SPD-Parteitag: Klüssendorf kommt, Scholz geht - und es wird ein Verbotsverfahren gegen die AfD vorbereitet
Olaf Scholz wird verabschiedet, Saskia Esken tritt ab, Lars Klingbeil bleibt und Tim Klüssendorf wird neu gewählt. Neben Personalien stehen auf der Tagesordnung des SPD-Parteitags auch eine Entscheidung für ein AfD-Verbotsverfahren, das außenpolitische „Manifest“, ein neuer Leitantrag und die Aufarbeitung der Bundestagswahl.
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SPD-Chef Lars Klingbeil dringt auf die Prüfung eines AfD-Verbotsverfahrens. Hier im Gespräch mit Dietmar Woidke (r), Brandenburgs Ministerpräsident und SPD-Landesvorsitzender.
Termin: In Berlin findet vom 27. bis 29. Juni der SPD-Parteitag statt.
Inhalt: Personeller Neubeginn und neues Grundsatzprogramm bis 2027. Dazu auch die Ukraine und die AfD.
Wo könnte es höher her gehen: Boris Pistorius will mit Urhebern des „Außenpolitischen Manifests“ sprechen.
AfD-Verbotsverfahren: Auf Vorschlag der Parteispitze soll der Parteitag am Sonntag die Vorbereitung des AfD-Verbots beschließen.
Bei ihrem Parteitag ab Freitag will die SPD das Debakel bei der Bundestagswahl aufarbeiten. Das dreitägige Treffen in Berlin soll die Weichen für die inhaltliche Neuausrichtung der Sozialdemokraten stellen und teilweise personell auch einen Neuanfang signalisieren.
Als neuer Generalsekretär will Tim Klüssendorf die SPD wieder „konsequent zur Partei der Arbeit“ machen, wie er vor dem Parteitag sagte. Sie dürfe dabei aber nicht zur „Status-quo-Partei“ werden, die immer nur bisher Erkämpftes verteidige.
Am Samstag will die Partei Olaf Scholz verabschieden. Er soll laut Klüssendorf einen „würdigen Abschied“ erhalten, ein Film soll sein Wirken für die Partei Revue passieren lassen. Scholz wird auch eine Rede halten. Als Abschiedsgeschenk bekommt Scholz ein Bild aus dem Willy-Brandt-Haus, das er sich selbst ausgesucht hat. Motiv: noch geheim.
Personell zumindest teilweise ein Neuanfang
Fingerspitzengefühl ist beim geplanten teilweisen Führungswechsel in der Doppelspitze der Partei gefragt. Die nach der Wahlniederlage teils scharf kritisierte Parteilinke Saskia Esken tritt ab, auf sie soll Arbeitsministerin Bärbel Bas folgen. Dagegen soll Lars Klingbeil auf seinem Posten bleiben, obwohl er wie Esken seit Ende 2021 die Partei führt und damit in der Verantwortung steht.
Offiziell gewählt werden soll der neue SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf. Der 33-jährige Parteilinke aus Lübeck muss auch dafür sorgen, dass das Treffen mit 600 Delegierten nicht aus dem Ruder läuft.
Zweifel, dass Klüssendorf gewählt wird, gibt es nicht. Der Volks- und Betriebswirt ist ein junges, neues Gesicht, er ist redegewandt und gilt als zielorientiert. Als SPD-Bundestagsabgeordneter ist er Sprecher der Parlamentarischen Linken und gehört damit wie seine Vorgänger Matthias Miersch und Kevin Kühnert zum linken Flügel der Partei.
Neue erste Reihe bei der SPD: Tim Klüssendorf, Bärbel Bas und Lars Klingbeil. Die außen stehende Co-Parteichefin Saskia Esken tritt nicht mehr an.
Foto: Christophe Gateau/dpa
Wer ist der kommende SPD-Generalsekretär?
Klüssendorf stammt aus Lübeck in Schleswig-Holstein und sitzt für den Wahlkreis seit 2021 im Bundestag. 1991 geboren trat er bereits 2007 als Jugendlicher in die SPD ein. Zunächst engagierte er sich bei den Jusos und war 2010 bis 2012 Vorsitzender der Jusos Lübeck. Später studierte er in Hamburg Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre.
Im Jahr 2013 schaffte es Klüssendorf bei der Kommunalwahl in die Lübecker Bürgerschaft und kümmerte sich dort als jugendpolitischer Sprecher um Themen wie Familienfreundlichkeit und Kinderbetreuung sowie eine bessere Bezahlung der Beschäftigten in Sozial- und Erziehungsberufen. Ab 2018 bis zu seinem Einzug in den Bundestag 2021 war der Finanzpolitiker persönlicher Referent des Lübecker Bürgermeisters Jan Lindenau.
