Autoren auf der Frankfurter Buchmesse als „Brückenbauer “

Die Zeichen standen auf Verständigung, auf Verstehen wollen, auf Brücken bauen
Titelbild
(Foto: Herbig Verlag)
Von 16. Oktober 2007

„Sprache überwindet den Abstand zwischen mir und anderen“, so Gottfried Honnefelder, Vorsitzender des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Historiker Saul Friedländer am vergangenen Sonntag in der Paulskirche.

Die Zeichen standen auf Verständigung, auf Verstehen wollen, eben auf Brücken bauen. Das wurde auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse spürbar, bei vielen persönlichen und vielen im öffentlichen Raum geführten Gesprächen.

Ganz aktuell und politisch brisant dazu Gabriele Krone-Schmalz bei der Vorstellung ihres neuen Buches „Was passiert in Russland?“. Die langjährige Korrespondentin der ARD in Moskau forderte bei einem Interview an einem der öffentlichen Veranstaltungsorte auf der Buchmesse unbeirrt, Putin nicht zu „dämonisieren“, nannte ihn deutlich „einen Glücksfall für dieses Land“ und wünscht sich bei uns „mehr Gelassenheit und eine breitere Wahrnehmung“ in Bezug auf die Vorgänge in Russland. Ohne negative Fakten wegwischen zu wollen, wies Krone-Schmalz als Beispiel darauf hin, dass es auch zur Zeit Jelzins ungeklärte Todesfälle von Journalisten gab, insgesamt 96, nur wurden die erst nach dessen Regierungszeit bekannt. Nicht nur die Grabesstille in der Berichterstattung ist inzwischen durchbrochen. Auch ein Mittelstand entwickle sich, Rentnern gehe es jetzt besser, auf der anderen Seite müsse das Steuerrecht vereinfacht werden, es sei eben nicht nur schwarz oder weiß.

Die gestandene Journalistin ruft dazu auf, sich vom „folgenschweren Gebrauch der Stereotypen“ zu trennen, stattdessen genauer hin zu schauen, was in Russland passiert. „Man landet schnell auf der Anklagebank, wenn man versucht, zu analysieren.“ sagt sie. Trotzdem hat sie sich für dieses Buch noch einmal den Mühen der Recherche unterworfen, wie sie es nennt. Im Vorwort die Begründung: „Ich fühle mich verpflichtet, mich zu Wort zu melden: als jemand, der die alles entscheidende Umbruchphase in der Sowjetunion hautnah an Ort und Stelle miterlebt hat, und zwar mit einzigem Wohnsitz in Moskau…. Und nicht zuletzt als jemand, der aufgrund seiner inneren und äußeren Freiheit keinerlei Rücksicht auf Trends nehmen muss.“ Die Leser werden von ihrem Wissen und ihrem Wunsch des Brückenbauens profitieren, vielleicht nicht nur die Leser?

Gabriele Krone-Schmalz; „Was passiert in Russland?“

Herbig Verlag; ISBN 978-3-7766-2525-7; 19,90 €

Von Essstäbchen und Dachbalken

Xinran Xue (Xinran Xue (Foto: Droemer Knaur)

Mitten in ein Land, dessen politisches und wirtschaftliches Geschehen derzeit im Fokus steht, springt auch Xinran Xue mit ihrem neuen Roman „Die namenlosen Töchter“, nämlich nach China. Die englische Version heißt „Chopsticks“, das sei in einer Gegend des Gelben Flusses die gängige Bezeichnung für Mädchen. Chopsticks, also Essstäbchen, etwas, was man benutzt und dann wegwerfen kann, im Unterschied zu tragenden „Dachbalken“, der Bezeichnung für Jungen in der selben Gegend. Die Begriffe zeigen die Nichtachtung beziehungsweise Achtung vor Kindern weiblichen und männlichen Geschlechts.

