Syrien: Krise um Idlib wird zu Götterdämmerung für Astana-Format

Der im Jahr 2017 begonnene Astana-Friedensprozess hat es vielerorts in Syrien geschafft, einen dauerhaften Waffenstillstand herzustellen. Die Eskalation um Idlib zeigt jedoch, dass die Hoffnungen der Türkei, Russlands und des Iran, die Syrienkrise in Eigenregie zu lösen, verfrüht waren.
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So sah es vor dem Krieg in einer Shishabar in Syrien aus, hier in Damaskus. Harmlos.Foto: iStock
Von 13. September 2018

Als letzte Woche in Teheran die Staatschefs der Türkei, der Russischen Föderation und des Iran, Recep Tayyip Erdoğan, Wladimir Putin und Hassan Rouhani, unverrichteter Dinge auseinandergingen, war nicht nur die Hoffnung auf eine Einigung über Idlib gestorben.

Der 7. September 2018, an dem der Gipfel scheiterte, wurde augenscheinlich auch zum Sargnagel zweier Strategien, deren wesentliche Grundlage der Wunsch war, bei einer Lösung für Syrien die USA außen vor zu lassen.

Zu einen scheiterten die im Januar 2017 mit großem Optimismus verkündeten Bestrebungen, in der kasachischen Hauptstadt den Syrienkrieg auf eine Weise zu beenden, die an eine alte Idee des deutschen Staatsrechtlers Carl Schmitt erinnert – die „völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte“. Zum anderen zeigten sich einmal mehr die Grenzen der „Strategischen Partnerschaft“ zwischen der Türkei und der Russischen Föderation, die Außenminister Mevlüt Cavusoğlu noch im August wortgewaltig beschworen hatte.

Jede der drei beteiligten Parteien, die Türkei, Russland und der Iran, war auf der Basis ihrer eigenen, spezifischen Interessen zu einem der Hauptakteure im Syrienkrieg geworden. Die Türkei hatte dazu eine außenpolitische 180-Grad-Wende vollzogen. Pflegte Ankara seit der Regierungsübernahme der AKP und Erdoğans 2002 eine Sonnenscheinpolitik gegenüber allen Nachbarländern, erwachte 2010 mit dem Arabischen Frühling der Muslimbruder im langjährigen Islamisten aus dem Erbakan-Stall.

Neben dem 2009 eingeläuteten Konfrontationskurs gegenüber Israel und später gegen Ägypten war die direkte Intervention zugunsten der „Syrischen Revolution“ ein zentrales Anliegen einer „neo-osmanischen“ Machtpolitik. Dazu kam die Angst, ein zerfallendes Syrien könnte zum Aufmarschgebiet für die PKK werden.

Nach sechs Jahren ging es nur noch um Schadensbegrenzung

Russland schaltete sich erst später in den Konflikt ein. Moskau erkannte, dass ein Sturz Assads auch eine Gefahr für die eigenen Interessen, etwa den Zugang zum Mittelmeer, werden könnte. Zudem hatte man lange genug vor den potenziellen Konsequenzen vom Westen unterstützter Regime-Change-Abenteuer gewarnt und ahnte das Chaos voraus. Der Iran wiederum sah seine Chance gekommen, den „schiitischen Halbmond“ bis in den Libanon zu vollenden und so selbst zur dominanten Kraft in der Region aufzusteigen.

Jedem davon war aber klar geworden, dass es nach sechs Jahren des Krieges nicht mehr realistisch war, sein jeweiliges Maximalziel durchsetzen zu wollen, und dass eine Fortführung der Kämpfe deshalb jedem mehr schaden als nützen würde.

Gleichzeitig bestand ein gemeinsames Interesse Moskaus, Ankaras und Teherans daran, den Einfluss der USA in der Region zu minimieren, die in Teilen Syriens und im Irak als Speerspitze einer eigenen Antiterror-Koalition die Kontrolle übernommen hatten.

