Analyse: CO2-Geständnis bremst Öko-Ziele bei VW

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Ein KFZ-Servicetechniker steht mit einem Auslesegerät vor einem vom Abgas-Skandal betroffenen 2.0l TDI Dieselmotor vom Typ EA189.Foto: Julian Stratenschulte/Archiv/dpa
Epoch Times4. November 2015
Der Abgas-Skandal bei Volkswagen droht zum Flächenbrand zu werden. Nach Manipulationen bei gesundheitsschädlichen Stickoxiden hat VW nun auch beim Klimakiller CO2 falsche Angaben gemacht.

Mit der selbst ernannten Rolle als „Öko-Vorreiter“ scheint es vorbei zu sein. Was kommt noch alles heraus?

Rückblick: Vor zwei Jahren versuchte sich Volkswagen auf großer Bühne zum Vorreiter beim „grünen“ Autofahren zu inszenieren. Zur Genfer Auto-Messe 2013 verpflichtete sich der Konzern als weltweit erster Autobauer, den Kohlendioxid-Ausstoß (CO2) seiner Neuwagen in Europa bis Anfang des nächsten Jahrzehnts auf 95 Gramm pro Kilometer zu drücken. „Eine Herkulesaufgabe“, nannte das der damalige Konzernboss Martin Winterkorn.

Inzwischen ist Winterkorn infolge des Abgas-Skandals seinen Job los. Und klar ist: VW trieb dieses hohe CO2-Ziel auch mit Falschangaben voran. Der Konzern frisierte Werte zum CO2-Ausstoß bei Hunderttausenden seiner Wagen. In dem seit Wochen schwelenden Abgas-Skandal ist das ein neuer, ungeahnter Tiefpunkt.

Bei VW brennt die Hütte nun lichterloh. Aber – und das ist anders als bisher bei den Software-Manipulationen in VW-Dieselfahrzeugen – die CO2-Dimension könnte auch Auswirkungen auf die gesamte Branche haben. Denn das angebliche Mogeln bei Verbrauch und CO2-Werten war immer schon eine Kritik von Umweltverbänden an allen Autobauern. Die VW-Wettbewerber BMW und Daimler allerdings versicherten am Mittwoch: Bei ihnen sei alles sauber.

Drohen dennoch schlimme Folgen für die Branche? „Ich hoffe nicht. Aber das ist natürlich ein Bärendienst für die gesamte Autoindustrie“, sagt Branchenkenner Stefan Bratzel von der Hochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach. Die Vorgänge seien „erschütternd“. „Dabei hätte Volkswagen das gar nicht nötig gehabt“, sagt Bratzel. Der Konzern hätte lediglich etwas mehr Zeit für die grüne Entwicklung gebraucht.

Jetzt aber kommt die Quittung: Rund zwei Milliarden Euro hat der Konzern „in einer ersten Schätzung“ für das neue Problem zurückgestellt. Damit wächst der Puffer für die Folgen der Abgas-Affäre auf fast neun Milliarden Euro. Der wohl größte Teil ist aber noch nicht erfasst: Prozesse, möglicher Schadenersatz, Strafen, zurückverlangte Subventionen. Frank Schwope von der NordLB rechnete schon mit „mindestens 30 Milliarden Euro“ – vor der neuen CO2-Baustelle.

Und der Branchenfinanzexperte warnt: „Hinzu kommt ein immenser Reputationsschaden, der sich letztlich in zukünftig nicht verkauften Fahrzeugen beziehungsweise nicht erzielten Gewinnen ausdrückt, sich allerdings nur schwer bemessen lässt.“ Klar ist aber wohl, dass das Image des traditionsreichen VW-Käfer-Konzerns („Er läuft und läuft und läuft …“) auf Jahre auch international leiden dürfte.

Ungewiss sind auch die Auswirkungen auf die europäischen CO2-Grenzwerte. Pkw und Vans sind laut EU-Kommission für 15 Prozent der gesamten klimaschädlichen CO2-Emissionen in Europa verantwortlich. Entsprechend strikt sind die aus Brüssel getriebenen Senkungsziele für die Autobranche – wobei Umweltverbände bereits noch schärfere Grenzwerte gefordert hatten.

Die Organisation ICCT, die den Skandal bei VW mit lostrat, rechnet vor, dass ein gesenkter Spritverbrauch bei den EU-Neuzulassungen seit 2009 quasi nur noch auf dem Papier stehe. Laut der Studie, deren Trend andere Analysen stützen, liegen die realen CO2-Emissionen bei Volkswagen inklusive der Tochter Audi mit 38 Prozent Überschreitung der angegebenen Werte unter dem Branchenschnitt. Die großen internationalen VW-Wettbewerber Toyota und General Motors lägen bei weit über 40 Prozent.

Das ruft schon länger Kritiker auf den Plan. Und das VW-Eingeständnis ist Wasser auf deren Mühlen. „Die Frage ist, ob auch andere Hersteller illegale Praktiken anwenden. Es würde mich nicht überraschen“, sagt die Grünen-Politikerin Bärbel Höhn, Vorsitzende im Umweltausschuss des Bundestags. „Auf jeden Fall schummeln andere Hersteller wie Mercedes oder Toyota laut diversen Studien deutlich stärker.“ Ein Daimler-Sprecher aber sagte: „Wir können Unregelmäßigkeiten bei den CO2-Werten unserer Fahrzeuge ausschließen.“

„Fakt ist, dass die Hersteller seit Jahren angelehnt an die Prüfverfahren optimiert haben“, sagt Autofachmann Bratzel. Es sei ein Treppenwitz, dass der VW-Abgas-Skandal rund um Stickoxide in den USA dazu führe, dass VW auch CO2-Tricks gestehe. „Das zeigt: Kontrolle muss scharf und hart sein“, sagt Bratzel. Wenn die Behörden in Deutschland und Europa künftig nicht besser Bescheid wüssten, „dann können sie ihren Job auch gleich an den Nagel hängen“.

Die Chefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, forderte eine unabhängige Kontrollbehörde auf EU-Ebene. Die Kernfrage aber dürfte sein, welche Freiheiten und Spielräume Hersteller künftig haben. Denn VW hat den CO2-Betrug in Eigenanzeige aufgedeckt, es war keine Behörde.

Wieder im Fokus steht nun auch das sogenannte RDE-Verfahren („Real Driving Emissions“ – Abgasausstoß auf der Straße) für neue EU-weite Tests. Hierbei fiel erst Ende Oktober die Entscheidung, wonach RDE zwar schon ab Januar kommt – aber vorerst nur zu Informationszwecken. Aus der Branche heißt es, kein einziger Standardtest könne für den einen realistischen Wert sorgen. Klimazonen, Fahrverhalten, Beladung, Streckenprofil, Straßenbeschaffenheit, Reifendruck – zu viel sei maßgeblich.

Die Ausweitung des Abgas-Skandals passiert ausgerechnet einen knappen Monat vor Beginn des Weltklimagipfels in Paris – dort wollen die UN-Staaten um neue, verbindliche Vorgaben zum Kampf gegen die Erderwärmung ringen.

(dpa)

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