„Wanderzirkus“ EU-Parlament: Streit um Brüssel oder Straßburg wird durch Manfred Weber neu angefacht

In Brüssel erfolgt ein Großteil der Arbeit des EU-Parlaments. Allerdings ist im EU-Vertrag Straßburg als amtlicher Sitz des Parlaments verankert, mindestens zwölf Plenartagungen pro Jahr sind vorgeschrieben. Das monatliche Kofferpacken führt zum "Wanderzirkus".
Titelbild
Die Südfassade des EU-Parlaments in Straßburg, Frankreich. Foo: iStock
Epoch Times12. Mai 2019

Das Dauerpendeln des Europaparlaments zwischen Brüssel und Straßburg kostet den europäischen Steuerzahler Schätzungen zufolge mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr. Denn ein Mal im Monat setzt sich von Brüssel aus ein Tross in Bewegung: Durchschnittlich 2500 Europaabgeordnete, Assistenten, Dolmetscher, Bedienstete und Lobby-Vertreter machen sich per Auto, Zug oder Flugzeug auf den Weg in das 430 Kilometer entfernte Straßburg.

Fünf Lastwagen und 30 Kleintransporter bringen rund 1500 Metallcontainer mit Unterlagen sowie Geräte der audiovisuellen Dienste in die Elsass-Metropole. Dort ist der offizielle Sitz des Europaparlaments und dort finden zwölf Mal im Jahr Plenartagungen statt – von Montagnachmittag bis Donnerstag. Anschließend macht sich der Tross auf den Rückweg nach Brüssel.

In Brüssel erfolgt ein Großteil der Arbeit

Das Parlament solle das Recht bekommen, selbst über seinen Standort zu entscheiden, sagte Manfred Weber kürzlich der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“. Der Bayer, der als Spitzenkandidat für die konservative Europäische Volkspartei bei der Europawahl antritt, unterstützt damit eine deutliche Mehrheit der 751 Europaabgeordneten, die sich schon seit Jahren dafür aussprechen, den Sitz des Parlaments nach Brüssel zu verlegen.

Dort wird ohnehin der Großteil der parlamentarischen Arbeit erledigt – in Sitzungen von Ausschüssen und Fraktionen, aber auch bei Verhandlungen über EU-Gesetze mit Vertretern der Kommission und des Rates der Mitgliedstaaten. Der Straßburger Glaspalast des Parlaments steht hingegen die meiste Zeit leer.

Die Brüssel-Befürworter haben sich in der Initiative „single seat“ (deutsch: ein Sitz) zusammengeschlossen und eine Petition gestartet, die nach ihren Angaben von fast 1,3 Millionen Bürgern unterzeichnet wurde. Rückendeckung erhielten sie im vergangenen Juni von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie forderte auf einer Klausurtagung der EVP in München, die Parlamentsarbeit auf den Standort Brüssel zu konzentrieren.

Bislang unterstützte Deutschland Straßburg – Frankreich reagiert ungnädig

Der Vorstoß stellte eine Kehrtwendung dar – denn bisher hatten alle deutschen Regierungschefs den Standort Straßburg, das Symbol der deutsch-französischen Aussöhnung, unterstützt. Auf die Seite der Brüssel-Befürworter stellte sich kürzlich auch die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Doch bisher scheiterte jeder Versuch, den „Wanderzirkus“ zu beenden, am energischen Widerstands Frankreichs. Paris kann sich dabei auf den EU-Vertrag berufen, der Straßburg als amtlichen Sitz des Parlaments verankert und mindestens zwölf Plenartagungen pro Jahr vorschreibt. Und dieser Vertrag kann nur einstimmig geändert werden.

Entsprechend harsch war die Reaktion aus Paris auf die Vorstöße aus Deutschland. Der Status Straßburgs als Sitz des EU-Parlaments sei „unantastbar und nicht verhandelbar“, stellte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Mitte April klar. Ähnlich hatte sich zuvor die ehemalige französische Europaministerin Nathalie Loiseau geäußert, die für Macrons Partei La République en Marche (LREM, Die Republik in Bewegung) den Europawahlkampf anführt.

Gibt es einen „prestigeträchtigen“ Ausgleich?

An guten Gründen, die Parlamentsarbeit auf Brüssel zu konzentrieren, fehlt es nicht. Der „Wanderzirkus“ kostet nämlich nicht nur viel Geld, sondern belastet auch die Umwelt. Durch das Dauerpendeln würden pro Jahr zwischen 11.000 und 19.000 Tonnen CO2 ausgestoßen, hat der CDU-Abgeordnete und Umweltexperte Peter Liese ausgerechnet.

Er gibt die Hoffnung nicht auf, dass dank der deutschen Vorstöße wieder „Dynamik“ in die Debatte kommt. Allerdings müsse Frankreich ein „prestigeträchtiger“ Ausgleich für Straßburg angeboten werden – etwa eine europäische Eliteuniversität, ein Forschungsinstitut oder das Hauptquartier der angestrebten europäischen Armee.

Andere Abgeordnete sind weniger optimistisch. Schließlich hatte Frankreich vor zwei Jahren die Möglichkeit, Straßburg als Sitz für die Europäische Arzneimittelagentur mit über 800 festen Mitarbeitern vorzuschlagen, die im Zuge des Brexit London verlassen musste. Diese Chance hatte Macron aber nicht wahrgenommen. Und so werden sich auch die Abgeordneten des neuen Europaparlaments an das monatliche Kofferpacken gewöhnen müssen. (afp)



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