Von der Leyen ist die neue Merkel: Deutschlands Medien haben eine neue Hoffnungsträgerin

Am Tag nach der Wahl Ursula von der Leyens zur EU-Kommissionspräsidentin ist in deutschen Leitmedien kaum noch die Rede von Unwägbarkeiten in ihrer Amtszeit als Bundesministerin. Umso höher ist die Erwartungshaltung, dass von der Leyen „mehr Europa“ verwirklichen werde – und den „Rechtspopulisten“ die Stirn bieten.
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Ist die frisch gebackene EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (l.) die neue Angela Merkel (r.)? Wenn es um ihre mediale Rolle geht, durchaus, ist Polit-Analyst Reinhard Werner überzeugt.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 17. Juli 2019

Deutschlands Leitmedien haben eine neue Heldin. Mag Ursula von der Leyen, die der Europäische Rat angesichts der geringen Wahlchancen ursprünglicher Spitzenkandidaten im EU-Parlament als Kompromisskandidat präsentiert hatte, mit lediglich neun Stimmen mehr als erforderlich denkbar knapp zur neue EU-Kommissionspräsidentin gewählt worden sein – deutsche Journalisten haben an ihr bereits jetzt Gefallen gefunden und feiern sie als neue Hoffnungsträgerin.

Ungern erwähnen die meisten dabei, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie Gabor Steingart im „Focus“ schreibt, im Vorfeld noch einmal tief in den sauren Apfel beißen musste: Es bedurfte immerhin eines persönlichen Anrufs bei Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki, damit dieser die 25 Abgeordnetenstimmen der sonst gerne als „rechtspopulistisch“ geschmähten PiS organisierte. Dass von der Leyen stets als Befürworterin einer verstärkten Nato-Präsenz an den Außengrenzen galt, senkte für viele Parlamentarier aus Polen und den Baltenstaaten, die sich ebenfalls durch Russland bedroht wähnen, die Hemmschwelle, für die deutsche Kandidatin zu stimmen.

Nach der mühevollen Pflicht, die darin bestand, mit gerade einmal 383 Stimmen durch das EU-Parlament bestätigt zu werden, soll die Kür jedoch nun umso glanzvoller werden. Als eine „gute Nachricht für Europa“ sieht Silke Mülherr von der „Welt“ die Bestätigung von der Leyens.

Schließlich übernehme „in stürmischen Zeiten eine polyglotte Kapitänin das Steuer, die mitbringt, worauf es nun ankommt: Begeisterungsfähigkeit, Pragmatismus, ein Talent für Außendarstellung und die Fähigkeit, zusammenzuführen“. In der „wohl wichtigsten Rede ihres Lebens“ habe sie „die entscheidenden Argumente selbst geliefert“.

Von der Leyen wird „ihr Deutschsein schnell hinter sich lassen“

In einer Zeit, in der die Europäische Union unter verschärftem Druck stehe, das eigene Dasein zu rechtfertigen, biete ein „Zusammenschluss souveräner Nationalstaaten“ nur dann einen Mehrwert, wenn dieser auf die Herausforderungen der Zeit reagiere:

„Kein Nationalstaat allein kann die Folgen des Klimawandels bekämpfen, die Migrationskrise bewältigen oder die Digitalisierung beherrschbar machen. Das ist altbekannt, und trotzdem ist die EU bisher nachhaltige Ansätze schuldig geblieben.“

Mülherrs Kollege Thomas Vitzthum bestätigt unfreiwillig EU-skeptische Kräfte, die hinter deutschen Bestrebungen nach „mehr Europa“ einen Ausdruck des Willens zur Flucht aus der eigenen Identität sehen – im schlimmsten Fall mit dem Risiko, problematische Elemente des deutschen Nationalcharakters unter diesem Banner umso stärker wieder zur Geltung zu bringen.

