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Analyse

plus-iconUnschuldsvermutung bald passé?

„Paradigmenwechsel“: Bundesregierung plant Nachweispflicht für Vermögenswerte unklarer Herkunft

Zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität plant Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), eine Umkehr der Beweislast einzuführen. Wenn ein Tatverdächtiger die rechtmäßige Herkunft seiner Vermögenswerte nicht nachweisen kann, müsste er mit deren Verlust rechnen.

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Das Archivbild zeigt Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bei einem Pressetermin.

Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

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Lesedauer: 9 Min.


In Kürze:

  • Bundesinnenminister Dobrindt will Beweislastumkehr für legalen Erwerb von Vermögenswerten unklarer Herkunft durchsetzen.
  • Der Vorschlag ist bislang nur für den strafrechtlich relevanten Phänomenbereich „Organisierte Kriminalität“ angedacht.
  • Ein Gesetzentwurf liegt bisher nicht vor.

 
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will den Kampf gegen organisierte Kriminalität (OK) verschärfen. „Wir wollen eine Beweislastumkehr, wenn es um die Einziehung von Vermögenswerten geht“, sagte Dobrindt bereits am 24. Oktober 2025 anlässlich der Vorstellung des OK-Bundeslagebilds 2024.
Konkret solle es künftig so ablaufen, „dass bei Vermögen unklarer Herkunft der Nachweis erbracht werden muss, dass dieses Vermögen legal erworben worden ist“.
Wenn dieser Nachweis nicht erbracht werden könne, dann solle es zu einer „vereinfachten Einziehung dieses Vermögens“ kommen können, kündigte der Minister aus Bayern an.

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Das Bundesinnenministerium (BMI) zitiert seinen Chef mit den Worten: „Das ist ein Paradigmenwechsel. Polizei, Zoll und BKA ziehen dabei an einem Strang. Unser Ziel ist klar: Strukturen zerschlagen, Vermögen einfrieren, Sicherheit durchsetzen.“
Im Jahr 2024 wurden laut Bundeslagebild (Download) deutschlandweit 647 OK-Ermittlungsverfahren geführt. Mehr als 70 Prozent davon hätten „eine transnationale Tatbegehung“ aufgewiesen. Insgesamt sei es zu einem Schaden in Höhe von 2,64 Milliarden Euro gekommen. 831,6 Millionen Euro seien von den Tatverdächtigen eingesteckt worden, wobei die Polizeibehörden rund 94 Millionen Euro davon vorläufig sicherstellen konnten.

BMI: „Konkreter Zeitplan für die Vorlage eines Gesetzentwurfs liegt noch nicht vor“

Inwiefern eine Abgrenzung zwischen Tatverdächtigen des Phänomenbereichs OK und anderen Tatverdächtigen oder gar Privatpersonen getroffen werden könnte, ist derzeit ebenso unklar wie die Frage, wie Eigentumsnachweise etwa für Geschenke, Tafelgeschäfte, Spiel- oder Wettgewinne erbracht werden sollen, für die keine Belege existieren.
„Die Prüfung möglicher gesetzlicher Änderungen befindet sich derzeit in einem frühen Stadium“, antwortete eine Sprecherin des BMI auf entsprechende Nachfragen der Epoch Times. „Ein konkreter Zeitplan für die Vorlage eines Gesetzentwurfs liegt deshalb noch nicht vor.“
Regierungsintern fänden allerdings bereits „enge und konstruktive Abstimmungen“ zwischen den involvierten Ressorts statt. Der Gesetzentwurf werde entweder vom Bundesfinanzministerium oder gegebenenfalls vom Justizministerium erarbeitet und müsse insbesondere mit dem BMI abgestimmt werden.

Grundgesetzschutz auch für Eigentum nicht grenzenlos

Privates Eigentum ist gemäß Grundgesetz Artikel 14 zwar grundsätzlich geschützt, es gilt allerdings auch: „Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.“ Und weiter:
  • „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
  • „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.“
Im Strafrecht ist die Beweislastumkehr grundsätzlich nicht statthaft. Gewisse Ausnahmen bestehen etwa bei der Vermögensabschöpfung gemäß Paragraf 76a des Strafgesetzbuches in Verbindung mit Paragraf 437 der Strafprozessordnung. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages wies schon 2018 darauf hin, dass die Regeln zur Einziehung von Vermögen allgemein juristisch umstritten seien. (PDF)

Strafrechtsexperte: „Beweislastumkehr wäre ein Fremdkörper“

Nach Einschätzung des Strafrechtsexperten Jan Bauerkamp liefe eine Beweislastumkehr „zentralen Grundsätzen des Strafprozessrechts und grundrechtlichen Gewährleistungen entgegen“, wie Bauerkamp schon 2023 anlässlich einer ähnlichen Debatte zur Vermögensabschöpfung im Kontext des Lagebildes „Clankriminalität Berlin 2022“ ausgeführt hatte.
„Eine Beweislastumkehr wäre im deutschen Strafprozessrecht ein Fremdkörper“, meinte Bauerkamp. Er gab unter anderem zu bedenken, dass auf Grundlage der Artikel 1(1), 2(1) und 20(3) des Grundgesetzes der sogenannte Nemo-tenetur-Grundsatz hergeleitet werde. Demnach sei kein Angeklagter verpflichtet, „an der eigenen Überführung aktiv mitzuwirken“. Sein Schweigerecht müsse letztlich auch „hinsichtlich der Nichtbeibringung entlastender Aussagen“ gelten. Wenn der Staat aber einen Beweis für die legale Herkunft eines Vermögensgegenstandes verlangen würde, müsste sich der Betroffene ja zwangsläufig äußern.