Diese Ungleichheit aufzubrechen, den Unterschied von rund 500 Jahren Entwicklung zwischen Land und Stadt zu überwinden, beides ist ein wichtiges Anliegen der Autorin. Im Westen dafür Verständnis zu schaffen, ihr anderes. Die drei Protagonistinnen aus einem Landstrich, in dem Mädchen keinen Namen wert sind (sie sind nach drei Mädchen gezeichnet, die die Autorin kennt) begeben sich vom Land in die völlig anderen und unmenschlichen Lebensbedingungen der Stadt, „die aber trotzdem noch weit besser sind als die auf dem Land“, wie Xinran feststellt, und gewinnen dadurch sogar Respekt bei Freunden und Familie. Xinrans These: „Der Austausch zwischen Stadt und Land führt automatisch zu Veränderungen.“

Xinran ist nicht die typische, zurückhaltende Chinesin. Sie umarmt ihr Gegenüber fast mit ihrem wachen, warmen Blick, lässt es nicht mehr los. 1997 ging sie nach England, weil sie sich nach jahrelanger Arbeit in der Zwangsjacke des unter staatlicher Kontrolle stehenden Hörfunks „völlig leer und aufgebraucht fühlte“. Sie ist mit einem Engländer verheiratet und hat einen Sohn. Vor drei Wochen kam sie von ihrem letzten China-Besuch zurück.

Mit Liebe gezeichnet

In China hatte Xinran als Hörfunkjournalistin eine sehr erfolgreiche Sendung für Frauen moderiert. In „Verborgene Stimmen“, erschienen 2002, veröffentlichte sie Lebensgeschichten von Frauen, die sie seinerzeit in ihrer Sendung nicht bringen durfte, denn sie wurden als „staatsgefährdend“ angesehen. Manchmal fällt es schwer, mit der Lektüre fort zu fahren, so erschütternd sind diese Schicksale, jedes sehr anders, jedes eine nicht mehr für möglich zu haltende Steigerung von Gewalt und skrupelloser Partei-Hierarchie. Und dann liest man doch weiter, denn sie sind auch mit Liebe gezeichnet, mit Verständnis für die Opfer, denen ja im Grunde genommen auch die Täter zuzurechnen sind.

In England gründete Xinran im August 2004 “The Mother’s Bridge of Love” (www.motherbridge.org), kurz MBL, mit der Mission “eine Brücke zwischen Ost und West zu bauen: kulturelles Bewusstsein und Verständnis für die chinesische Kultur unter den Menschen in der westlichen Welt zu schaffen.“ Mit den Mitgliedsbeiträgen wird erzieherische Unterstützung und Hilfe für arme chinesische Landkinder geleistet, werden Waisen unterstützt und zwei Kunstzentren für Kinder unterhalten, eins in Nanjing, der Heimatstadt von Xinran, und eins in Peking.

Am Schluss steht die Frage: Wie kann es mit der chinesischen Gesellschaft aufwärts gehen? Xinrans Antwort ist auch Botschaft, sie ist sehr einfach: „Reisen und prüfen!“ Und schon fällt ihr die Geschichte von dem Starbucks Coffeeshop in der Verbotenen Stadt ein. Mit ihrer leichtgläubigen Bewunderung für alles Westliche hatten die Chinesen Starbucks für die Inkarnation guten Cafés gehalten. Vor kurzem musste der Coffeeshop wieder schließen, denn man hatte den grundlegenden kulturellen Irrtum erkannt.

Auf die Frage.„Was würden Sie sofort in China ändern?“ kommt umgehend die Antwort: „Die Lebensbedingungen.“ Als Zweites: „Für gute Erziehung sorgen, damit die Menschen zwischen Gut und Schlecht unterscheiden können.“

„Wenn ich mutig wäre, würde ich in China leben!“ ist das Bekenntnis der doch so mutigen Frau am Ende des Gesprächs.

Xinran Xue; Die namenlosen Töchter

Droemer Knaur; ISBN 978-3-426-19772-1; Preis 19,90 €

Xinran Xue; Verborgene Stimmen. Chinesische Frauen erzählen ihr Schicksal

Droemer Knaur-Taschenbuch; ISBN 978-3-426-77913-2; Preis 8,90 €

Xinran Xue; Himmelsbegräbnis

Droemer Knaur–Taschenbuch; ISBN 978-3-426-77878-4; Preis 7,95 €

Die Kunst des Scheiterns

Konstantin Wecker (Konstantin Wecker (Foto: Getty Images)

