Arbeitsmarktintegration von „Geflüchteten“: „Gesetzgeber verhält sich wie übervorsorgliche Mutter“

Das "Berlin-Institut" schlägt eine "Stichtagsregelung" vor: Alle Migranten und Flüchtlinge, die vor dem 31.12.2017 nach Deutschland gekommen sind, sollen eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten, deren Verlängerung an den Nachweis von Integrationsbemühungen gebunden ist.
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Am Dienstag stellte Reiner Klingholz (rechts), als Direktor des "Berlin-Institut" zusammen mit seinen Mitarbeiter (links) ein Diskussionspapier zur "Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten" vor. Als geladener Gast nahm Engelhard Mazanke, Leiter der Berliner Ausländerbehörde an der Pressekonferenz teil.Foto: Epoch Times
Epoch Times20. Juni 2019

Am Dienstag veröffentlichte das „Berlin-Institut“ ein Diskussionspapier zur „Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“. Dabei geht das Institut von dem Standpunkt aus, dass Deutschland ausländische Arbeitskräfte braucht und Migranten und Flüchtlingen der Lohnerwerb bei der Integration in der deutschen Gesellschaft hilft.

Im Diskussionspapier werden individuelle als auch institutionelle Hürden beleuchtet, die die Arbeitsmarktintegration erschweren. Gleichzeitig werden Lösungsvorschläge unterbreitet, um die Hürden abzubauen. Kulturell und religiös bedingte Schwierigkeiten bleiben in dem Papier unbetrachtet.

„Geflüchtete“ stehen vor großen Schwierigkeiten bei der Arbeitsmarktintegration

Rein statistisch hielten sich Ende 2018 – 1,7 Mio. „Geflüchtete“ in Deutschland auf. Der überwiegende Teil von ihnen bestand aus jungen Männern (18-29 Jahre) und vielen Kleinkindern (unter 4 Jahre) beider Geschlechter.

Für das „Berlin-Institut“ ist dieser Fakt an sich eine gute Ausgangssituation zur Arbeitsmarktintegration. Denn die kleinen Kinder hätten aufgrund ihres Alters die Möglichkeit, das gesamte deutsche Duale Bildungssystem aus Schulbildung mit anschließender Berufsbildung zu durchlaufen. Und die jungen Männer könnten den aktuell oft benannten „Arbeitskräftemangel“ ausgleichen – so zumindest die Theorie.

Die Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) verdeutlichen jedoch, dass es große Schwierigkeiten bei der Arbeitsmarktintegration von „Geflüchteten“ gibt.

Insgesamt waren im November 2018 4 Millionen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in den Jobcentern registriert. Bei fast 15 Prozent oder 594.000 handelte es sich dabei um „Geflüchtete“.

Beschäftigungsquote bei „Geflüchteten“ beträgt 32,4 Prozent

Laut BA liegt die Beschäftigungsquote bei diesen „Geflüchteten“ bei 32,4 Prozent. Für alle Ausländer lag die Beschäftigungsquote im Dezember 2018 (neuere Daten sind nicht verfügbar) hingegen bei 50,1 Prozent, für Deutsche sogar bei 69,2 Prozent. Zusätzlich zu den 300.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten „Geflüchteten“, gingen im Dezember 2018 rund 72.000 Personen „Geflüchtete“ einer ausschließlich geringfügigen Beschäftigung nach.

So sind etwas mehr als ein Viertel der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Ausländer im Oktober 2018 parallel erwerbstätig, während es bei leistungsberechtigten „Geflüchteten“ mit 19 Prozent deutlich seltener der Fall ist, heißt es in dem Bericht zur Fluchtmigration der BA.

Im Vergleich zu 2017 waren es 2018 fast 8.000 „Geflüchtete“ mehr. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den Hauptherkunftsländern der „Geflüchteten“ (Pakistan, Eritrea, Iran, Nigeria, Afghanistan, Somalis, Irak, Syrien) stieg im Vergleich zum Vorjahr um 91.000. Dazu muss erwähnt werden, dass es sich bei der Beschäftigung oftmals um Leiharbeit oder zeitlich befristete Arbeitsverhältnisse handelt.

In den 413.000 Bedarfsgemeinschaften mit „Geflüchteten“ lebten außerdem 389.000 nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte (z. B. Kinder), heißt es im Bericht zur Fluchtmigration weiter. Arbeitslos in der Grundsicherung für Arbeitsuchende waren im November 2018 160.000 „Geflüchtete“. Wobei 49 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten im Kontext von Flucht in einem bedürftigen Partner-Haushalt mit Kindern und 32 Prozent alleinstehend lebten.

