Ärztestreik am 4. Februar in Hannover – Marburger Bund ruft zur Weißkittel-Demo auf

Ungeregelte Arbeitszeiten, fehlende Arbeitszeiterfassungen und pauschale Kappungen der geleisteten Arbeitszeit stehen auf dem täglichen Programm darüber hinaus ständige Wochenend- und Bereitschaftsdienste. Die Ärzte haben die Nase voll.
Titelbild
Protestierende Krankenhausmitarbeiter demonstrieren am 25. September 2008 in Berlin gegen Budgetkürzungen im Gesundheitswesen.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times3. Februar 2020

Was machen Ärzte auf der  Straße? Für ein ungewohntes Bild dürften die Weißkittel am morgigen Dienstag in Hannover sorgen. Dort findet  ab 12 Uhr eine Zentrale Demonstration von Klinikärzten  statt. Zum Streik aufgerufen hat der Marburger Bund, der sich für angestellte und beamtete Ärzte in Deutschland einsetzt und rund 20.000 Ärzte aus bundesweit 23 Universitätskliniken umfasst.

Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) habe in den bisherigen Verhandlungen den Eindruck vermittelt, als seien ungeregelte Arbeitszeiten, fehlende Arbeitszeiterfassungen, pauschale Kappungen der geleisteten Arbeitszeit, ungeplante Inanspruchnahme und regelmäßige Wochenenddienste bei einer Anstellung in einem Universitätsklinikum billigend in Kauf zu nehmen. Diese Anmaßungen wollen die Ärztinnen und Ärzte in den Unikliniken nicht länger hinnehmen.

„Ohne eine wirksame Entlastung wird die ärztliche Tätigkeit in der Universitätsmedizin unattraktiv. Spitzenmedizin braucht gute Arbeitsbedingungen und eine faire Vergütung. Das muss endlich auch in die Köpfe der TdL-Vertreter“, sagte Dr. Andreas Botzlar, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes.

Eine Notfallversorgung an den betroffenen Kliniken ist trotz des Streiks sichergestellt. Einzelne Terminausfälle und Behandlungsverzögerungen können auftreten.

„Die Versorgung unserer Patienten während des Warnstreikes an der UMG bleibt gesichert, sie hat höchste Priorität. Dafür sind alle notwendigen Vorkehrungen getroffen“, sagt Prof. Dr. Michael Quintel, stellvertretender Vorstand Krankenversorgung an der Universitätsklinik Göttingen laut „HNA“. Er betonte: „Darüber hinaus ist die Notfallversorgung am Streiktag uneingeschränkt sichergestellt.“

Die Ärzte fordern unter anderem eine „manipulationsfreie Arbeitszeiterfassung ohne pauschale und nachträgliche Kappung der geleisteten Arbeitszeit“, verlässliche Dienstpläne, begrenzte Wochenend- und Bereitschaftsdienste sowie sechs Prozent mehr Gehalt.

Personalmangel, Überstunden und wachsender Zeitdruck zehren an der Gesundheit von Klinikärzten. Das geht aus einer Mitgliederbefragung des Marburger Bundes im September/Oktober 2019 hervor, an der rund 6.500 angestellte Ärzte teilgenommen haben. 49 Prozent der befragten Klinikärzte gaben an, häufig überlastet zu sein.

Viel Zeit für die Patientenversorgung gehe durch administrative Aufgaben verloren, die über die ärztlichen Tätigkeiten hinausgehen, sagte Dr. Susanne Johna, 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, der sich für angestellte und beamtete Ärzte in Deutschlands einsetzt.

Ärzteverband spricht von „Skandal“: Täglich vier Stunden Verwaltungsarbeit für viele Ärzte

Der tägliche Zeitaufwand für Datenerfassung, Dokumentation und organisatorische Tätigkeiten sei im Vergleich zu früheren Befragungen des Marburger Bundes stark angestiegen. Mehr als ein Drittel der Klinikärzte verrichtet täglich vier Stunden Verwaltungsarbeit. 77 Prozent der Ärzte wünschten sich die Unterstützung durch Verwaltung und Sekretariat.

