werte in der Welt. „Und wir wollen kein ‚Europa der zwei Geschwindigkeiten‘, das Polen und andere Länder Mittel- und Osteuropas absehbar zu Mitgliedern zweiter Klasse degradieren würde.“

Dazu müssten aber gemeinsame Vorschläge gemacht werden, wie die EU weiterentwickelt und gestärkt werden könne. „Kurz gesagt: Wir müssen neue Brücken bauen zwischen Deutschland und Polen, zwischen West und Ost in Europa – heute genauso wie vor 30 Jahren.“

Nachbarschaftsvertrag von Kohl damals als „Markstein in der Geschichte unserer beiden Länder“ bezeichnet

Der am 17. Juni 1991 unterzeichnete deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag bildete die Grundlage für die Beziehungen zwischen den beiden Ländern nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Fall des Eisernen Vorhangs. Er formuliert in 38 Artikeln gemeinsame Ziele in den Bereichen Politik, Kultur, Wirtschaft, Verkehr, Umwelt und Sicherheit – und er bettet das bilaterale Verhältnis in einen gesamteuropäischen Rahmen ein.

In der Einleitung des Vertrags heißt es, dieser werde geschlossen „in dem Bestreben, die leidvollen Kapitel der Vergangenheit abzuschließen“. Beide Seiten seien „entschlossen, an die guten Traditionen und das freundschaftliche Zusammenleben in der jahrhundertelangen Geschichte Deutschlands und Polens anzuknüpfen“.

Vorausgegangen war dem Vertrag das deutsch-polnische Grenzabkommen vom November 1990, das die Oder-Neiße-Linie endgültig als Grenze festlegte. (afp/dpa)



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