„Früher war eigentlich viel mehr los“

Die Epoch Times im Gespräch mit Fanforscher Dieter Bott - "Die ganze Ausdrucksfähigkeit in den Fankurven mit ihren Gesängen und Transparenten kommt nicht mehr zum Tragen."
Titelbild
Kritische Argumente von Bott (l.) während einer Podiumsdiskussion in Mönchengladbach.Foto: Steffen Andritzke/The Epoch Times
Von 6. März 2010

In den letzten Monaten kam es wiederholt zu Fehlverhalten einiger weniger Fußballfans in den verschiedensten deutschen Stadien und vor allem scheint das unerlaubte, unkontrollierte Abbrennen von Pyrotechnik zugenommen zu haben.

Das wurde von verschiedenen Medien aufgegriffen und dem unkundigen Konsumenten als “Ausschreitungen” verkauft.

Nicht nur die Fans beklagen die teilweise undifferenzierte Darstellung der Straftaten einiger weniger Unbelehrbarer, auch immer mehr Soziologen und Fanexperten versuchen auf Missstände in den Medien oder bei der Polizei im Umgang mit Fans aufmerksam zu machen.

Die Epoch Times sprach mit dem Fansoziologen Dieter Bott, der einer der führenden Experten in Sachen Fanarbeit in Deutschland ist, und der unter anderem die Fanprojekte in Frankfurt, Duisburg und Düsseldorf mit begründete.

Epoch Times: Herr Bott, die Fans beklagen sich in letzter Zeit immer mehr über Repressionen durch die Polizei oder eine undifferenzierte Berichterstattung. Haben die Fans da überhaupt Recht oder wollen sie nur von ihrem Verhalten ablenken?

Dieter Bott: Natürlich gibt es Übergriffe und Schikanen der Polizei. Aber das wird ja mittlerweile auch alles dokumentiert und gesammelt. Es gab in letzter Zeit zum Beispiel in Düsseldorf Fehleinsätze der Polizei, sodass sich sogar ”normale” Bürger darüber beschwert haben. Auch Rechtsanwälte setzen sich mittlerweile für die Interessen der Kurven ein, denn Fußballfans sind ja nun mal per se keine Verbrecher.

Es ist zum Teil unvorstellbar, dass trotz der szenekundigen Beamten – die ja eigentlich kundig sind und eigentlich ja auch eine ziemlich genaue Übersicht über die Szene haben – ziemlich viel Fehlplanung noch bei der Polizei geschieht. Das ist eigentlich nicht zulässig und auch ich als Steuerzahler muss da eigentlich sagen: so geht das nicht.

Zwar ist das Ansehen der Fußballfans in der Gesellschaft insgesamt gewachsen – zur Zeit wirbt ja sogar eine Zigarettenmarke mit Fans im Hintergrund – aber es ist nach wie vor so, dass sie und das gesamte Fußballmilieu diffamiert werden. Es ist auch keine freie Meinung möglich, da die ja bereits im Vorfeld schon wegzensiert wird.

Ich möchte sagen, was die Schikane angeht, die Repressionen und die Kontrollen – da müssen die Fans manchmal über eine halbe Stunde im Block hocken, bevor sie überhaupt nach Hause dürfen – also der ganze Apparat der Sicherheit ist in einer Art und Weise organisiert, dass das Vergnügen der Fans am Fußball in sehr vielen Fällen sehr eingeschränkt und geschmälert wird.

Selbstverständlich hätte man ja nun auch die Möglichkeit, als Fußballfan gegen Urteile, die ergangen sind, Einspruch einzulegen oder in die nächste Instanz zu gehen. Aber noch immer ist man vor dem Richter, wenn Polizisten gegen einen aussagen, der Gelackmeierte. Und deswegen tun das viele Fußballfans auch nicht. Meiner Meinung nach müssten die Fanprojekte die Fans darin bestärken, dass sie das Recht auch bekommen, das ihnen eigentlich auch zusteht.

Epoch Times: Sie sind jetzt schon über 30 Jahre als Fanforscher tätig. Hat die Gewalt nach Ihren Beobachtungen in den letzten 30 Jahren zugenommen oder abgenommen?