Die Bedingungen dafür waren gut. Nach den Erfahrungen von Regime Change und Nation Building in aller Welt mit Unterstützung der USA war nicht nur im Ausland die Kritik daran unüberhörbar geworden. Auch in den USA selbst sahen die Bürger dabei eine durchwachsene Bilanz und waren des Demokratieexports überdrüssig. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten war der unübersehbare Ausdruck dafür. Die Gräueltaten der radikal-islamischen Banden in Syrien warfen auch im Westen die Frage auf, ob ein Ende der Gräueltaten des Assad-Regimes durch dessen Sturz so tatsächlich einen Mehrwert schaffen würde.

Astana wurde vor diesem Hintergrund zur Nagelprobe für eine regionale, „antiimperialistische“ Form der Friedensstiftung. Sollten die Türkei, Russland und der Iran tatsächlich innerhalb weniger Monate durch Verhandlungen einen Frieden schaffen, den der Westen und seine Verbündeten in mehreren Jahren durch Druck nicht herstellen konnten?

Lange Zeit sah es danach aus. Die Deeskalationszonen und eine Vielzahl an regionalen Friedensverhandlungen halfen tatsächlich, vielerorts Stabilität zu schaffen. Kampfhandlungen endeten, Orte konnten wiederaufgebaut werden, einige Flüchtlinge zurückkehren.

Erdoğan kann den Muslimbruder in sich nicht kontrollieren

Russland konnte sich als unverzichtbarer und pragmatischer Friedensstifter inszenieren, Erdoğan gewann ausreichend an Sicherheit, um gegenüber den USA aufzutrumpfen – die er der Mitwisserschaft am Putschversuch 2016 bezichtigte. Und der Iran schaffte es derweil, sich in Syrien festzusetzen.

Nun jedoch scheiterte die angestrebte Friedenslösung für Idlib in Astana, obwohl die Türkei zuvor über Monate hinweg die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bande in Richtung Moskau verstärkt hatte. Das zeigt einmal mehr, dass Erdoğan in letzter Konsequenz den Pragmatismus beiseitelegt und als islamistischer Ideologe agiert.

Dies hatte bereits 2015 monatelange bilaterale Spannungen nach dem Abschuss einer russischen Su-24 an der syrischen Grenze zur Folge. Im Dezember 2016, dem Monat der Befreiung Aleppos von protürkischen Dschihadisten, ermordete ein mutmaßlicher islamischer Extremist in Ankara den russischen Botschafter Andrei Karlow.

Eine neuerliche diplomatische Krise verhinderten damals die Behauptung der Regierung, der Attentäter sei von der Gülen-Bewegung gesteuert gewesen – und die Bereitschaft, das Astana-Format zu schaffen. Dass der Mörder des Botschafters, den man vorsorglich nach der Tat zum Schweigen brachte, während deren Ausführung Parolen gebrüllt hatte, die weniger an Gülen als vielmehr an die islamistische Aleppo-Solidarität erinnerte, dürfte in Moskau nicht verborgen geblieben sein.

Das Vertrauen gegenüber Erdoğan war nie grenzenlos – erst recht nicht nach diesem Vorfall. Immerhin hatte dieser gezeigt, dass nach der Beseitigung der kemalistischen und gülenistischen Netzwerke im türkischen Staatsapparat längst ein neuer tiefer Staat Einkehr gehalten hat, jener der Muslimbrüder und anderer Radikal-Islamisten.

Putin wollte keine Schonzeit für Al-Nusra akzeptieren

Glaubt man den Berichten aus Teheran, hat Putin seinen türkischen Amtskollegen diesmal bewusst auflaufen lassen – und zwar, nachdem dieser einmal mehr seine Verbundenheit zu alten Freunden unter Beweis gestellt hatte. Erdoğan forderte allen Ernstes einen allseitigen Waffenstillstand für alle Seiten in Idlib. Dieser sollte auch zertifizierte Terrorbanden wie Hayat Tahrir al-Scham umfassen, die unter anderem Gruppen wie Al-Nusra unter ihrem Dach vereint. Putin wies dieses Ansinnen kategorisch zurück und beharrt ebenso wie das syrische Regime auf einer vollständigen Wiederherstellung der staatlichen Autorität über die Enklave.

