Chefvolkswirt der BayernLB: „Proteste der Gelbwesten können auch in Deutschland Platz greifen“

In einem Interview mit „FOCUS online“ erklärte BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels, Deutschland könne sich nicht dauerhaft auf den derzeit soliden Wirtschafts- und Haushaltsdaten ausruhen.
Titelbild
Demonstranten mit gelben Westen am 8. Dezember 2018 in Amsterdam.Foto: NIELS WENSTEDT/AFP/Getty Images
Von 14. Dezember 2018

Für das kommende Wochenende hat die Bewegung der Gelbwesten in Frankreich erneute Proteste gegen die Politik von Präsident Emmanuel Macron angekündigt. Mit Spannung blickt man auf die Entwicklung der Beteiligung an den Kundgebungen. Immerhin handelt es sich um das erste Protestwochenende, seit Macron mit einem Paket an Zugeständnissen auf die Bewegung reagiert hat. Und um das erste Wochenende seit dem Terroranschlag von Straßburg.

Bereits in der Woche zuvor hatte der Präsident angekündigt, die geplante Erhöhung der Öko-Steuer, die der Auslöser für die landesweiten Demonstrationen gewesen war, auf Eis zu legen. Am Montagabend hatte Macron unter anderem eine Mindestlohnerhöhung, ein Moratorium bezüglich der geplanten Erhöhung von Sozialabgaben für Rentner und eine Entlastung von Überstundenentgelten angekündigt.

Der Chefvolkswirt der BayernLB, Jürgen Michels, hält wenig von den Maßnahmen Macrons, in denen es auf den ersten Blick eher um symbolische Beträge geht, die jedoch immerhin rund zwei Millionen Haushalte in Frankreich betreffen. Im Interview mit „FOCUS online“ hält Michels ein Übergreifen der Proteste auf Deutschland für möglich. Bis dato sind Gelbwesten in Deutschland nur vereinzelt aufgetaucht, nachdem auch in Belgien und den Niederlanden größere Kundgebungen zu verzeichnen waren.

„AfD und Pegida zeigen, dass sich bedeutsame Protestbewegungen auch bei uns schnell formieren können“, erklärte Michels. „Vorher sorgten schon die Piraten für Aufsehen.“

Die „nächsten fünf Jahre werden schwieriger“

Entscheidend für das Auftreten solcher Bewegungen sei der „gefühlte Schmerz“, wenn sich auf breiterer Ebene ein Ungerechtigkeitsempfinden einstelle. Objektiv sehe Michels zwar mit Blick auf die Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten zurzeit keinen Anlass zur Sorge. Eine Anspannung in der Gesamtsituation könne jedoch Druck auf die Politik erzeugen:

Und die nächsten fünf Jahre werden sicherlich schwieriger als die letzten fünf, in denen wir von den positiven Auswirkungen der Agenda 2010 profitiert haben.“

Michels zufolge hätten die Franzosen mit der Wahl Macrons und seiner Bewegung 2017 ganz bewusst auch einen schmerzhaften Reformprozess akzeptiert. Diese These ist unter Beobachtern der Szenerie nicht unumstritten.

Macron hatte in beiden Wahlgängen immerhin auch von erheblichen Schwächen seiner Gegner profitiert – der Konservative Fillon sah sich Vorwürfen der Vetternwirtschaft ausgesetzt, die populistischen Kandidaten von links (Mélenchon) und rechts (Le Pen) galten von vornherein als nicht mehrheitsfähig. Allerdings hatte Macron immerhin weitreichende Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes und der Renten ohne größere Proteste umsetzen können.

Deutschland verliert wettbewerbstechnisch an Boden

In Deutschland diagnostiziert Michels unterdessen eine Neigung, unter dem Eindruck einer entspannten Haushaltslage Reformen wieder zurückzudrehen, etwa beim Renteneintrittsalter. Einen Anlass dafür gebe es nicht, da die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft nicht besser würden. Die Wettbewerbsfähigkeit stehe bereits jetzt wieder unter Druck:

„Im Doing Business Report der Weltbank rutscht Deutschland bereits seit 2015 wieder zurück“, stellt Michels fest. Die Haushaltsdaten stimmten zwar, aber „die Wachstumsraten könnten in den kommenden Jahren möglicherweise unter ein Prozent sinken und die sehr gute fiskalische Situation sich ins Gegenteil umkehren“.

Der Raum für Geschenke werde kleiner, die demografische Lage sei mittelfristig drastischer als in Frankreich. Die Themen seien zwar zum Teil andere, aber auch in Deutschland könnten hohe Spritpreie und ökologisch begründete Belastungsfaktoren wie das EEG eines Tages für Proteststimmung sorgen.

Populistische Regierung auch in Frankreich denkbar

In Debatten wie jener um eine Rücknahme oder Aufweichung von Hartz IV wittert Michels Bestrebungen, möglichen französischen Zuständen bereits im Vorfeld entgegenzuwirken. Gegenüber FOCUS online sagte er:

„Die Frage ist, ob die etablierten Parteien auch in Zukunft in der Lage sein werden, bestimmte Themen widerzuspiegeln. Wenn es ihnen nicht mehr gelingen sollte, solche Strömungen mit aufzunehmen, könnten Bürger den direkten Weg wählen und sich einer radikaleren Bewegung anschließen.“

Macron wiederum versuche sich durch die jüngsten Geschenke, eine ausreichende Bereitschaft zu erkaufen, seinen Reformkurs mitzutragen. Das sei ein Risiko. Sollte die Rechnung nicht aufgehen, und die angespannte Situation der Staatsfinanzen könnte dieser Politik bald die Grenzen aufzeigen, dann

besteht in Frankreich die Gefahr, dass bei den nächsten Wahlen Populisten an die Macht kommen“.

 



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