Euro 2024: Sucht das politisch korrekte Deutschland die Revanche für das „Sommermärchen“?

Die UEFA vergab die Euro 2024 am Donnerstag in Nyon an den DFB. Dass Deutschland das internationale Großturnier ausrichten würde, weckt Erinnerungen an das „Sommermärchen“ der FIFA-WM 2006. Bereits damals war jedoch nicht jeder über das Fest in Schwarz-Rot-Gold begeistert.
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Ungeniert stolz sein auf Deutschland durfte man im Juni 2006 bei der Fußball WM in Berlin, genannt "Das Sommermärchen". Die Farben der Deutschen Fahne tauchten überall in der Stadt auf. Niemand nannte sie Nazis.Foto: TIMM SCHAMBERGER/AFP/Getty Image
Von 28. September 2018

Die Vergabe der Euro 2024 an Deutschland, die am Donnerstag in Nyon vonstattengegangen war, löste bei vielen Menschen im Land Erinnerungen an das „Sommermärchen“ aus, als das die FIFA-Fußballweltmeisterschaft 2006 in Erinnerung geblieben war.

Für die meisten Menschen im Land sind das überaus freudige – trotz der 0:2-Niederlage der deutschen Elf in der Verlängerung des Halbfinales von Dortmund gegen den späteren Weltmeister Italien.

„Wir freuen uns sehr, dass die Wahl auf die Bewerbung des DFB gefallen ist und werden nun alles dafür tun, um den Fußballfans aus aller Welt ein neues Sommermärchen zu bescheren“, kündigt bereits Jürgen Muth, Geschäftsführer der Allianz Arena München Stadion GmbH, gegenüber dem Portal „Stadionwelt“ an.

Vom Fahnenmeer auf dem falschen Fuß erwischt

Einige andere verbinden den Frühsommer 2006 hingegen mit geradezu traumatischen Erlebnissen. Dass Schwarz, Rot und Gold zu den Modefarben jener Zeit geworden waren und die Farben der Nationalflagge an allen Ecken Fenster, Autos, Kleidungsstücke, Fanmeilen und Gartenlauben zierten, erwischte all jene auf dem völlig falschen Fuß, die geglaubt hatten, das Volk erfolgreich zum Verzicht auf diese Symbolik erzogen zu haben.

Die Reaktionen erschienen damals eher hilflos. Der langjährige Regierungssprecher des Altkanzlers Gerhard Schröder, Uwe-Karsten Heye, sinnierte über angebliche No-Go-Areas für Dunkelhäutige in den neuen Bundesländern.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) warnte vor dem Absingen der Nationalhymne, Hans-Christian Ströbele fand das Fahnenschwenken „nicht unbedingt gut“ und Heiner Geißler zitierte ein angebliches „ukrainisches Sprichwort“, das da laute: „Wenn die Fahnen fliegen, ist der Verstand in der Trompete.“ Auf dem Kiewer Maidan, wo sieben Jahre später zehntausende Demonstranten EU-Fahnen schwenkten, scheint man mit diesem jedoch nicht vertraut gewesen zu sein.

Der ausgelassenen Jubelstimmung und dem hauptsächlich unpolitischen Party-Patriotismus tat dies keinen Abbruch.

Das „Sommermärchen“ von 2006 erweckte in ganz Deutschland eine Stimmung des Optimismus und der kollektiven Zuversicht, die es seit dem Wendeherbst 1989 nicht mehr gegeben hatte und die auch nach dem Ende der WM noch über mehrere Monate hinweg anhielt.

Die schwarz-rot-goldene Fahne eroberte damals sogar die Einwandererbezirke, wie Deniz Yücel teilpikiert in der „Jungle World“ feststellte. Zweifellos spielte dabei auch eine Rolle, dass sich die DFB-Bewerbung zur WM 2006 nicht gegen Konkurrenz aus der Türkei durchsetzen musste und diese sich außerdem nicht für die Endrunde qualifiziert hatte. Dennoch wurde das „Sommermärchen“ 2006 insgesamt zu einer Veranstaltung, die auch entfremdete Einwanderercommunitys dem Land ein Stück näherbrachte.

Erst die Klima-Angst beendete die Aufbruchsstimmung

Wann genau diese atmosphärische Veränderung, die das Land ergriffen hatte, wieder endete, ist schwer zu datieren. Dass mit Angela Merkel eine Bundeskanzlerin frisch im Amt war, die zu Schwarz-Rot-Gold ein eher gebrochenes Verhältnis hatte, garantierte zwar, dass sie keine nennenswerte Rückendeckung aus der Politik erfahren würde. Aber es bedurfte wohl erst der konzertierten Anstrengung durch Politik und volkspädagogische Medien, um 2007, im Erfolgsjahr des Al-Gore-Streifens „Eine unbequeme Wahrheit“, zumindest auf dem Umweg über die Klima-Angst der weit verbreiteten patriotischen Aufbruchsstimmung im Land wieder einigermaßen entgegenwirken zu können.

Nach den Erfahrungen von 2006 ist mit Blick auf das Turnier 2024 in Deutschland davon auszugehen, dass der moralisch gute Teil des Landes entschlossen sein dürfte, sich nicht mehr in dieser Weise die Butter vom Brot nehmen zu lassen.

Die „Internationalsozialistische Antifa“, ein Account, der unter akutem Verdacht steht, ein böser Spoof zu sein, auf Facebook die Sorge vor einer „Wiederholung des für jede*n Antifaschist*in, Grün*in und Linksprogressive*n grauenhaften Sommers von 2006, aber diesmal noch viel schlimmer“ äußert und Claudia Roth als Gewährsfrau dafür heranzieht, dass die Türkei „doch allemal die bessere Wahl“ gewesen wäre, spricht aus, was viele dort denken.