Für Erdoğan schafft diese Entwicklung einmal mehr eine ungünstige Situation. Ein fliegender Wechsel auf die Seite der USA erscheint wenig erfolgversprechend. Immerhin hat er es weder geschafft, mit den Amerikanern eine Einigung hinsichtlich deren Unterstützung der kurdischen YPG zu erzielen – noch würde eine Freilassung von Pastor Brunson helfen, sein Gesicht zu wahren. Unterhalb einer solchen würde sich Trump mit Erdoğan jedoch nicht einmal an einen Verhandlungstisch setzen.

Als ersten Schritt hat der türkische Potentat zumindest zarte Bande zur US-amerikanischen Presse geknüpft. Im „Wall Street Journal“ konnte Erdoğan, in dessen Gefängnissen eine dreistellige Zahl an Journalisten festgehalten wird, in einem Kommentar dazu aufrufen, „Assads kriminelles Regime“ zu stoppen. Zudem drohte er angesichts des Truppenaufmarsches um Idlib auf Twitter:

„Wenn die Welt ihren Blick vom Töten zehntausender unschuldiger Menschen abwendet, das den Interessen des Regimes dienen soll, werden wir weder dabei mitmachen noch tatenlos zusehen.“

Die Türkei soll, um ihre Drohungen zu untermauern, bereits 20.000 Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) aus den türkisch kontrollierten Teilen Nordsyriens nach Idlib verlegt haben. Dass Erdoğan selbst die syrische Armee angreifen wird oder Russland in einen Stellvertreterkrieg mit der FSA verwickelt, erscheint jedoch als unwahrscheinlich. Bei aller ideologischer Verbundenheit mit den radikalen Islamisten ist zumindest die oberste Regierungsebene in Ankara nicht bereit, ein solches Abenteuer mit unabsehbarem Ausgang in deren Interesse mitzutragen.

Erste Stimmen in der AKP fordern Normalisierung gegenüber Assad

Ein Scheitern des Astana-Formats könnte Erdoğan immerhin künftig zu Hause als Konsequenz seiner Prinzipientreue verkaufen. Es gibt ohnehin ausreichend Stimmen in der Türkei, die ihm bereits in dessen Anfangsphase eine zu große Nachgiebigkeit gegenüber Moskau und Teheran vorgeworfen hatten. Eine Rückkehr Idlibs unter die Kontrolle Assads nicht akzeptiert zu haben und seine Astana-Partner für eine Eskalation verantwortlich zu machen, wäre für Erdoğan unter den gegebenen Umständen der „Ausweg für Helden“.

Ein vollständiges Ende des Astana-Prozess wird es aber voraussichtlich nicht geben. Die Türkei wird darin widerwillig, aber doch aktiv bleiben, um sich zumindest noch die Möglichkeit zu erhalten, an einer endgültigen Lösung für die Krise mitzuwirken.

Eine weitere theoretische Option skizziert der langjährige „Sabah“-Kolumnist Mehmet Barlas, der die Schuld für das Nichterreichen der türkischen Ziele in Syrien den USA und der CIA zuschiebt. Diese hätten sich geweigert, die „legitime moderate Opposition“ der FSA zu unterstützen. Stattdessen wären sie eine Allianz mit den „Terroristen“ der kurdischen YPG eingegangen. In dieser Situation solle Erdoğan sogar einen Ausgleich mit Assad suchen:

Wir müssen zu den Versuchen des Assad-Regimes beitragen, die Verfassung zu reformieren und Wahlen abzuhalten. Die Türkei muss eine Konfrontation mit Russland um Idlib vermeiden. Dies können wir bewerkstelligen, indem wir eine Linie verfolgen, die Syriens Einheit und die Legitimität seiner Regierung anerkennt.“

Da die Türkei diese Lösung bereits 2011 vor Ausbruch des Konflikts hätte haben können, würde eine Normalisierung des Verhältnisses zu Assad für Erdoğan ein ultimatives Eingeständnis der Niederlage bedeuten.

Dies könnte der mächtige tiefe Staat aus Muslimbrüdern und anderen Extremisten, die bereits während Erdoğans Versöhnungserklärungen mit Russland und Israel im Juni 2016 die Faust in der Tasche geballt hatten, aber nicht dulden. Möglicherweise wäre dies für einige von ihnen sogar ein Anlass zum Bruch mit dem sonst über alles geliebten „Reis“.

 



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