Angstforscher Borwin Bandelow: „Wir werden keine Gesellschaft der Angst“

Auch wenn Anschläge und andere Gewalttaten sich häufen: Der Angstforscher Borwin Bandelow erwartet, dass die meisten Menschen langfristig Ruhe bewahren.
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Blumenmeer: Vor dem Haupteingang des Olympia-Einkaufszentrums in München, liegen drei Tage nach einer Schießerei mit Toten und Verletzten Blumen und Kerzen.Foto: Peter Kneffel/dpa
Epoch Times27. Juli 2016
Auch wenn Anschläge und andere Gewalttaten sich häufen: Der Angstforscher Borwin Bandelow erwartet, dass die meisten Menschen langfristig Ruhe bewahren.

Die Attentate würden nicht zu einer „Gesellschaft der Angst“ führen, sagte der Göttinger Arzt, Psychiater und Psychotherapeut der Deutschen Presse-Agentur.

Frage: Verändert eine Folge von Gewalttaten die Ängste innerhalb einer Gesellschaft?

Antwort: Ich glaube nicht, dass es zu dauerhaften Veränderungen kommen wird. Auch nach früheren Attentaten, bei denen auch Deutsche ums Leben gekommen sind, etwa in der Türkei oder in Tunesien, hat es sich gezeigt, dass die Bevölkerung sich nach einer gewissen Frist wieder beruhigt.

Frage: Wie lange dauert das?

Antwort: In der Regel etwa vier Wochen. Im Moment haben die Menschen wegen der dicht aufeinander folgenden Ereignisse allerdings gar keine Gelegenheit, sich wieder zu beruhigen.

Frage: Gibt es Menschen, die besonders ängstlich auf Anschläge reagieren?

Antwort: Bei Menschen, die unter einer generellen Angststörung leiden, kann sich die Angst verstärken. Die meisten Patienten, die bei uns in der Klinik behandelt werden, zeigen allerdings keine verstärkten Ängste nach solchen Attentaten. Sie haben eher Angst davor, sich bei einer Prüfung zu blamieren, mit dem Fahrstuhl zu fahren oder auf Partys zu gehen. Diese Ängste werden nach terroristischen Akten nicht stärker. Und es kommen derzeit jedenfalls nicht mehr Menschen in unsere Angst-Ambulanz als sonst.

Frage: Es gibt also keine generelle Zunahme der Angst?

Antwort: Man muss unterscheiden: Nach Attentaten nehmen weniger die Ängste zu als die Sorgen, die die Menschen sich machen. Wenn jemand mit einem langen Messer vor mir steht und mich erstechen will, habe ich Herzrasen, Schwindel und Schweißausbrüche. Also tatsächlich Angst-Symptome. Die habe ich nicht, wenn ich aus den Medien erfahre, dass es irgendwo einen Anschlag mit Toten und Verletzten gegeben hat, auch wenn der Tatort in Deutschland liegt. Dann hat man vielleicht ein mulmiges Gefühl im Magen. Das ist aber nicht dasselbe wie Angst.

Frage: Führen diese Sorgen zu einem geänderten Verhalten?

Antwort: Vielerorts wird in diesen Tagen überlegt, ob größere Veranstaltungen abgesagt werden. Die Menschen reagieren aber sehr unterschiedlich. Die einen sagen, jetzt gehe ich erst recht hin, um zu zeigen, dass ich mich nicht einschüchtern lasse und keine Angst habe. Andere sagen sich, ich gehe für ein paar Wochen nicht raus, weil ich keinen Spaß an Festen und Feiern habe. Im Gehirn gibt es zwei Zentren. Das eine sagt: Die statistische Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Terroranschlags zu werden, ist verschwindend gering. Das andere sagt: Ich habe trotzdem Angst, wenn im Bus oder der Straßenbahn ein Mann mit dunklem Bart sitzt. Dieses Angstsystem lässt sich nicht durch statistische Wahrscheinlichkeiten beeinflussen. Deswegen gibt es Menschen, die sich völlig irrational aus dem öffentlichen Leben zurückziehen.

Frage: Anschlagserien führen also doch zu Veränderungen?

Antwort: Manche Menschen werden wohl vorsichtiger. Im Prinzip weiß man aber auch nach den Erfahrungen aus Ländern wie dem Irak, in denen es fast täglich Anschläge gibt, dass die Menschen weiterhin auf den Markt gehen und einkaufen. Selbst wenn die Zahl der Anschläge hierzulande weiter zunehmen sollte, wird sich unsere Gesellschaft nicht zu ihrem Nachteil verändern. Wir werden jedenfalls keine Gesellschaft der Angst.

ZUR PERSON: Professor Borwin Bandelow ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen (Niedersachsen). Wissenschaftlicher Schwerpunkt des 64-Jährigen ist die Angstforschung. Bandelow hat dazu Bücher und Aufsätze veröffentlicht. Einem breiteren Publikum wurde er bekannt durch „Das Angstbuch“.

(dpa)

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