Seehofer verbietet Reichsbürger-Verein: „Rechtsextremismus wird auch in Krisenzeiten unerbittlich bekämpft“

Seit 2016 beobachtet der Verfassungsschutz offiziell die Reichsbürgerszene. Heute gab das Bundesinnenministerium bekannt, dass der Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" verboten wurde und bundesweit Hausdurchsuchungen durchgeführt werden.
Epoch Times19. März 2020

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat erstmals eine Reichsbürgervereinigung verboten. Es handelt sich um die Gruppe „Geeinte deutsche Völker und Stämme“, wie sein Sprecher am Donnerstag per Twitter mitteilte. Auch ihre Teilorganisation „Osnabrücker Landmark“ sei aufgelöst worden. Seit den Morgenstunden liefen in zehn Bundesländern polizeiliche Maßnahmen. Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus würden auch in Krisenzeiten unerbittlich bekämpft, erklärte der Ministeriumssprecher mit Verweis auf die Coronavirus-Krise.

Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden bei den Razzien Schusswaffen, Baseballschläger, Propagandamaterialien sowie geringe Mengen Betäubungsmittel sichergestellt.

Seehofer erklärte: Die nun verbotene Gruppe habe „rassistische und antisemitische Schriften verbreitet und damit unsere freiheitliche Gesellschaft systematisch vergiftet“. Und weiter: „Auch die verbale Militanz und massive Drohungen gegenüber Amtsträgern und ihren Familien belegen die verfassungsfeindliche Haltung dieser Vereinigung.“

BMI: Vereinsvermögen beschlagnahmt, Beweismittel sichergestellt

In Baden-Württemberg wurden laut dem dortigen Innenministerium am Morgen vier Objekte in den Regierungsbezirken Karlsruhe und Freiburg durchsucht, Vereinsvermögen beschlagnahmt sowie Beweismittel sichergestellt.

Innenminister Thomas Strobl (CDU) erklärte in Stuttgart, „wir haben eine wehrhafte Demokratie“. Gemeinsam werde konsequent gegen verfassungsfeindliche Organisationen vorgegangen, welche „die Existenz und Legitimität der Bundesrepublik Deutschland bestreiten und ihre Institutionen und Amtsträger bedrohen“.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ sind kein neues Phänomen, sondern in ständig neuen Ausprägungen schon seit Jahrzehnten aktiv, berichtet der Verfassungsschutz. Während „Reichsbürger“ sich in ihrer Autonomiehaltung auf die Fortexistenz des „Deutschen Reiches“ und auf „die germanischen Erstbesiedlungsrechte“ fokussieren verstehen sich „Selbstverwalter“ hingegen dem Staat als nicht zugehörig. Sie erklären sich mitunter für unabhängig oder auch ausdrücklich ihren „Austritt“ aus der Bundesrepublik Deutschland. Dabei würden sie sich oft auf eine UN-Resolution berufen, die es aus ihrer Sicht ermöglichen soll, sich zum „Selbstverwalter“ zu erklären, berichtet der Verfassungsschutz.

Reichsbürger markieren Wohnanwesen durch „Grenzziehungen“, „Schilder“, „Wappen“

Gelegentlich markieren sie auch ihr Wohnanwesen durch „Grenzziehungen“, „Schilder“, „Wappen“ oder andere Kennzeichen, aus denen die „Selbstverwaltung“ hervorgehen soll. Mitunter wird der eigens erschaffene „Verwaltungsraum“ auch gewalttätig verteidigt, erklärt der Verfassungsschutz weiter.

Der Anteil von Rechtsextremisten an der „Reichsbürger“- und „Selbstverwalter“-Szene sei allerdings gering. Ein kleiner Teil jedoch zeige sich offen rechtsextremistisch, heißt es auf den Seiten der Sicherheitsbehörde. Mitunter wären antisemitische Ideologieelemente und Argumentationsmuster zu beobachten, insbesondere im rechtsextremistischen Teil der Szene. In ihrer Gesamtheit stuft der Verfassungsschutz die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ als staatsfeindlich ein.

Auszug aus einer Pressemitteilung des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Foto: Screenshot / friedliche-loesungen.org

Verfassungsschutz beobachtet Reichsbürgerszene seit 2016

Der Verfassungsschutz beobachtet die Gruppen offiziell seit 2016. Den Angaben zufolge wurden „mindestens 790 Personen“ die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen. Insgesamt zählten nach Angaben des Verfassungsschutzes Ende 2019 rund 19.000 Menschen zur Szene der „Reichsbürger und Selbstverwalter“. Davon wurden 950 als rechtsextremistisch eingestuft.

