FDP: Sind Lindners Tage gezählt? Sondersitzung soll über Zukunft als Parteichef entscheiden

Zwei Tage nach der Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten in Thüringen mit den Stimmen der AfD will Bundesparteichef Lindner im Parteivorstand die Vertrauensfrage stellen. Personelle Alternativen sind jedoch nicht in Sicht.
Von 7. Februar 2020

Der heutige Freitag (7.2.) könnte sich als ein Tag der Entscheidung für die FDP bereits mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr erweisen. Zwar gilt dies weniger für den am Mittwoch in Thüringen gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich. Diesem will nach einem Bericht der „Welt“ nun auch CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer Zeit lassen, um eine parlamentarische Lösung der Krise im Freistaat ohne Neuwahlen zu finden.

Im Fall von FDP-Bundeschef Christian Lindner könnte es jedoch Überraschungen geben. Er will in der heutigen Sondersitzung des Parteivorstandes die Vertrauensfrage stellen. Die Führung der FDP müsse, so Lindner zur „Welt“, nach den Ereignissen in Thüringen „neu legitimiert werden“. Er habe die Sitzung einberufen, um sich im Vorstand „des Rückhalts zu versichern“. Er betonte in diesem Zusammenhang, für eine „Politik der Mitte“ zu stehen und eine „Brandmauer nach ganz rechts“.

Lindner will Kemmerichs Kandidatur als rein symbolische aufgefasst haben

Auch die Kandidatur Kemmerichs sei als „Symbol für die Politik der Mitte“ gedacht gewesen. Er, Lindner, habe „nicht erkannt, dass Kemmerich tatsächlich beabsichtigt hätte, gewählt zu werden“. Der „Business Insider“ hingegen hatte berichtet, dass der FDP-Chef im Vorfeld auch die Annahme einer Wahl des FDP-Kandidaten mit den Stimmen der AfD abgesegnet hätte.

Dass Lindner die heutige Sitzung nicht mehr als FDP-Bundesvorsitzender verlassen wird, ist nicht auszuschließen, wenn die Wahrscheinlichkeit auch nicht hoch zu veranschlagen sein dürfte. Eine kurzfristige personelle Alternative zeichnet sich nicht ab und es ist ungewiss, ob eine FDP ohne Lindner eher in der Lage wäre, sich eine gute Ausgangsposition für 2021 zu erarbeiten.

Die Ära Lindner ist bis dato keine, die sich gemessen an den selbst gesetzten Zielen als eine für die Liberalen erfolglose bezeichnen ließe. Die Latte war zwar nicht hoch gesetzt – als Lindner 2013 die Partei übernahm, war sie erstmals in ihrer Geschichte aus dem Bundestag geflogen. Und die FDP kam auch nicht einmal annähernd noch auf die zweistelligen Ergebnisse der Ära Westerwelle, als die Liberalen – auch mangels einer parteipolitischen Alternative rechts der Union – noch die Funktion einer Protestpartei eingenommen hatten.

FDP mit einem Mal im Visier der extremen Linken

Dennoch landete man dort, wo man hinwollte. Thorsten Jungholt stellt in der „Welt“ fest:

[…] das noch in der Apo formulierte Ziel, eine sichere Kernwählerschaft von sieben bis acht Prozent an die Partei zu binden und auf dieser Basis zweistellige Wahlergebnisse zu ermöglichen, dieses Ziel wurde erreicht – bei allen Holpereien in den für die Partei traditionell volatilen Regionen in Ostdeutschland oder dem Saarland.“

Die überraschende Wahl eines FDP-Kandidaten zum thüringischen Ministerpräsidenten war offenbar zumindest auch noch im ersten Moment von der Parteiführung als Chance gesehen worden, eine neue Form des Regierens auszutesten. Noch am Tag der Wahl Kemmerichs freuten sich führende Persönlichkeiten der Partei bis hinauf zu Lindner und seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki über einen „Sieg der Mitte“.

