Forsa: Grüne haben Wählerpotenzial von 38 Prozent – aber nicht das Zeug zur Volkspartei

Dass die Grünen bis heute den Anspruch erheben, eine grundlegend andere Gesellschaft anzustreben, hindert 38 Prozent der Bevölkerung nicht daran, sie für wählbar zu halten. Offen bleibt, ob die jüngste Enteignungsdebatte der Partei kurzfristig schadet – wie 2013 jene über die Pädophilie.
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Robert Habeck und Annalena Baerbock, die Parteichefs der Grünen.Foto: Jens Schlueter/Getty Images
Von 9. April 2019

Für die Grünen begann die Vorwoche mit einer guten Nachricht. Wie das Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des RTL/ntv-Trendbarometers ermittelte, ist das Wählerpotenzial der Ökosozialisten mit 38 Prozent mittlerweile genauso groß wie das der CDU.

Während die Union in den Jahren der Merkel-Ära lange Zeit erfolgreich darauf setzte, weltanschauliche Kanten abzuschleifen und von der Angst bürgerlicher Wähler vor einem möglichen rot-rot-grünen Experiment zu profitieren, waren und blieben die Grünen eine Partei, die von ihren zentralen ideologischen Vorstellungen keinen Millimeter abwich – sondern allenfalls stilistische Korrekturen vornahm.

Die Grünen scheinen darauf gesetzt zu haben, dass ihr faktisches Vermögen, Druck aufzubauen, die bürgerliche Mitte in ihre Richtung ziehen würde, während diese ihrerseits darauf vertraut hatte, dass ihr Integrationsvermögen die Grünen dazu bringen würde, ihre Kanten abzuschleifen. Wie es aussieht, haben die Grünen hoch gepokert und gewonnen.

„Diese Welt gehört uns“

Auch an die Substanz eines freiheitlichen Systems rührende Forderungen wie die nach einer Enteignung von Wohnungseigentum oder einer vollständigen Reorganisation der Automobilindustrie und der individuellen Mobilität, notfalls mithilfe staatlicher Zwangsmaßnahmen, schaden ihnen in bürgerlichen Kreisen nicht.

Der Staat, als wenn nötig, brachialer Problemlöser im Dienste des moralisch Guten: Diese Vorstellung scheint – Selbstverständnis als „liberale Demokratie“ hin oder her – in erheblichen Teilen der deutschen Bevölkerung als Normalität wahrgenommen zu werden. Ob es um „Mietspekulanten“ geht, um die Rettung des Planeten vor der „menschengemachten Erderhitzung“ oder um den „Kampf gegen rechts“: Es gibt eben Bereiche, da ist einfach auch mal die autoritäre Lösung gefordert. Und wenn die Gesetze diese nicht hergeben, gilt eben, was Katrin Göring-Eckardt jüngst der Grünen Jugend zugerufen hat:

Wenn wir mutig sind und auch mal die Regeln brechen, dann können wir zeigen: Diese Welt gehört uns und nicht denen die Sitzen- und stehen bleiben.“

Auch das weitgehende Fehlen medialen Gegenwindes und eine breite Rückendeckung in Institutionen wie Schulen, Kirchen oder Universitäten dürften den Grünen dabei geholfen haben, der SPD als Führungsmacht auf der Linken den Rang abzulaufen und gleichzeitig bis tief ins CDU-Milieu hinein als wählbar zu erscheinen.

Immerhin hat die Union Wahlforschern zufolge vier Mal so viele Wähler an die Grünen verloren als an die AfD. Allensbach zufolge wünschen sich sogar mehr Anhänger der Union (36 Prozent) ein schwarz-grünes Bündnis als solche der Grünen (25 Prozent).

Oberschichtphänomen ohne Anschlussfähigkeit

Hatte die Große Koalition bislang verhindert, dass die Grünen nach dem Ende der Ära Schröder wieder Teil einer Regierung im Bund werden, scheint derzeit kein Weg mehr an einer schwarz-grünen Zukunft nach dem Ende der aktuellen Legislaturperiode vorbeizuführen – und glaubt man den Meinungsforschern von Forsa, würde dies auch die Koalition jener Parteien entsprechen, die den größten potenziellen Rückhalt in der Bevölkerung aufweisen.

Der „Focus“ hat dennoch eine schlechte Nachricht für Robert Habeck & Co.: Zwar sind die Bekenntnisfreude und die Identifikation des grünen Zielpublikums – urban, bildungsbürgerlich, weiblich, jung, westdeutsch, Besserverdiener – ungebrochen hoch. Dies hatte bislang auch oft zur Folge, dass die Grünen sich als „Umfrageweltmeister“ erwiesen und bei den Wahlen selbst unter den prognostizierten Werten blieben.

Das allein wäre noch nicht das Problem. Dieses ist vielmehr, dass es abseits dieses öffentlich präsenten, vernehmlichen, gut situierten und einflussreichen Publikums nicht viel mehr gibt, was sich von den Grünen angesprochen fühlt. Dies wäre aber erforderlich, um wirklich zu einer Volkspartei werden zu können.