BMI-Sprecherin: Haben „rechtsstaatliche Grundsätze“ zu wahren

Die Sprecherin des BMI betonte auf Anfrage der Epoch Times, dass ihr Ministerium auch dann „rechtsstaatliche Grundsätze“ zu wahren habe, wenn – wie angedacht – das Ziel verfolgt werde, „kriminelle Finanzströme, Geldwäsche und illegale Vermögensverschiebungen frühzeitig zu erkennen, konsequent zu verfolgen und illegale Vermögenswerte effizient abzuschöpfen“.
Das BMI begrüße „vor diesem Hintergrund“ die „ausdrückliche Vorgabe im Koalitionsvertrag“, „eine vollständige Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft einzuführen“, wenn es dabei um die „Verschärfung des Kampfes gegen Organisierte Kriminalität sowie gegen Banden- und Clankriminalität“ gehe. Die entsprechenden Passagen finden sich auf den Seiten 83 und 90 des Koalitionsvertrags. (PDF)

Beweislastumkehr als grundsätzliche Ausnahme

Schon Dobrindts Vorgängerin im Bundesministerium des Innern, Nancy Faeser (SPD), hatte im Herbst 2023 für Empörung gesorgt, als sie per Bundesdisziplinargesetz die Beweislast zur Verfassungstreue umkehren ließ. Im Zweifel können Bundesbeamte damit seit dem 1. April 2024 schon mittels einer Disziplinarverfügung der eigenen Behörde aus dem Beamtenverhältnis entfernt werden. Bis dahin war dies erst nach einer Disziplinarklage und einem entsprechenden Richterspruch möglich.
Nach Angaben des BMI kann eine Disziplinarverfügung allerdings „mit den Rechtsbehelfen und Rechtsmitteln des Widerspruchs, der Anfechtungsklage und – unter bestimmten Voraussetzungen – der Berufung und der Revision angefochten werden“.
Die Beweislastumkehr war in Deutschland schon zuvor nicht in allen Fällen verboten. Laut Paragraf 477 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist sie beispielsweise bei bestimmten Sachmängeln zulässig: Wenn eine bewegliche Sache schon innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb nicht mehr den gesetzlichen Anforderungen gemäß Paragraf 434 BGB genügt, „so wird vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war“.
Innerhalb dieses ersten Jahres müsste dann der Verkäufer beweisen, dass die Ware zum Zeitpunkt der Übergabe einwandfrei war. Kann er das nicht, muss er nachbessern oder Ersatz liefern. Mit Ende des ersten Jahres nach Erwerb geht die Beweispflicht auf den Käufer über. Bei einem Tierkauf gilt entsprechend eine Frist von sechs Monaten.

Arzthaftungsrecht und Arbeitsrecht

Auch im Arzthaftungsrecht gilt eine Beweislastumkehr gemäß Paragraf 630h BGB. „Wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden [also einen Arzt] voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat“, dann wird ein Fehler des Arztes vermutet. Die Rechtsanwaltskanzlei ETL weist darauf hin, dass in so einem Fall der Arzt beweisen müsse, „dass der Ursachenzusammenhang gänzlich unwahrscheinlich“ sei, wenn der Behandlungsfehler generell geeignet sei, den Schaden zu verursachen.
„Eine Beweislastumkehr findet im Arzthaftpflichtprozess allerdings nur statt, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt oder, insbesondere durch mangelhafte, fehlende, unplausible oder gefälschte Behandlungsdokumentation die Beweisführung des Klägers erschwert oder unmöglich gemacht wurde“, so die ETL-Kanzlei.
Auch im Arbeitsrecht kann es bei Streitfragen über eine mutmaßliche Diskriminierung zu einer Beweislastumkehr kommen. Wenn nämlich eine der Streitparteien anhand von Indizienbeweisen vermuten lässt, dass sie „aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ benachteiligt wurde, liegt die Beweislast, dass dem nicht so sei, laut Paragraf 22 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bei der anderen Partei.
Patrick Reitler, geboren in den späten Sechzigerjahren am Rande der Republik. Studium der Komparatistik, Informationswissenschaft und Sozialpsychologie. Seit der Jahrtausendwende als Journalist hauptsächlich in Online-Redaktionen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk und als Fußballkommentator unterwegs. Seit Ende 2022 freier Autor. Bei Epoch Times vorwiegend für deutsche Politik zuständig.

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