Fragen und Antworten: Jein zu „sicheren Herkunftsstaaten“

Der Gesetzgeber kann einen Staat per Gesetz als „sicher“ erklären, wenn „gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ haben in der Regel kein Recht auf Asyl.
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Flüchtlinge aus Marokko, Libyen, Pakistan, Sri Lanka und dem Sudan auf der Balkanroute.Foto: DIMITAR DILKOFF/Getty Images
Epoch Times11. Juni 2016
Die Liste wird immer länger. Die Bundesregierung stuft nach und nach neue Staaten als „sicher“ ein. Erst sechs Balkan-Länder, nun sollen drei nordafrikanische Staaten dazukommen: Algerien, Marokko und Tunesien. Die Betonung liegt auf „sollen“.

Denn das Vorhaben, über das der Bundesrat am Freitag in einer Woche entscheiden soll, steht auf der Kippe. Das Konstrukt der „sicheren Herkunftsländer“ ist hoch umstritten. Und die Grünen, die einige Macht in der Länderkammer haben, stellen sich quer.

Was soll eine solche Einstufung überhaupt bringen?

Der Gesetzgeber kann einen Staat per Gesetz als „sicher“ erklären, wenn „gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ haben in der Regel kein Recht auf Asyl. Ziel der Einstufung ist, Asylbewerber von dort schneller zurück in die Heimat zu schicken. Die Beschleunigung der Verfahren hält sich in der Praxis aber in Grenzen. Es geht mehr um ein Signal in die jeweiligen Staaten und ihre Menschen, dass es sich nicht lohnt, nach Deutschland zu kommen. Allerdings ist die Wirkung umstritten. Noch dazu ist die Zahl der Asylbewerber aus den drei nordafrikanischen Staaten in Deutschland nicht übermäßig groß.

Wieso können die Grünen das Vorhaben blockieren?

Der Bundesrat muss zustimmen. Und dort haben die Grünen einiges zu melden. Für eine absolute Mehrheit in der Länderkammer sind 35 der insgesamt 69 Stimmen nötig. Die von Union und SPD regierten Länder kommen zusammen auf nur 20 Stimmen. Das heißt, sie brauchen Unterstützung von mindestens drei anderen Ländern, vielleicht auch mehr – je nach deren Größe und Stimmengewicht. Die Grünen sind derzeit an 10 der 16 Landesregierungen beteiligt. Zusammen verfügen diese Länder im Bundesrat über 45 Stimmen – allein das grün-schwarz regierte Baden-Württemberg hat sechs Stimmen.

Und wie stehen die Chancen nun?

Rein rechnerisch wären weitere potenzielle „Mehrheitsbeschaffer“ Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein oder Thüringen. Aber mehrere dieser grün-mitregierten Länder haben schon ein Nein in Aussicht gestellt: Schleswig-Holstein, NRW oder Bremen etwa. Bei anderen ist eine Enthaltung wahrscheinlich – und die wird im Bundesrat als Nein gewertet. Aber mehrere Länder mit Grünen an der Macht halten sich die Entscheidung noch offen, wie Baden-Württemberg, Hessen oder Rheinland-Pfalz. Die drei zum Beispiel würden 15 Stimmen bringen – also gerade genug für die nötige Mehrheit, zusammen mit den Stimmen von Union und SPD. Aber weil es sich bei den Grünen um ein Reizthema handelt, ist fraglich, ob eine Mehrheit zustande kommt.

Warum haben die Grünen solche Probleme damit?

Sie sehen Defizite bei der Rechtsstaatlichkeit in den Maghreb-Staaten und kritisieren, dass Grundrechte verletzt und Bevölkerungsgruppen diskriminiert werden. Auch Menschenrechtsorganisationen beklagen, es gebe in den Staaten keine freie Presse, Minderheiten und Regierungskritiker würden verfolgt. Die Grünen stören sich vor allem daran, dass Homosexualität dort strafbar ist. Es gehört außerdem zu den Grundfesten der Grünen, sich für Flüchtlinge einzusetzen. Gerade die Bundespartei stemmt sich mit aller Kraft gegen das Vorhaben und bedrängt die grünen Kollegen in den Ländern, Nein zu sagen.

Und Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs grüner Regierungschef?

Auch er hat Bedenken angesichts der Lage in den drei Staaten. Noch dazu hält er das Konzept der „sicheren Herkunftsländer“ für nicht transparent genug – und die Wirkung für überschätzt. Allerdings schließt Kretschmann, der seit wenigen Wochen mit der CDU regiert, eine Zustimmung auch nicht aus. Die CDU will ein Ja im Bundesrat. Kretschmann steckt im Dilemma: Mit seinem Votum für weitere „sichere Herkunftsländer“ brächte er die Bundes-Grünen gegen sich auf. Ein Nein wiederum könnte die noch frische Koalition beschädigen.

Wieso schauen alle auf Kretschmann? Die Entscheidung hängt schließlich nicht an ihm allein.

Baden-Württemberg hat von den grün-mitregierten Ländern die meisten Stimmen im Bundesrat. Und 2014 hatte der damals grün-rot regierte Südwesten in der Länderkammer schon einmal eine Mehrheit für das Vorhaben der Bundesregierung beschafft, Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sicher“ einzustufen. Kretschmann entschied sich damals im Alleingang für ein Ja – und brachte damit viele Grüne gegen sich auf. Kretschmann handelte damals im Gegenzug allerdings einige Verbesserungen für Asylbewerber heraus. Außerdem war den Grünen schon damals klar, dass sie von seinen hohen Beliebtheitswerten profitieren. Diese könnten für Kretschmann auch jetzt die Ansatzpunkte sein, um heile aus der Nummer herauszukommen – sofern sein Land zustimmt und weitere mitmachen.

(dpa)

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