„Die Grundzüge ihrer Europapolitik offenbaren, dass sie ihr Deutschsein schnell hinter sich lassen wird“, schreibt der Analyst – und meint dies durchaus als Kompliment. Darauf deute bereits ihr Eintreten für eine europäische Arbeitslosenrückversicherung, die vor allem für deutsche Sozialversicherte bedeuten werde, dass sie bald auch die Arbeitslosen in anderen EU-Mitgliedstaaten mitfinanzieren müssten. Auch die Forderung nach einem Mindestlohn in jedem EU-Land sei nicht unbedingt eine, die im eigenen Land auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde.

Greta Thunbergs Festlandsdegen in Brüssel?

Umso deutscher dürfte hingegen ihre Klimapolitik werden, was in dem Fall bedeuten würde, dass sie nun die gesamte EU unter Druck setzen würde, aus der Kohleverstromung auszusteigen – und die deutsche Bundesregierung, ihre ohnehin nicht flächendeckend beliebten Pläne zum Kohleausstieg noch weiter zu beschleunigen.

Dass von der Leyen zu Greta Thunbergs Festlandsdegen in Brüssel werden könnte, darauf hofft auch die linksradikale „taz“. „Zensursula wird EUrsula“, titelt das Blatt und illustriert damit, dass man aufgehört hat, von der Leyen deren Einsatz für das spätere Zugangserschwerungsgesetz in ihrer Zeit als Bundesfamilienministerin nachzutragen – und in ihr nun ebenfalls die Hoffnungsträgerin sieht für ein Europa, das „sozialer, grüner und weiblicher“ werden soll.

Bekenntnisse wie „Ich bin Europäerin gewesen, bevor ich gelernt habe, dass ich Deutsche und Niedersächsin bin“ stoßen beim linken Oberschichtpublikum ebenso auf positive Resonanz wie ihre Bekenntnisse zu einer „flexiblen Auslegung“ des Euro-Stabilitätspakts, zum Aufbau einer „europäischen Klimabank“ oder zur „Parität zwischen Frauen und Männern“ in der Kommission.

Bereits 2011 als Bundesarbeitsministerin habe sie erklärt: „Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa – nach dem Muster der föderalen Staaten Schweiz, Deutschland oder den USA.“ Bei der taz nimmt man sie dafür beim Wort und erhofft sich einen weiteren und noch stärkeren Konfrontationskurs gegenüber Fidesz, PiS oder Lega. Unabhängig davon, dass sie ihre Mehrheit Stimmen aus deren Reihen verdankt.

Impulse im „Kampf gegen rechts“ gefordert

Diese Erwartungshaltung artikuliert auch Markus Becker vom „Spiegel“, der sich eine „Demokratisierung der EU“ durch von der Leyens Ankündigung erhofft, dem EU-Parlament ein Initiativrecht für Gesetzesvorhaben einzuräumen.

Vor allem aber erhofft er sich von der „leidenschaftlichen Europäerin“ gesamteuropäische Impulse im „Kampf gegen rechts“ – wobei er sich jedoch die Option einer Drohung mit Liebesentzug noch vorsichtshalber in der Hinterhand behält:

„Die osteuropäischen Möchtegern-Autokraten vom Schlage eines Viktor Orbán, die nun damit prahlen, Weber und Timmermans verhindert zu haben, werden ihr Verhalten womöglich noch bereuen.

Denn von der Leyen wird es sich politisch kaum leisten können, Rechtsstaatsverstöße in Ungarn oder Polen weniger hart zu ahnden als die aktuelle Kommission. Alles andere würde ihr sofort den Verdacht einbringen, Europas Demokratie ihren Karriere-Ambitionen geopfert zu haben.“

In Hurra-Patriotismus ergeht sich wiederum die WAZ, in der Christian Kerl schreibt:

„So etwas schaffen auch nur die Deutschen: In Straßburg wird eine erfahrene deutsche Ministerin zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt – als erste Frau in der Geschichte der Union und als erste Deutsche seit über 50 Jahren. Ein Tag für die Geschichtsbücher.“

Dass in den kommenden fünf Jahren am deutschen Wesen zumindest Europa genesen kann, ist für Deutschlands Qualitätsmedien – wie es aussieht – jetzt schon beschlossene Sache.

 

 



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