Fast jede zweite Apotheke ist bedroht: Ein umstrittenes Gutachten des Wirtschaftsministeriums

Apotheken vor Ort „versorgen“ die Menschen, der Versandhandel kann jedoch nur „liefern". Ein neues Gutachten empfielt eine Senkung der Arzneimittelpreise, obwohl 47 Prozent aller Apotheken bereits in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind.
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47 Prozent aller Apotheken in Deutschland haben wirtschaftliche Schwierigkeiten .Foto: Carsten Koall/Getty Images
Epoch Times22. Dezember 2017

Was darf ein Apotheker verdienen? Laut des jetzt veröffentlichten 256 Seiten starken Gutachtens in Zukunft deutlich weniger, schreibt die Freie Apothekerschaft in einer Presseerklärung.

Das Gutachten sieht Möglichkeiten der Einsparung bei Arzneimittelpreisen in Höhe von 1,24 Milliarden Euro – und gleichzeitig erkennt es an, dass Hunderte Apotheken in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage und betriebswirtschaftlich gefährdet sind.

Die Freie Apothekerschaft fordert die Politik auf, umgehend die fragwürdigen Änderungen am Arzneimittelpreis zu beenden und endlich mit Augenmaß die Versorgung der Bürger durch die deutschen Apotheken zu sichern.

In Diskussion steht der Preis für verschreibungspflichtige Arzneimittel

Im Gutachten „Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise“, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Jahr 2016 in Auftrag gegeben wurde, wird unter anderem die Vergütung für die Apotheken geregelt.

Schon im Vorfeld führte das Gutachten zu heftigen Diskussionen. So erklärte Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apotheker­verbände (ABDA), der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

Honorarkürzungen für Apotheken kommen nicht infrage“.

„Dem SPD-geführten Bundesministerium scheint es in erster Linie um die Frage zu gehen: Was darf ein Apotheker als Leistungserbringer der Gesetzlichen Krankenkasse verdienen?“, fragt Dr. Helma Gröschel, Vorsitzende der Freien Apothekerschaft. Und weiter:

Wenn allerdings die Abgabe von Hustenbonbons gleichgesetzt wird mit der Abgabe eines Blutdruckmittels auf Verordnung eines Arztes inklusive Beratung, und der Inhaber einer Apotheke mit allen Risiken der Selbständigkeit und auch der Haftung für sein Tun verglichen wird mit dem angestellten Apotheker einer Krankenhausapotheke, dann scheint das Ergebnis des Gutachtens schon vorher festgestanden zu haben“.

Das Gutachten sieht drei Möglichkeiten der Kürzungen

Die Summe von 1,24 Milliarden Euro Einsparungspotential setzt sich zusammen aus circa 230 Millionen Euro, die bei der „Vergütung der Herstellung parenteraler Zubereitungen sowie zugehöriger Warenwirtschaft“ eingespart werden können.

Weitere rund  900 Millionen Euro sollen durch die „Vergütung der übrigen Apotheken“ eingespart werden, konkret durch eine Ab­senkung des Packungszuschlags auf rezeptpflichtige Arzneimittel.

Der dritte Bereich von rund 210 Millionen Euro betrifft die „Zuschläge des pharmazeu­tischen Großhandels“, die reduziert werden sollen.

Mehr als 47 Prozent der Apotheken sind in wirtschaftlichen Schwierigkeiten

Im Fazit des Gutachtens steht auch (Seite 13):

„Die wirtschaftliche Lage der Vor-Ort-Apotheken ist bereits mit Stand 2015 für 47 % aller Apotheken-Unternehmen als schlecht anzusehen. Der europäische Versandhandel kann daher rein zeitlich nicht für die wirtschaftlich schwierige Lage vieler Apotheken verantwortlich gemacht werden. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten betreffen insbesondere städtische Kreise (5.200 von 7.600 Apotheken) und stehen damit nicht in direktem Zusammenhang mit einer flächendeckenden Versorgung. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind vor diesem Hintergrund weder durch das Verbot des Versandhandels noch durch die allgemeine Vergütung über die AMPreisV zu beheben.“
„Die AMPreisV sollte jedoch dem Standard einer kostendeckenden Vergütung entsprechen. Ergänzend wird empfohlen, im Rahmen möglicher Reformen der AMPreisV, für die flächendeckende Versorgungrelevante Apotheken zu identifizieren und diese gezielt zu unterstützen, z. B. über einen Strukturfonds in Höhe von ca. 100 Mio. €.“
„Anhand der vorliegenden Daten mit Stand 2015 gibt es in ländlichen Kreisen ca. 700 stark gefährdete und weitere 1.600 gefährdete Apotheken, die zusätzlich hinsichtlich ihrer Bedeutung für die flächendeckende Versorgung und auf eine mögliche Führung als Zweigapotheke zu überprüfen wären. Dafür sollten neben der Einrichtung eines Strukturfonds Maßnahmen zur Implementierung bzw. finanziellen Unterstützung im Rahmen von Zweig- und Notapotheken bereits vor Schließung von Apothekenstandorten untersucht werden.“

Die FAZ befürchtet, dass jede zweite Apotheke aufhört

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) geht in einem Artikel gar von der Vernichtung von 50 Prozent der Apotheken aus. Das bedeutet gleichzeitig den Verlust von mehr als 70.000 qualifizierten, frauenfreundlichen Arbeitsplätzen.

Dieser Kahlschlag führt konsequenterweise zu dem Schluss, dass der Versandhandel zukünftig unverzichtbar wird. Inwieweit die ausländischen Versandapotheken mit schweizerischen und saudi-arabischen Investoren an dem Gutachten mitgewirkt haben, entzieht sich der Kenntnis der Freien Apothekerschaft. Die guten Kontakte zum Bundesministerium und ihrer Ministerin sowie die Begehrlichkeiten der ausländischen Aktiengesellschaften am deutschen Arzneimittelmarkt sind hinlänglich bekannt.

Apotheken vor Ort versorgen die Menschen, Versandhandel kann nur liefern

Leider konnte die sogenannte Standesvertretung ABDA bis heute anscheinend vielen Politikern nicht den Unterschied begreiflich machen, dass Apotheken vor Ort „versorgen“, der Versandhandel aber nur „liefern“ kann, schreibt die Freie Apothekerschaft.

Ebenso haben viele Abgeordnete nicht verstanden, dass dem verschreibungspflichtigen Arzneimittel zur Sicherung der Versorgung der Bevölkerung ein einheitlicher Abgabepreis zugrunde liegen muss. Auch dieser wird seit Oktober 2016 durch ausländische Versandapotheken ohne Konsequenzen durch das Parlament unterlaufen.

Ob GroKo oder KoKo: Die Bundeskanzlerin muss endlich ein deutliches Zeichen setzen“, fordert die Freie Apothekerschaft.

Anfang 2018 wird der Bundesverband eine Unterschriftenaktion in allen deutschen Apotheken starten. Ziel ist, die täglich drei Millionen Apothekenkunden über die Vorhaben des Bundesministeriums zu informieren und festzustellen, wie die Bürger drastische Einschnitte der Politik bei der Versorgung durch die Apotheken bewerten. (ks)



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