Gabriels knallharte Analyse: SPD verdrängt wahre Gründe ihrer Wahlniederlage

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat seiner Partei vorgeworfen, die wahren Gründe für die Niederlage bei der Bundestagswahl zu verdrängen: "Die Behauptung, die späte Benennung des Kandidaten sei ein Fehler gewesen, ist aus meiner Sicht nur eine Ausrede, um sich mit den wirklichen Gründen für die Wahlniederlage nicht beschäftigen zu müssen", so Gabriel.
Epoch Times2. November 2017

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat mit der Wahlkampfstrategie seiner Partei abgerechnet. Als einen zentralen Grund für die Niederlage bei der Bundestagswahl nannte Gabriel in einem Interview mit der „Zeit“ die Fixierung auf das Thema soziale Gerechtigkeit. Ein weiterer Fehler sei es gewesen, die Sorgen der Menschen vor Zuwanderung nicht offen anzusprechen. Die SPD habe dies versäumt – aus „panischer Angst“, damit der AfD zu nutzen.

Die Sozialdemokraten hatten bei der Bundestagswahl am 24. September mit 20,5 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik eingefahren. Gabriel hatte Anfang des Jahres vor dem Hintergrund schlechter Umfragewerte den Parteivorsitz an Martin Schulz abgegeben, der die SPD dann als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf führte. Der scheidende Außenminister übte in den am Mittwoch veröffentlichten Interviewauszügen keine direkte Kritik an seinem Nachfolger, seine Äußerungen lassen sich aber in diese Richtung verstehen.

Gabriel wirft seiner Partei vor, die wahren Gründe für die Niederlage zu verdrängen. „Die Behauptung, die späte Benennung des Kandidaten sei ein Fehler gewesen, ist aus meiner Sicht nur eine Ausrede, um sich mit den wirklichen Gründen für die Wahlniederlage nicht beschäftigen zu müssen“, sagte er.

Eine Fehlentscheidung sei etwa der Wahlkampfslogan „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ gewesen. Dieser zeige „geradezu sinnbildlich, dass die SPD immer noch nach innen blickt, auf eine schwärende Wunde: die Sozialreformen der Agenda 2010 unter Gerhard Schröder“, sagte der frühere Parteichef. „Das aber war nicht das Problem der Mehrheit der Wähler, sondern ein Problem der Innensicht der SPD.“

Wähler schauten lieber in die Zukunft, sagte Gabriel der „Zeit“. „Ihre Fragen nach Sicherheit, der Bewältigung der Digitalisierung und auch die Zerrissenheit vieler Menschen in der Flüchtlingsfrage sind von uns nicht mit einem optimistischen Zukunftsentwurf beantwortet worden.“ Auch nach der Wahlniederlage trauten sich große Teile der SPD nicht, offen über das Thema Zuwanderung zu sprechen. „Stattdessen werden irgendwelche Nebensächlichkeiten des Wahlkampfes diskutiert.“

Die Sozialdemokraten wollen als Konsequenz aus der Niederlage in die Opposition gehen. Gabriel ist als Außenminister noch geschäftsführend im Amt, bis eine neue Bundesregierung übernimmt. Danach ist er einfacher Bundestagsabgeordneter. Im „Zeit“-Interview kündigte er an, seiner Partei künftig als „Wasserträger“ dienen zu wollen. „Ich will versuchen, mit Patenschaften neue SPD-Ortsvereine dort zu gründen, wo es die SPD gar nicht mehr gibt. In Ostdeutschland etwa.“

Die Sozialdemokraten diskutieren derzeit über eine inhaltliche, organisatorische und personelle Erneuerung. Bis zum Parteitag Anfang Dezember will Parteichef Schulz auf insgesamt acht Regionalkonferenzen mit der Basis in einen Dialog treten.

SPD-Vize Olaf Scholz hatte vergangene Woche ein Diskussionspapier vorgelegt, das als Kritik an Schulz gedeutet wurde. Wie nun Gabriel hatte Scholz hatte die Sozialdemokraten aufgerufen, nicht länger „Ausflüchte“ zu suchen, sondern sich den „strukturellen Problemen“ ihrer Partei zu stellen. (afp)



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