Es ist schlichtweg ein Skandal, wie viel Arbeitskraft und Arbeitszeit mit Datenerfassung und Dokumentation vergeudet wird“, sagte Johna.

Wenn nur die Hälfte an Zeit für „unsinnige und überflüssige Schreibarbeit“ eingespart werden könnte, hätte man schon viel für die Patientenversorgung gewonnen. Entlastung könnten gut geschulte Verwaltungskräfte auf den Stationen schaffen und eine bessere, anwenderfreundliche IT-Ausstattung, sagte Johna.

Am Ende käme es aber vor allem darauf an, der Überbürokratisierung der Krankenhäuser endlich Einhalt zu gebieten, sagte Johna und forderte: „Wir brauchen eine Generalinventur, bei der unnötige Vorgaben identifiziert und danach ersatzlos gestrichen werden. Hier ist die Politik gefordert, der Regulierungswut der Krankenkassen nicht mehr länger nachzugeben.“

Durchschnittlich 56,6 Stunden Arbeitszeit für Ärzte

Ein Viertel der Ärzte gab in der Umfrage an, dass sämtliche Arbeitszeiten vom Arbeitgeber handschriftlich erfasst würden. Bei 30 Prozent erfolgt keine systematische Arbeitszeiterfassung.

Vollzeittätige Ärztinnen und Ärzte arbeiten im Durchschnitt 56,5 Stunden pro Woche, inklusive aller Dienste und Überstunden. Laut Befragen beträgt die gewünschte durchschnittliche Arbeitszeit im Vollzeitbereich 42,3 Stunden, also durchschnittlich rund 14 Wochenstunden weniger. Ein Fünftel der Ärzte arbeitet wöchentlich 60 bis 79 Stunden wöchentlich, zwei Prozent über 80 Wochenstunden.

Ein Viertel der Ärzte bekommt die Überstunden weder vergütet noch im Rahmen eines Freizeitausgleichs.

„Die Verringerung der tariflichen Wochenarbeitszeit um etwa 8 bis 10 Stunden scheint oft für viele Ärztinnen und Ärzte die einzige Möglichkeit zu sein, regelmäßig mindestens einen freien Tag in der Woche zu haben“, sagte Johna.

Diese private „Arbeitszeitreform“ sei ein klares Indiz dafür, dass die Krankenhäuser zu wenig in eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben investieren. Mehr Planbarkeit und Verlässlichkeit bei der Arbeitszeitgestaltung, wie sie der Marburger Bund in der aktuellen Tarifrunde mit den Ländern für die Ärzte in Unikliniken fordert, würde die Arbeitszufriedenheit deutlich erhöhen.

Überlastung und Nachdenken über einen Berufswechsel

Ein Fünftel der befragten Klinikärzte hat schon einmal eine Überlastungsanzeige gestellt. In 78 Prozent der Fälle hat sich durch die Überlastungsanzeige nichts verändert, bei 11 Prozent wurde es schlimmer.

Laut Umfrage haben sich 15 Prozent der Ärzte aufgrund von Überlastungen selbst in ärztliche Behandlung begeben. Aktuell denke jeder fünfte Klinikarzt (21 Prozent) über einen Berufswechsel nach.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sieht angesichts der von Klinikärzten beklagten Überlastung auch deren Arbeitgeber am Zug. „Ich habe manchmal den Eindruck, Arbeitgeber im Gesundheitswesen planen noch so wie in den 90er Jahren – und das geht halt im Jahr 2020 nicht mehr“, sagte der CDU-Politiker in den ARD-„Tagesthemen“.

Sie sollten Dienst- und Schichtpläne so organisieren, dass in einem 365-Tage-Betrieb die unterschiedlichen Interessen getroffen würden.

Auch die Bundesregierung wolle Strukturen schaffen, damit für Ärzte und Pflegekräfte genügend Zeit wäre. (dpa/sua)

 

 

 



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