76 Prozent der „Geflüchteten“ haben keine berufliche Ausbildung

Dabei bringen die „Geflüchteten“, die in den letzten Jahren nach Deutschland kamen ungünstige Ausgangsvoraussetzungen mit. Konkret bedeutet dies, dass 13 Prozent der volljährigen „Geflüchteten“, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland kamen, keine Schule besucht haben. 12 Prozent von ihnen waren nur auf einer Grundschule.

Bei der Berufsausbildung sieht es noch dramatischer aus. Hier haben bei den volljährigen „Geflüchteten“, die im selben Zeitraum nach Deutschland kamen, 76 Prozent keine berufliche Ausbildung in ihrem Heimatland absolviert.

Neben einer Auswertung der Zahlen des BAMF und der BA führte das „Berlin-Institut“ auch Gespräche mit Unternehmern und „Geflüchteten“. Auch diese Aussagen zeigen, dass es enorme Schwierigkeiten zu meistern gilt, damit „geflüchtete“ Menschen in die „sozialversicherungspflichtige Beschäftigung“ kommen.

Am Dienstag stellte Reiner Klingholz, als Direktor des „Berlin-Institut“ zusammen mit seinen Mitarbeitern ein Diskussionspapier zur „Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten“ vor. Foto: Epoch Times

Neben den individuellen Hürden, wie mangelnde Deutschkenntnisse, mangelnde Schul- und Fachkenntnisse und fehlende Kenntnisse zum deutschen Arbeitsmarkt, fehlt ihnen auch oftmals ein enger Kontakt zu der deutschen Bevölkerung, also eine soziale Integration. Dazu kommen psychische Probleme, unter denen ein Teil der „Geflüchteten“ leidet.

Zu- oder Aberkennung einer Schutzberechtigung dauert im Schnitt acht Monate

Als zweite große Herausforderung kommen dann die institutionellen, sprich bürokratischen Hürden hinzu, wie eine sehr komplexe Gesetzeslage und viele behördliche Anlaufstellen, die die Flüchtlinge und Migranten kontaktieren müssen. Das Ausländerrecht gehöre, so das „Berlin-Institut“, zu den umfangreichsten Bereichen des deutschen Rechts, das noch dazu ständig erweitert wird. Beispielhaft wird hier die regionale Auslegung des Ausländerrechts in Berlin aufgeführt, wo die Verfahrenshinweise für die Mitarbeiter der Ausländerbehörde mittlerweile 800 Seiten umfassen.

Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber in Berlin versucht, mit neugeschaffenen Verordnungen und Regelungen allen möglichen Fällen gerecht zu werden. Gleichzeitig versucht er, seine Gesetze „abweichungsfest“ zu formulieren, um Unterschiede in der Auslegung des Ausländerrechts in den einzelnen Bundesländern auszuschließen, so die Erklärung des „Berlin-Institut“.

Das belastet die Mitarbeiter in den Behörden, führt zu Fehlentscheidungen und zieht Verfahren in die Länge. Daher dauerte ein Asylverfahren 2018 beim BAMF im Schnitt acht Monate – statt den von der Bundesregierung angestrebten drei Monaten.

Dies hängt allerdings auch zusammen mit der oftmals ungeklärten Identität des Asyl-Antragstellers und einer oft angegebenen Passlosigkeit. Neben der komplexen Gesetzeslage ist die ungeklärte Identität die verwaltungstechnisch größte Hürde, wie aus der Berliner Ausländerbehörde zu erfahren ist.

Asylverfahren mit Klage dauert im Schnitt 1,5 Jahre

Dem Prozess der Zu- oder Aberkennung einer Schutzberechtigung schließt sich bei der Hälfte der Asylantragsteller dann noch eine Klage vor dem Verwaltungsgericht an. 31 Prozent der Kläger haben 2018 nach diesem Schritt Recht bekommen und einen Schutzstatus erhalten. Für sie hat das Asylverfahren somit im Schnitt 1,5 Jahre gedauert. In dieser Zeit waren die „Geflüchteten“ mit unterschiedlichen Einschränkungen konfrontiert, was den Zugang zu betrieblichen Ausbildungsstätten und Deutsch- oder Integrationskursen beispielsweise betraf.

Eine Vereinfachung der Gesetzeslage könnte hier zu einer Verschlankung des Bürokratieapparates führen und die Verfahren beschleunigen. Ein weitere behördliche Hürde sind die hohen Auflagen und Anforderungen, die unabhängig vom Aufenthaltsstatus erbracht werden müssen, um arbeiten gehen zu können, ist dem Diskussionspapier zu entnehmen. Dazu gehört eine unflexible Anerkennung der Berufserfahrung und Berufsabschlüsse der Flüchtlinge und Migranten.