Zwar haben die Grünen Forsa zufolge seit der Bundestagswahl auch unter männlichen Wählern, Senioren und Wählern, die sich selbst eher als „Mitte“ denn als „links“ bezeichnen, dazugewonnen. Bei Ostdeutschen, Personen mit Hauptschulabschluss, Arbeitern und Geringverdienern kommen die Grünen jedoch insgesamt immer noch so gut wie nicht vor, wie auch Forsa-Chef Manfred Güllner einräumt, und der Lifestyle, für den die Partei steht, wirkt auf diese auch nicht anziehend. Völlig unerreichbar für die Grünen sind bislang das AfD-Wählermilieu und der rechte Rand der Union.

Auf den letzten Metern ging die Luft aus

Auch eine jüngst veröffentlichte Umfrage im Auftrag der „Leipziger Volkszeitung“, welche für die Grünen 16 Prozent in Sachsen auswies, was ein absoluter Durchbruch im Osten wäre, scheint ein falscher Alarm gewesen zu sein. Vor wenigen präsentierte INSA eine, die sowohl für die SPD als auch für die Grünen dort lediglich neun Prozent auswies – und in Thüringen und Brandenburg, wo ebenfalls im Herbst gewählt wird, liegt die Partei auch nicht höher. Zweistellig dürfte es dort jeweils nur in den Großstädten werden.

Im Vorfeld bundesweiter Wahlen der letzten zehn Jahre haben die Grünen auf den letzten Metern stets deutlich an Rückhalt verloren, nachdem sich auch Union, FDP und Medien wie „Bild“ kritischer gegenüber der Partei geäußert hatten. Was im Jahr 2013 vor der Bundestagswahl die den Grünen höchst unwillkommene Pädophilie-Debatte war, war 2017 die Stigmatisierung als „Verbotspartei“.

Nun könnte auch die Aussage Habecks gegenüber der „Welt am Sonntag“, man solle „Enteignungen als letztes Mittel im Kampf gegen die Wohnungsnot“ nicht ausschließen, zu einem potenziellen Eigentor werden. Zumindest könnte das Thema „Enteignung“ dazu beitragen, bisherige Unionswähler, die eigentlich ihre Hemmungen, Grün zu wählen, fast oder gänzlich überwunden hatten, doch noch an einem Wechsel zu hindern.

Dramaturg Klaus-Rüdiger Mai wundert sich ohnehin schon lange, wie bürgerliche Wähler überhaupt in so großen Mengen auf den Gedanken kommen, die Grünen wären eine naheliegende Option, der man seine Interessen anvertrauen könnte.

Grünes Europaprogramm: Nationalstaat abschaffen – bis auf das Finanzamt

Auf „Tichys Einblick“ kommentierte er jüngst die Inhalte des grünen Europawahlprogramms und attestierte ihnen, eine „Partei gegen alle Deutschen mit oder ohne Migrationshintergrund“ zu sein. Ihre Politik richte sich im Endeffekt gegen alle Bürger, denn sie wollen „nur so viel Deutschland erhalten, wie notwendig ist, um den deutschen Steuerzahler noch stärker zu schröpfen“.

„Deshalb kämpft man einerseits für den Brüsseler Zentralstaat, spricht sich aber anderseits nicht für die vollständige Abschaffung des Nationalstaates aus, denn das Finanzamt muss bleiben. Die Arbeitsteilung, die den Grünen vorschwebt, zeigt sich hinter tönenden Phrasen schlicht und brutal darin, dass man national die Steuern eingetrieben wissen möchte, aber über ihre Verwendung in Brüssel und Straßburg entschieden werden soll.“

Dazu käme eine Transferunion mit einem immer stärker ausgeweiteten Apparat der Sozialbürokratie, den eine europaweite Arbeitslosenversicherung nach sich ziehen würde, und knallharte Klientelpolitik zu Gunsten von NGOs, Migrantenverbänden und Subventionsempfängern im Bereich der „Energiewende“. Ein weiterer grüner Kernpunkt wäre die Schaffung einer identitätspolitischen Opferhierarchie, deren Spitze auf Privilegierung durch zwingende Quotenregelungen hoffen dürfte, während am unteren Ende jeder auch nur leise artikulierte Vorbehalt gegen die Gesamtsituation mit der „Rassismus“-Keule niedergestreckt würde.

Die Grünen, so Mai, blieben ungeachtet aller stilistischen Variationen eine Ideologiepartei und ein „Dekadenzphänomen“.

Die bürgerlichen Parteien müssten endlich begreifen, dass

die Grünen nicht der politische Freund, sondern der politische Gegner sind, wenn sie denn bürgerliche Parteien sein wollen, Parteien der Mitte, die politisch unsere Gesellschaft stabilisieren, und nicht die Exekutive einer Partei, die nie erwachsen geworden ist“.

Denn nicht „der Mensch in seiner Würde und Freiheit“ stehe im Mittelpunkt der Grünen Politik, sondern der Mensch als zu bewachendes und ständig zu erziehendes Risiko.



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