Es war Zufall. Eingeklemmt in der Menge war kein Entweichen, mit einem Restquäntchen an Neugier erlebte ich also die Ikone Konstantin Wecker bei der Vorstellung seines Buches „Die Kunst des Scheiterns“. Aber eigentlich erlebte ich vor allem einen Menschen. Dieser Mensch Wecker erzählte von seinem Vater und dessen Frage, wie man diese Welt überstehen könne, ohne naiv zu sein? Der Vater sei ein erfolgloser Opernsänger gewesen, was zur Folge hatte, dass er viel zu Hause sang, was wiederum seinem Sohn Konstantin zu gute kam. Der lernte und sang dadurch schon als Kind die Arien der Tosca, Traviata oder Mimi, das machte ihm Spaß. Wecker heute: „Wer bei Puccini noch nicht geweint hat, kann nicht zur menschlichen Spezies gezählt werden.“ Und ein weiteres Credo: „Musikalische Bildung bedeutet im Endeffekt eine größere Freude!“

Es gab da eine längere Phase…

Das Thema Kind steht hoch auf Weckers Prioritätenliste. Wecker zum Anfassen, ein Mensch, authentisch, warmherzig. Vor 10 Jahren, als er schon 50 war, wurde er zum ersten Mal Vater, erzählt der Erfinder von „Willi“ lachend und stellt sich dar als Verfechter der antiautoritären Erziehung. „Das bedeutet aber kein laissez faire.“ klärt er gleich die Lage. Skeptisch sein gegenüber jeder Art von Autorität, ja, das ist ihm wichtig. Und Kinder etwas länger Kind sein lassen auch.

Der Titel von Weckers Buch lässt hellhörig werden. Scheitern. Aus dem Scheitern eine Kunst machen. Aus dem Scheitern lernen. „Scheitern gehört zum Erfolg dazu.“ stellt der Sänger und Autor unumwunden fest. Das kann man wohl unterschreiben, auch wenn es zuweilen hart ist. Wer ist noch nicht irgendwo, irgendwann einmal gescheitert? Also geht es uns alle an. Er nennt es ein Buch gegen das Verdrängen. Er hat da seine Erfahrungen. Da gab es eine längere Phase in seinem Leben, die mit einem Prozess endete, und mit der Situation: „Keine Ehre, keine Drogen, kein Geld“, wie Wecker es selbst auf den Punkt bringt. Er hält da mit nichts hinter dem Berg. Genau diese Situation, nach langen, äußerst erfolgreichen Jahren mit leeren Händen da zu stehen, konnte er für sich als eine neue Freiheit erkennen. „Freiheit erhalten durch Reduzierung.“, so habe er das damals empfunden. Der Satz wirkt in mir nach. Auch, wenn er sagt: „Die Schuld beim anderen suchen, das bringt keinen Gewinn für mich.“ Wohl wahr. Mit seinen Aussagen steht er sehr glaubwürdig da. Er hat damit einen Brückenschlag zu seinem Publikum geschaffen. Mein sehr ehrlich empfundenes „Dankeschön“ an Wecker nach der Veranstaltung bringt mir unerwartet einen kräftigen Händedruck ein. Konstantin Wecker, Sänger, Autor und Mensch.

Konstantin Wecker; Die Kunst des Scheiterns.

Tausend unmögliche Wege, das Glück zu finden.

Verlag Piper; ISBN 978-349-204967-2; 18,00 €

Das spanische „Olé“

Welchen Ursprung hat das spanische „Olé?“ Sie wissen es nicht? Ist doch ganz einfach, es ist eine Abwandlung des arabischen Allah und entstand auf der iberischen Halbinsel zur Zeit der Osmanenherrschaft. So erklärt es uns jedenfalls am gleichen Tag, an gleicher Stelle Ilja Trojanow, der derzeitige Stadtschreiber von Mainz und erfolgreiche Buchautor. Er stellte sein neues Buch vor: „Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht, Kulturen fließen zusammen.“ Diese Aussage tut wohl. So nebenbei erzählte mir eine Messe-Besucherin, dass sie nur wegen ihm gekommen sei. Aha, denke ich, Fan-Gemeinde.

Der gebürtige Bulgare und polyglotte Trojanow trat vor Jahren zum Islam über. Bekannt durch „Der Weltensammler“, der seit seinem Erscheinen im vorigen Jahr beste Kritiken einheimste, hat Trojanow diese „Kampfabsage“ zusammen mit dem indischen Kulturkritiker Ranjit Hoskoté geschrieben. Rundum ein kultureller Brückenschlag.

Ilja Trojanow/ Ranjit Hoskoté; Kampfabsage. Kulturen bekämpfen sich nicht, sie fließen zusammen

Verlag Karl Blessing; ISBN: 978-3-89667-363-3; 17,95 €



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