Hier könnten Externenprüfungen, die informelle Qualifikationen zertifizieren, Abhilfe schaffen, schlägt das „Berlin-Institut“ vor. Durch sie könnten fehlende Teilqualifikationen transparent werden, die sich durch passende Nachqualifizierungen ergänzen ließen, rät des „Berlin Institut“ in seinem Diskussionspapier.

Bislang müsse man, um an Externenprüfungen teilnehmen zu können, Arbeitszeugnisse vorweisen, die allerdings viele Migranten und Flüchtlinge nicht vorweisen können.

„Stichtagsregelung“ für „Geflüchtete“ macht aus illegaler Migration eine legale Migration

Um die aktuelle Situation zu verbessern, schlägt das „Berlin-Institut“, ausgehend von der Idee des „Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung“, eine „Stichtagsregelung“ vor.

Alle Migranten und Flüchtlinge, die vor dem 31.12.2017 nach Deutschland gekommen sind, sollen demnach eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten, deren Verlängerung an den Nachweis von Integrationsbemühungen gebunden ist.

Damit würde ein Übergang ins reguläre Aufenthaltsrecht vollzogen, der den „Geflüchteten“ Rechtssicherheit geben würde und damit die Arbeitsmarktintegration vereinfache, erklärt des „Berlin-Institut“. Das bedeutet aber auch, dass alle Fälle illegaler Einwanderung in dem betreffenden Zeitraum legalisiert würden.

Ein Sogeffekt könne diese Regelung nicht auslösen, da der Stichtag in der Vergangenheit liegt, wird argumentiert. Was zukünftige Gesetze angeht, empfiehlt das „Berlin Institut“ neue Gesetze zunächst nur befristet zu beschließen, und nach einer Zeit die Wirkung des Gesetzes zu evaluieren und eventuell das Gesetzt „nachzujustieren“.

Sachbearbeiter müssen 1.000 Seiten an Verwaltungsvorschriften und Verfahrenshinweisen beachten

Als geladener Gast nahm Engelhard Mazanke, Leiter der Berliner Ausländerbehörde an der Veranstaltung zur Veröffentlichung des Diskussionspapiers teil.

Dieser machte deutlich, dass die größte Schwierigkeit für seine Behörde, mit 430 Mitarbeitern die größte in Deutschland, immer noch die ungeklärte Identität und das Fehlen von Pässen wäre.

Gleichzeitig stimmt er dem Diskussionspapier in dem Punkt zu, dass das Ausländerrecht viel zu komplex sei, was die Arbeit der Behörde erschwere. So sind für ihn Gesetze fragwürdig, bei denen ein Volljurist zwei Wochen benötigte, um es vollends zu durchdringen und dann erst in der Lage sei, es seinen Mitarbeitern vermitteln zu können.

Für Engelhard Mazanke, Leiter der Berliner Ausländerbehörde, ist Deutschland eindeutig eine Einwanderungsgesellschaft geworden, was man so auch offen im gesellschaftlichen und politischen Diskurs so benennen sollte. Foto: Epoch Times

Für ihn ist Deutschland eindeutig eine Einwanderungsgesellschaft geworden, was man so auch offen im gesellschaftlichen und politischen Diskurs so benennen sollte.

Neben dem Aufenthaltsgesetz, den 400 Seiten an Verwaltungsvorschriften des Bundes, kommen nochmals 600 Seiten an Berliner Verwaltungsvorschriften zum Ausländerrecht hinzu. Daraus ergeben sich für Ausländer mittlerweile 145 verschiedene Aufenthaltstitel.

30 Minuten hätten die Sachbearbeiter für ihre Kunden Zeit. An sich wäre die Stimmung in der Berliner Ausländerbehörde gut, so Mazanke zu „Epoch Times“. Allerdings sei die personelle Situation in der Behörde angespannt.

„Gesetzgeber verhält sich, wie eine übervorsorgliche Mutter“

Für ihn verhält sich der Gesetzgeber wie eine übervorsorgliche Mutter, der dem Gedanken folgt, dass jedes Problem mit einem Gesetz zu lösen sei. Dadurch neige Deutschland zur Überregulierung. Statt dieser Überregulierung wünscht sich Mazanke vom Gesetzgeber mehr „Luft“ und keine extrem komplexen Gesetze, sagte er „Epoch Times“.

Mit der Statusüberprüfung der Aufenthaltsberechtigung, die nach drei Jahren bei den vielen „Geflüchteten“stattfinden muss, steht für seine Behörde nun ein enormer Verwaltungsaufwand an.

Mit ca. 400.000 vorsprechenden Kunden pro Jahr ist die Berliner Ausländerbehörde die mit Abstand größte Ausländerbehörde Deutschlands. Rund 12 Prozent aller bundesweit erteilten Aufenthaltstitel werden hier verantwortet. (er)



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