Klüssendorf holte 2021 auf Anhieb das Direktmandat im Wahlkreis Lübeck, bei der Bundestagswahl im Februar 2025 gewann er dort erneut die meisten Erststimmen. Er ist im Parlament weiter Mitglied im Finanzausschuss.
Zu Wort meldete sich Klüssendorf in den vergangenen Jahren unter anderem mit einem Strategiepapier zur Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe und mit Kritik an Einsparungen im Bundeshaushalt. Zuletzt warnte er im Zuge der Sondierungen und Koalitionsverhandlungen immer wieder vor Verschärfungen bei der Migrationspolitik und beim Bürgergeld – das seien „soziale und integrationspolitische Rückschritte“.
Klüssendorf ist unter anderem Mitglied bei Verdi, der Arbeiterwohlfahrt und leidenschaftlicher Fußballer. Im VfB Lübeck war er bis Oktober vergangenen Jahres Mitglied des Aufsichtsrats, mittlerweile kickt er für den FC Bundestag.
Um was geht es noch: Außenpolitik
Seit gut zwei Wochen sorgt ein außenpolitisches „Manifest“ in der SPD für Aufregung, das unter anderem von den Parteilinken Ralf Stegner und Rolf Mützenich initiiert wurde. Die rund hundert Unterzeichner fordern eine grundsätzliche Umkehr in der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung, kritisieren eine „militärische Alarmrhetorik“ und schlagen Gespräche mit Russland zur Beendigung des Ukraine-Kriegs vor.
Die Debatte darum könnte lebhaft werden. Verteidigungsminister Boris Pistorius hat angekündigt, er werde beim Parteitag die direkte Auseinandersetzung mit den Manifest-Urhebern suchen. Die haben allerdings auf einen eigenen Beschlussantrag für den Parteitag verzichtet.
Pistorius sagt Kiew weitere Unterstützung zu.
Foto: Anna Ross/dpa
Vorbereitung eines AfD-Verbotsverfahrens
Auf Vorschlag der SPD-Führung soll der Parteitag am Sonntag einen Antrag beschließen, der die Vorbereitung eines AfD-Verbotsverfahrens fordert. Die Sozialdemokraten schlagen dazu eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe vor, die mit der Sammlung von Materialien beginnt. Bei ausreichenden Belegen für eine Verfassungswidrigkeit der AfD müsse das Verbotsverfahren dann in Gang gesetzt werden.
„Das Verbotsverfahren muss eingeleitet und ein Prüfantrag gestellt werden“, sagte die Vize-Parteichefin Serpil Midyatli dem „Handelsblatt“. Ein solches Verbot sei zwar ein „scharfes Schwert“. Wenn aber alle Anforderungen erfüllt seien, „sind wir auch in der Pflicht, damit zum Verfassungsgericht zu gehen“. Midyatli nannte als eine Voraussetzung, dass sich die AfD immer weiter radikalisiere. Nicht zuletzt die Einstufung durch den Verfassungsschutz sei „ein weiterer Beleg dafür“.
SPD-Vorstandsmitglied Sebastian Roloff drängte ebenfalls zu diesem Schritt. „Nachdem der rechtsextreme Charakter der AfD quasi amtlich dokumentiert ist, muss der Rechtsstaat alles versuchen, was in seiner Macht liegt, um sich dieser Gefahr für das eigene Bestehen entgegenzustellen“, sagte Roloff dem „Handelsblatt“.
Neuer Leitantrag und Aufarbeitung der Bundestagswahl
Nur 16,4 Prozent der Wählerstimmen hat die SPD bei der Bundestagswahl im Februar bekommen – das schlechteste Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik.
Nach einigen Landesparteitagen und ersten Arbeiten in Arbeitsgruppen für eine Neuausrichtung soll der Parteitag nun Raum für Debatten über die Ursachen der Wahlniederlage schaffen und den Weg in die Zukunft weisen. Dazu legte der Parteivorstand einen Leitantrag mit dem Titel „Veränderung beginnt mit uns“ vor . Der Antrag soll am Freitagnachmittag diskutiert werden.
„Ein ‚Weiter so‘ kann und darf es nicht geben“, die Krise der Partei müsse zum „Wendepunkt“ werden, steht in dem Leitantrag. Bevor Schlussfolgerungen gezogen werden könnten, müssten aber erst die Ursachen für die Abkehr vieler Wähler genauer verstanden werden.
Dazu wurde ein Prozess gestartet, zu dem unter anderem eine Kommission mit externen Beratern gehört. Endpunkt soll ein neues Grundsatzprogramm sein, das ein Parteitag 2027 – und damit zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl – beschließen soll.
(afp/dpa/red)
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