Fanforscher Dieter Bott (r.) im Austausch mit dem Fanbeauftragten von Borussia Mönchengladbach, Thomas Weinmann.Fanforscher Dieter Bott (r.) im Austausch mit dem Fanbeauftragten von Borussia Mönchengladbach, Thomas Weinmann.Foto: Steffen Andritzke/The Epoch Times

Bott: Wenn ich mich mit älteren Leuten austausche, heißt es allgemein immer – und das ist eben nicht nur mein Eindruck – dass früher eigentlich viel mehr los war. Heute wird aus jedem lauen Lüftchen ein Donnerschlag gemacht oder ein bißchen Fackelei, was ich keinesfalls verharmlosen will, wird dann gleich zu einem riesigen Feuerwerk aufgeblasen. Außerdem, die Zulässigkeit dessen, was auch jugendlicher Begeisterungsfähigkeit zugestanden wird, ist absolut gering geworden. Das war früher viel schlimmer und es ist viel weniger eingegriffen worden. Das heißt aber nicht, das es deshalb besser war. Heute wird in vielen Fällen viel zu früh und viel zu schlecht eingegriffen.

Epoch Times: Sie sagten gerade, es wäre keine freie Meinungsäußerung möglich. Wie findet diese zunehmende Zensur durch die Vereine ihren Ausdruck?

Bott: Die Ultras oder die Fanclubs müssen, bevor sie ins Stadion gehen, erst einmal ihre Transparente vorlegen und dann wird geschaut, was da eigentlich draufsteht. Dann wird eben oft auch gesagt: ”Diese Dinge wollen wir hier nicht haben”.

Nehmen wir die brisantesten Geschichten gegen Herrn Hopp – wie wird damit umgegangen? Wenn einer das hoch hebt um seine Meinung zum Ausdruck zu bringen, muss er damit rechnen, dass, wenn sich Herr Hopp beleidigt oder gekränkt fühlt, er eine Anzeige bekommt. Dann wird das vor Gericht ausgetragen, ob das eine zulässige Form der Meinungsäußerung ist oder nicht.

Unter dem Gesichtspunkt des Hausrechts wird im Moment so viel kreative Fankultur kaputt gemacht und im vorauseilenden Gehorsam Zensur geübt … da müsste doch eigentlich eine Freiheit existieren, damit sich die jungen Leute, die das machen, auch mal den Mund verbrennen können. Die würden vielleicht auch mal zu weit gehen, aber die müssen das doch lernen.

Es gibt auch Humor als eine anerkannte Größe – den müsste man doch zum Ausdruck bringen können. Nur dann ist eine Fankurve lebendig. Jedoch gerade in diesem Punkt machen die meisten Vereine sehr früh “dicht” und greifen ein. Die müssten eigentlich auch mal das Risiko eingehen, dass die Fans Transparente hochhalten, die durchaus auch einmal fragwürdig sind. Das ist doch ein Lernprozess, aber man kann meiner Meinung nach keine Vorzensur machen. Das erinnert mich an meine Arbeit bei unserer Schülerzeitung, als ein sogenannter ”Vertrauenslehrer” auch immer Zensur ausgeübt hat.

Epoch Times: Sie haben unlängst gesagt: ”Die falschen Leute haben den Fußball in ihre Krallen bekommen.” Wie ist das gemeint?

Bott: Wenn man sich die soziologische Schicht einmal anschaut, die dominant ist und als kleine Sponsoren auftreten, dann ist summarisch geredet der Unterschied zwischen zum Beispiel Bremen, München und Mönchengladbach so groß gar nicht. Das heißt dieser Typus, der mit seinem Durchschnittsgeschmack an Musik, die dann da so läuft …..und was es da noch so alles gibt; dass dieser Typus eigentlich 80 Prozent derer, die zum Fußball gehen, in eine gewisse Leidenskrise stürzt. Wo du hinguckst, von der Musik bis zum Stadionsprecher … da sind Defizite ohne Ende. Ich will schon gar nicht vom Journalismus reden, der das Ganze in dieser Form begleitet oder auch die Wissenschaftler. … das ist zum Teil Öderie und Langeweile.

Dagegen kommt die ganze Ausdrucksfähigkeit in den Fankurven mit ihren Gesängen, Transparenten und ihrer ganzen Artikulationsweise usw. – die kommt nicht zum Tragen.

Epoch Times: Sie haben nun 30 Jahre lang Fußballfans betreut und erforscht – wagen Sie auch einen Ausblick, wie die Situation in den nächsten Jahren im Fußball sein wird?

Bott: Bei Analysen soziologischer Art muss man immer vom Schlimmsten ausgehen. Wenn man dann ein Szenarium entworfen hat, würde man sehen, dass noch mehr Eventisierung, dass noch mehr Repressionen, noch mehr Kontrolle und noch mehr Unterdrückung kommen würden. Diese Tendenz könnte sich verstärken. Wenn man dann diese negativen Visionen hat, könnte man sagen, dass wir alle das aber gar nicht wollen. Und dann kann man sich ja überlegen, was die Vereine, die Fanprojekte, die Polizei und die Presse dazu tun können, damit dieses Szenario nicht eintrifft.

Epoch Times: Vielen Dank, Herr Bott.

Das Interview führte Steffen Andritzke

 



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