Als sich abzeichnete, dass die durch die Stimmen der AfD unter Führung ihres rechtsnationalen Landeschefs Björn Höcke ermöglichte Entscheidung binnen kürzester Zeit auch die Liberalen unter „Nazi“-Verdacht inklusive Drohungen, Einschüchterungen und Übergriffen der linksextremen Gewaltszene stellen würde, begann sich jedoch auch in der FDP-Führung die Tonlage zu verändern.

Tiefe Gräben zwischen westdeutsch dominierten Bundesvorständen und ostdeutschen Landesverbänden

Fortan lautete der Narrativ, Kemmerichs Kandidatur habe lediglich symbolischen Wert gehabt – und die AfD habe die bürgerlichen Demokraten „ausgetrickst“. Geglaubt wird diese Darstellung auf der Linken kaum. Zumal die FDP dort schon seit ihrer Weigerung, 2017 eine Jamaika-Koalition unter Führung Angela Merkels und der Grünen zu ermöglichen, entscheidende Punkte verspielt hat.

In der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) diagnostiziert Deutschlandkorrespondent Hansjörg Müller einen zunehmenden Ost-West-Konflikt innerhalb des bürgerlichen Lagers. Diesem liege nicht nur zugrunde, dass die Wählerschaft von Union und FDP im Osten deutlich konservativer ausgerichtet sei als im Westen.

Zudem habe man im Osten eine andere Sichtweise auf die Linkspartei. Diese werde im Westen und in den westdeutsch dominierten Parteiführungen längst als „normale, demokratische Partei“ betrachtet – ungeachtet des Beharrens ihrer Funktionäre auf einer „Überwindung des Kapitalismus“ und eines recht entspannten Verhältnisses auch zu gewaltbereiten Linksextremisten.

Dies, so Müller, finde in den neuen Bundesländern nicht in dieser Form statt:

„Im Osten, wo sich viele noch daran erinnern, welche Rolle die Vorgängerpartei der Linken in der DDR spielte, fällt die Antwort anders aus. Hier verbietet sich für CDU und FDP sowohl ein Zusammengehen mit dem rechten als auch mit dem linken Rand. Belehrungen aus dem Westen, etwa durch den schleswig-holsteinischen CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther, der zu Koalitionen mit der SED-Nachfolgepartei rät, kommen in Erfurt oder Dresden schlecht an.“

Torsten Krauel: „FDP läuft weg, wenn es brenzlig wird“

Unabhängig davon, ob die Landeschefs von Union und FDP in Thüringen sich nun zurückziehen, rechnet Müller damit, dass sich die Gräben zwischen den Berliner Parteizentralen und den ostdeutschen Landesverbänden künftig noch vertiefen würden.

Einen Wechsel an der Parteispitze der FDP hält Torsten Krauel in der „Welt“ für unumgänglich. Lindner, so der Chefkommentator, müsse jetzt zurücktreten, denn: „Der FDP-Vorsitzende ist binnen zweieinhalb Jahren zum zweiten Mal vor einer Situation weggelaufen, die er selber mit herbeigeführt hat.“

Sowohl das Agieren im Zuge der Koalitionsverhandlungen als auch das Flip-Flopping jetzt um den gewählten Ministerpräsidenten in Thüringen erwecke den Eindruck, die FDP laufe weg, wenn es brenzlig werde. Wenn Lindner jetzt noch im Amt bleibe, sei ein schlechtes Ergebnis der Liberalen im nächsten Jahr vorgezeichnet:

„Christian Lindner hat lange gebraucht, um zu erkennen, welcher Fehler es gewesen ist, 2017 einfach hinzuwerfen. Als Parteichef a.D. kann er darüber nachdenken, welcher Fehler es war, genauso unüberlegt die AfD in eine günstige Startposition gebracht zu haben und es dann nicht gewesen sein zu wollen. Die FDP will bei der Bundestagswahl 2021 als glaubwürdige Kraft jenseits von AfD und Union antreten? Dafür ist Lindners Rücktritt die notwendige Bedingung und die zwingende Konsequenz des neunmalklugen Manövers von Erfurt.“



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