Unter den „Reichsbürgern“ in Deutschland haben laut einem Zeitungsbericht mindestens rund 530 die Erlaubnis zum Waffenbesitz. Das teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Anfrage der Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstagsausgaben) mit. Im Juni 2019 hatte der Verfassungsschutz hingegen noch 490 Mitglieder der Szene als „Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse“ erfasst.

Der Anstieg beim verzeichneten Waffenbesitz unter den sogenannten „Reichsbürgern“ ergibt sich nach Angaben des Bundesamts aus der „weiter anhaltenden Aufklärung der Szene und dem damit einhergehenden Bekanntwerden von weiteren waffenrechtlichen Erlaubnissen“. Erlange die Behörde Kenntnis von einem neuen Fall, werde dieser den zuständigen Waffenbehörden mitgeteilt.

Reichsbürger behaupten Bundesrepublik ist ein Unternehmen

Die Berlinerin Heike W. ist das bekannteste Gesicht des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Sie selbst rechnet sich laut „Spiegel“ nicht der Reichsbürgerszene zu. Sie soll ihre Anhänger animieren, ihre Personalausweise zurückzugeben und sich „lebend zu erklären“, berichtet der „Spiegel“. Der Verein besitzt auch Untergruppen wie zum Beispiel die „Osnabrücker Landmark“, die jetzt auch von dem Verbot betroffen ist. In den Morgenstunden gab es Razzien bei Führungspersonal des Vereins.

Viele unter ihnen behaupten, die Bundesrepublik sei in Wirklichkeit kein Staat, sondern ein Unternehmen. Sie erkennen Gesetze und Behörden nicht an und wehren sich teilweise gewaltsam gegen staatliche Maßnahmen. Die Webseite des Vereins ist nicht mehr erreichbar. Auszüge der Pressemitteilungen des Vereins sind aber weiter verfügbar. Der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ und seine Mitglieder setzen sich für eine vorzeitige Haftentlassung des wegen Volksverhetzung verurteilten todkranken Holocaust-Leugners Horst Mahler ein.

Auszug aus einer Pressemitteilung des Vereins „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Foto: Screenshot / friedliche-loesungen.org

Vereine forderten Berliner Bezirks-Bürgermeister auf, ihre Rathäuser zu räumen

Die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ fallen den Behörden seit mehreren Jahren durch Schreiben mit weitgehenden Forderungen und Drohungen auf, schreibt der „Spiegel“.

So schickten die Reichsbürger nach „Spiegel“-Informationen 2017 ein Schreiben an die Justizministerin von Sachsen-Anhalt. Wer sich den Anordnungen der Gruppe widersetze, mache sich der „Staatszersetzung“ strafbar, hieß es darin. Als Höchststrafe wurde Händeabhacken angedroht, berichtet der „Spiegel“.

Und weiter heißt es: In Berlin haben die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“ mehrfach Bezirks-Bürgermeister aufgefordert, ihre Rathäuser zu räumen und ihnen die Schlüssel auszuhändigen. Als einzelne Reichsbürger tatsächlich versuchten, Rathäuser zu übernehmen, schritt die Polizei ein.

FDP-Politiker: „Diese Gruppen werden mitunter immer noch als bloße Irre verklärt“

In Schleswig-Holstein erfolgten Durchsuchungen in den Kreisen Segeberg und Steinburg. Landesinnenminister Hans-Joachim Grote (CDU) erklärte, mit dem Vereinsverbot setzten die Innenminister „ein weiteres deutliches Signal im Kampf gegen den Extremismus“.

Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, begrüßte das Verbot der Reichsbürger-Gruppe. „Diese Gruppen werden mitunter immer noch als bloße Irre verklärt“, sagte Kuhle. „Tatsächlich bereiten sie nicht nur durch krude Theorien und seltsame Aufrufe den Boden für rechtsextreme Gewalt.“ Durch „zunehmende Militanz und Bewaffnung der Szene“ gehe auch von ihnen selbst eine Gefahr aus.

In den letzten Jahren fiel der Verein „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ nach Angaben des Bundesinnenministeriums durch „aggressive Sprache und teils drastische Drohungen“ auf. Diese umfassten insbesondere eine „Inhaftierung“ der Adressaten, „Strafgebühren“ in hohen Summen und „Sippenhaft“. Die Veröffentlichungen der Gruppe zeigten die „schwerwiegenden Verletzungen der Grundrechte“ und besonders der Menschenwürde Anderer, teilte das Bundesinnenministerium mit. (afp/er)



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