Die Revolution ist erstmal abgesagt

Zweckoptimismus, gegenseitige Schuldzuweisungen und verbale Abrüstung: Am Donnerstag wird auch mit den Ministerpräsidenten über die Unterstützung des Bundes bei der Flüchtlingsversorgung und über die beschleunigte Rückführung abgelehnter Migranten verhandelt.
Titelbild
Sigmar Gabriel (L), Angela Merkel und Horst Seehofer bei einer gemeinsamen Pressekonferenz (2013)Foto: JOHANNES EISELE/AFP/Getty Images
Epoch Times2. November 2015

Sigmar Gabriel wundert sich. „Wenn man für einen Text, in dem viele Selbstverständlichkeiten stehen, acht, neun Stunden braucht, ist das ein bemerkenswerter Vorgang“, spottet der SPD-Chef über das Kompromisspapier der Unionsspitze zur Flüchtlingspolitik.

Dass CSU-Chef Horst Seehofer sich am Montag gleich zum Sieger im Flüchtlingsduell mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausrufe, wundert Gabriel kein bisschen. Die Realität sehe anders aus. „Interessant ist, was nicht drin steht.“

Seehofer habe bei Merkel auf Granit gebissen, sagt Gabriel. Die deutschen Grenzen blieben offen. Von Obergrenzen sei nichts zu sehen. Und bei den Transitzonen, die Gabriel als „dumme Maßnahme“ abqualifiziert, werde die SPD hart bleiben: „Wir werden uns nicht dazu hinreißen lassen, damit es in der Union etwas gibt, was Seehofer als Trophäe mit nach München nehmen kann.“

Theaterdonner … oder Jeder schimpft auf Jeden

Das „Blame game“, sich gegenseitig die Schuld zu geben, ist in vollem Gang. Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU schimpft, die SPD sei am Rande ihrer Regierungsfähigkeit, wenn sie nicht in Transitzonen einwillige. Gabriel kontert, das sei eine Scheindebatte. Die Union wolle mit einem „Nebenkriegsschauplatz“ vom Zoff Merkel-Seehofer ablenken.

Als Moderator will Gabriel nicht einspringen – dafür steht auch für ihn selbst zuviel auf dem Spiel. Wie Seehofer steht ihm ein Parteitag bevor, beide wollen bei der Wiederwahl als Vorsitzende nicht abgestraft werden. Besonders für Gabriel könnte ein Kompromiss aus Transitzonen und der SPD-Idee von Einreisezentren gefährlich sein, wenn dieser Zäune oder letztlich Polizeigewalt gegen Migranten einschließt. Das wäre für die SPD-Linke ein No-Go.

Doch so weit liegen Union und SPD in der Sache gar nicht mehr auseinander. Selbst Gabriel rüstet am Ende seines Auftritts im Willy-Brandt-Haus rhetorisch schon mal ab: „Wir haben die Hoffnung, dass wir da zueinander kommen.“

Einigermaßen Einigkeit zwischen CDU und CSU ?

Sowieso ist am Tag nach dem Flüchtlingstreffen nicht ganz klar, ob die Zwei-Stunden-Sitzung von Merkel, Gabriel und Seehofer nicht zu einer Art Drehbuch gehört. In Unionskreisen hieß es, man wolle sich am Donnerstag in der Koalition einigen.

Dann will die Kanzlerin am Nachmittag mit den Ministerpräsidenten über die Unterstützung des Bundes bei der Flüchtlingsversorgung verhandeln und vor allem über eine forcierte Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Würde Merkel in die Gespräche mit einer heillos zerstrittenen Koalition im Rücken gehen, dürfte das für keine Seite hilfreich sein.

Für CDU und CSU war es am Wochenende vor allem darauf angekommen, nach wochenlangem Streit einigermaßen Einigkeit zu demonstrieren. An diesem Dienstag kommen die Abgeordneten erstmals seit drei Wochen wieder zur Fraktionssitzung zusammen.

Die Erinnerung an das jüngste Treffen vor drei Wochen sitzt tief: Damals bekam Merkel für sie bis dahin unbekannten Gegenwind. Offen verlangten Parlamentarier ein schärferes Vorgehen an der Grenze, Abgeordnete drohten mit eigenen Anträgen, falls Merkel nicht handele.

Ungewöhnlich: Seehofer will selbst die Vorschläge im Bundestag präsentieren

Doch nachdem es das Unionspapier gibt, scheint die Revolution in der Fraktion vorerst abgesagt. Merkel und Seehofer werden den Abgeordneten die Vorschläge selbst präsentieren – dass der Bayer in der Bundestagsfraktion erscheint, ist eher ungewöhnlich.

Seehofer gab die Marschrichtung vor. „Für den Moment bin ich zufrieden, aber wir haben noch ein gehöriges Stück Arbeit vor uns“, sagte er in München. Dabei dürften sich selbst manche CSU-Abgeordnete fragen, woraus der Ministerpräsident seine Zufriedenheit schöpft.

In seiner Umgebung wurde vor allem auf den Satz aus dem Papier verwiesen, man wolle Zuwanderung ordnen und steuern sowie Fluchtursachen bekämpfen, „um so die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren“. Das aber ist seit Wochen auch das Ziel der Kanzlerin.

Auch in der CDU-Spitze heißt es, nach der Einigung vom Sonntag habe sich in der Partei die Spannung der vergangenen Tage gelöst. Ob das nur Zweckoptimismus war, wird sich am Dienstag von 15.00 Uhr an zeigen.

Immerhin hat einer der schärfsten Kritiker, der Chef des Parlamentskreises Mittelstand in der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), schon ein Einlenken signalisiert. Das Papier diene als Diskussionsgrundlage. „Die Vorlage eines weiteren Diskussionspapiers oder eines Antrags ist deshalb nicht mehr nötig“, ergänzte er. (dpa/ks)



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