Bundesregierung hält Fachkräftemangel für „nicht umfassend“

Bis 2040 könnten in Deutschland bis zu 3,3 Millionen Facharbeiter fehlen. Die Bundesregierung hält den Fachkräftemangel derzeit aber nicht für gravierend.
Eine Mitarbeiterin der Terrot GmbH montiert die Stricknadeln für eine Großrundstrickmaschine. Der Hersteller von Strickmaschinen steht wie viele deutsche Maschinenbauer vor dem Problem des Fachkräftemangels.
Die Zahl fehlender Fachkräfte könnte in Deutschland bis 2030 auf drei Millionen steigen, meint das Forschungsinstitut Prognos. Das Bundesarbeitsministerium hält die aktuelle Situation noch für verkraftbar.Foto: Jan Woitas/dpa
Von 1. Februar 2023

Das Bundesarbeitsministerium hält den Fachkräftemangel in Deutschland derzeit für verkraftbar. Auf eine Anfrage der Linksfraktion widersprach die Bundesregierung Wirtschaftsverbänden. Diese drängen auf Maßnahmen, um den Folgen der demografischen Entwicklung für den Arbeitsmarkt gegenzusteuern.

In der Antwort, über die die „Rheinische Post“ in ihrer Mittwochsausgabe (1. Februar) berichtet, heißt es:

Von einem umfassenden Fachkräftemangel bzw. von einem allgemeinen Arbeitskräftemangel kann in Deutschland nicht gesprochen werden.“

Arbeitsministerium beruft sich auf Zahlen des IAB

Die Bundesregierung begründet diese Einschätzung mit dem Umstand, dass im dritten Quartal des Jahres 2022 rund 1,82 Millionen offener Stellen zu besetzen gewesen seien. Diese Zahl nannte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf Grundlage seiner Stellenerhebung. Demgegenüber waren im Dezember 2022 rund 2,45 Millionen Arbeitslose gemeldet.

Wie viele davon saisonbedingt arbeitslos waren, geht aus den Zahlen nicht hervor. EU-weit waren einer Studie europäischer Arbeitsagenturen von 2020 zufolge im ersten Quartal etwa zwölf Prozent mehr Menschen ohne Beschäftigung als im dritten. Dieser Wert errechnete sich über fünf Jahre. Vor allem im Baugewerbe, im Tourismus und im Einzelhandel macht sich saisonale Arbeitslosigkeit besonders bemerkbar.

Im Oktober 2022 standen dem Bundesarbeitsministerium zufolge sogar etwa 4,35 Millionen Arbeitssuchende für die Besetzung offener Stellen zur Verfügung. Diese Zahl ergebe sich, wenn man Personen in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mit vorübergehender Arbeitsunfähigkeit sowie mit absehbar endender Erwerbstätigkeit berücksichtige.

Linksfraktion sieht „verbreitete Übertreibungen“ bezüglich des Fachkräftemangels

Das Bundesarbeitsministerium schlüsselt die Zahlen in seiner Antwort noch weiter auf. Nur in 26 von insgesamt 144 Berufsgruppen habe der Bestand gemeldeter freier Arbeitsstellen tatsächlich über jenem der potenziell mobilisierbaren Arbeitslosen gelegen. In 118 Berufsgruppen sei das Gegenteil der Fall gewesen.

Eine überdurchschnittlich hohe Arbeitslosigkeit gebe es demnach auch in Mangelberufen wie der Pflege oder dem naturwissenschaftlich-technischen Sektor. Die Vizechefin der Linksfraktion, Susanne Ferschl, sprach von „verbreiteten Übertreibungen“, die sich den Zahlen entnehmen ließen.

Anders sieht das Institut der Deutschen Wirtschaft die Situation. Im Jahr 2022 seien demnach etwa 600.000 offene Stellen aufgrund des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften unbesetzt geblieben. Eine weitere Zahl, die den Fachkräftemangel verdeutliche, sei die steigende Anzahl an Stellenausschreibungen pro offener Stelle. Im Jahr 2021 habe diese Zahl im Durchschnitt 7,1 betragen, was einen Anstieg im Vergleich zu früheren Jahren darstelle.

Fachkräftemangel durch ungenutzte Potenziale verschärft

Perspektivisch werde sich das Problem noch weiter verschärfen, sind sich Arbeitsmarktforscher sicher. Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf das Basler Forschungsinstitut Prognos berichtet, werde sich die Fachkräftelücke langfristig erheblich auswirken. Die Zahl fehlender Facharbeiter, Techniker, Forscher oder medizinischer Fachkräfte könnte schon bis 2030 auf drei Millionen steigen. Für 2040 erwarte man gar 3,3 Millionen.

Schon in den nächsten zehn bis 20 Jahren werde die demografische Entwicklung den Fachkräftemangel deutlich verschärfen. Ältere Arbeitnehmer schieden aus ihren Berufen aus, die Zahl der arbeitsfähigen Menschen könnte bis 2040 um weitere zehn Prozent sinken. Betriebe fänden häufig keine Nachfolger und es komme auf dem Arbeitsmarkt zu zahlreichen Fehlallokationen.

Auch die Entschärfung der demografischen Lage durch die Einwanderung der vergangenen Jahre sei noch kein Gamechanger. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen bleibe hoch, viele Jugendliche mit Hauptschulabschluss fänden nicht in den Arbeitsmarkt. Außerdem gelinge es häufig nicht, Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Mehr Abiturienten streben eine Ausbildung an

Die technologische Entwicklung werde zudem einen Wandel in bestimmten Berufen bewirken. Langfristig könnten elektronische Systeme oder Künstliche Intelligenz (KI) Menschen dort ersetzen. Dies treffe etwa auf viele Sicherungs- und Überwachungstätigkeiten zu. KI-Systeme könnten zudem Buchhalter, Kreditsachbearbeiter und Immobilienmakler ersetzen.

Demgegenüber werde es schon bis 2030 zu einem erheblichen Mangel an Managern, Forschern, Ingenieuren, Ärzten, Pflegern und medizinischen Assistenten kommen. Auch Kreativberufe und sogar der Journalismus hätten einen Personalmangel zu befürchten – ungeachtet der momentanen Begeisterung für ChatGPT, einem textbasierten, automatisierten Dialogsystem.

Ein jetzt schon spürbares Problem ist zudem der Lehrermangel. Auch Kindertagesstätten klagen zunehmend über fehlendes Personal und eine zunehmende Überforderung des bestehenden.

Immerhin interessierten sich zurzeit mehr Abiturienten als in früheren Jahren für einen Ausbildungsberuf. Dies geht aus einer Studie des FiBS Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervor. Demnach streben mittlerweile 47,4 Prozent der Abiturienten eine Ausbildung an. Am ungenutzten Potenzial ändert dies jedoch nichts Grundlegendes, ebenso wenig an Überalterung infolge fehlenden Nachwuchses.

(Mit Material von dts)



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