Im politischen Establishment formuliert man seine Erwartungen deutlich diplomatischer, doch allemal bestimmt.

Bundesaußenminister Heiko Maas erklärte unmittelbar nach der Vergabe, er erhoffe sich eine Gelegenheit, der Welt zu beweisen, „wofür wir in Deutschland einstehen: Für Weltoffenheit und Toleranz, für Freiheit und Respekt“. Zudem stellte er seinen Tweet unter das Motto #EuropeUnited, was die Interpretation zulässt, das Veranstalterland solle das Turnier nutzen, um nicht sich selbst, sondern den Europagedanken in Szene zu setzen.

„Politischer Auftrag“ der Fußball-EM?

Auch der Rest seines Tweets spricht Bände:

Wir sollten die Europameisterschaft gemeinsam zu einem Turnier für alle Europäer machen. Es freut mich besonders, dass der DFB die Europameisterschaft zum Anlass nimmt, um als einer der ersten nationalen Fußballverbände eine Menschenrechtsstrategie in seine Satzung aufzunehmen. Das ist in diesen Zeiten das richtige Signal.“

Der „Focus“ pflichtet ihm bei und Onlineredakteur Marco Plein bringt in seinem Kommentar auch seine eigene Zufriedenheit über die Vergabe zum Ausdruck – allerdings nicht wegen der Aussicht auf ein neues schönes Sommermärchen, sondern „wegen der heutigen politischen Lage“:

„Dass Deutschland nun die EM in sechs Jahren ausrichten darf, ist nicht nur eine Möglichkeit, einen neuen Blickwinkel einzunehmen, all das Vergangene hinter sich zu lassen und entschlossen in die Zukunft zu blicken. Es ermöglicht auch eine Chance für ein Land, das in der aktuellen politischen Lage von Unsicherheit, Unzufriedenheit, Ablehnung und einem erschreckenden Rechtsruck geprägt wird – und das über die Staatsgrenzen hinaus kaum noch erfreuliche Nachrichten sendet.“

Ob tatsächlich der angebliche „Rechtsruck“ dafür verantwortlich ist, sei dahingestellt – ein solcher ist im Ausland zumindest dann mit einigen Schwierigkeiten zu argumentieren, wenn ein langjähriger Spitzenbeamter nach der kritischen Einschätzung eines Videos der „Antifa Zeckenbiss“ sein Amt verliert und ein Staatsoberhaupt für Konzerte mit linksextremistischen Bands wirbt.

Fakt ist, dass es eher andere Faktoren sind, die dazu beigetragen haben, dass die Begeisterung über den Fußball und die Nationalmannschaft in den letzten Jahren gegenüber 2006 deutlich abgenommen hat.

Fußball darf nicht mehr bloßes Freizeitvergnügen sein

Ist Fußball unpolitisch oder wird er wieder politisiert?

Wesentlich zum Verlust der gemeinschaftsstiftenden Wirkung des Fußballs in Deutschland hat vor allem dessen zunehmende Politisierung beigetragen – die in die komplett entgegengesetzte Richtung zu „rechts“ erfolgt ist.

Dies beginnt beim Vereinsfußball, wo von der Bundesliga abwärts zunehmend ein politischer und gesellschaftlicher Bekenntniszwang greift. Dieser beginnt Vereinspräsidenten, die sich bemüßigt fühlen, Mitgliedern und Anhängern Handreichungen zu bieten darüber, welche politischen Parteien sie unterstützen dürfen oder welche nicht. Er endet nicht bei Manifestationen des moralisch Guten wie dem Tragen einer Regenbogenbinde – wobei bereits die bloße Weigerung, sich politischen Vereinnahmungen zu widersetzen, den Vorwurf nach sich zieht, „Nazi“ zu sein, wie jüngst vonseiten eines Grünen-Politikers aus Sachsen an die Führung von RB Leipzig.

Das Rebranding der DFB-Elf in „Die Mannschaft“ 2016, das Umdeuten der Vorbehalte gegen Fotos mit ausländischen Potentaten und Verweigerung der Nationalhymne in „Rassismus“ und das überhebliche Auftreten deutscher Leitmedien gegenüber dem Gastgeber der FIFA-WM 2018 haben die Verdrossenheit noch weiter verstärkt.

Dass das „Sommermärchen“ 2006 Deutschland im In- und Ausland so viele Pluspunkte eingebracht und die Verbundenheit innerhalb der Bevölkerung über Grenzen von Herkunft und Religion hinweg so stark gefördert hat, lag nicht zuletzt am unpolitischen Charakter des damaligen Fußballfestes. Ganz von selbst und dazu aufgefordert worden zu sein, lebten die Menschen im Lande das vor, was US-Präsident Donald Trump in seiner Antrittsrede mit dem Satz beschrieb: „Wo man sein Herz dem Patriotismus öffnet, ist kein Platz für Vorurteile.“

Heute vermag der Fußball diese Wirkung nicht mehr zu entfalten, weil er kein politikfreier Lebensbereich mehr ist – und weil das Land insgesamt immer weniger politikfreie Lebensbereiche aufweist. Eine möglichst großes Ausmaß an politikfernen Bereichen ist jedoch das, was üblicherweise ein freies Gemeinwesen ausmacht – unfreie hingegen können und wollen solche regelmäßig nicht dulden.



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