Gedanken zum 9. November

Titelbild
Mauerreste in Teltow bei Berlin. (Sean Gallup/Getty Images)
Von 9. November 2008

Der Tag des 9. November öffnet wie ein Zeittunnel den Blick in die deutsche Geschichte.  Doch niemand kann erklären, warum die Deutschen an diesem Tag, laut Sloterdijk, eine „Verabredung mit der Geschichte“ haben.

Vor 19 Jahren war es der Tag, an dem die Mauer fiel, als Tausende und Abertausende sich aus dem Territorium der DDR noch in der Nacht auf den Weg in den Westen machten. Was niemand erwartet hatte, geschah, dass nämlich die braven Deutschen dieses Mal keinen Antrag stellten, um vielleicht vier Wochen später einen Blick in den Westen tun zu können. Nein, sie nahmen die Worte ernst, nach denen Westreisen in Zukunft ohne besondere Formalitäten möglich sein sollten. Um 18.53 Uhr verlas das Mitglied des Politbüros Günter Schabowski die entsprechenden Beschlüsse des Zentralkomitees auf einer Pressekonferenz in Berlin. Ein italienischer Reporter fragte nach dem Reisegesetz. Schabowski verlas daraufhin die eigentlich für den 10. November bestimmte Erklärung. Frage: „Wann tritt das in Kraft?“ Schabowski: „Nach meiner Kenntnis ist das sofort, unverzüglich.“ 

Da machte sich „das Volk“ unverzüglich auf den Weg und erzwang qua Masse mit Heiterkeit und Entschlossenheit die Öffnung der Grenzübergänge. „Wir fluten jetzt“, hieß es bei den überraschten Grenzern und sie öffneten die Schlagbäume. Der Strom der Geschichte und der Begeisterung war nicht mehr aufzuhalten.

Heute, 19 Jahre danach, erscheint es beim Blick in die Veranstaltungskalender fast überholt, dieses mutigen und friedlichen Tages zu gedenken. Man bereitet lediglich schon Aktivitäten für das beginnende 20. Jahr des Mauerfalls und den 20. Jahrestag im kommenden Jahr vor. Die Feier der deutschen Einheit wurde wegen der Lasten der Vergangenheit, die auf dem 9. November liegen, gleich bei der Wiedervereinigung 1990 auf den 3. Oktober als deutschen Nationalfeiertag verlegt.  

Das öffentliche Gedenken richtet heute auch zu Recht den Blick tiefer in die Geschichte auf den 9. November 1938. Auf einen Tag, an dem der Propaganda der damals herrschenden Nationalsozialisten entsprechend die Hetzjagd auf  Juden zwar im Dunkel der Nacht, aber dennoch laut und zerstörerisch begann. Die sogenannte Reichskristallnacht markiert mit ihrer Zerstörungswut gegen friedliche jüdische Mitbürger den Weg einer beispiellosen Abwärtsspirale von Gewalt gegen Minderheiten, dem Mitmachen vieler und dem Schweigen der Mehrheit. Synagogen brannten, Geschäfte von jüdischen Eigentümern wurden zerstört und geplündert. 

Zwar hatte man 15 Jahre zuvor am 9. November 1923 den Marsch Hitlers und seiner Kumpanen in München noch mit demokratisch legitimierter Polizeigewalt aufhalten und mit Haftstrafen für die Anführer beenden können, aber das Gift der Rache für die Schmach des Versailler Vertrags nach dem ersten Weltkrieg saß tief in den Herzen der Deutschen und machte sie anfällig für politische Verführungen.

Denn fünf Jahre zuvor war am 9. November 1918 in Berlin nach der militärischen Niederlage im Krieg die Republik ausgerufen worden. Zuvor hatten sich die Matrosen in Kiel geweigert, sich weiterhin in sinnlosen Seeschlachten verheizen zu lassen. Die Reichswehr stellte sich hinter die junge Demokratie.          

Das Chaos schien gebändigt, aber die neue demokratische Ordnung konnte in dem verarmten und durch den Versailler Friedensvertrag geknebelten Volk keine überzeugende Kraft entwickeln. Die Weimarer Republik endete 1933 in den Fängen Hitlers, in den Parolen der  Nationalsozialisten und im zweiten Weltkrieg. Es gab noch keine stabilisierende Erfahrung mit den Kräften einer Demokratie. Die setzte für die westlichen Teile Deutschlands erst nach dem zweiten Weltkrieg ein und öffnete sich nach der Wiedervereinigung 1990 auch für die neuen Bundesländer.

Der Weg des „Yes we can“ hieß 1989 in Deutschland „Wir sind das Volk“, wobei man nicht vergessen darf, dass der jetzt beschworene Wandel in den USA der normale Prozess in einer Demokratie ist. Was für die Ostdeutschen damals ein mutiger und nicht ungefährlicher Akt der Selbstbefreiung war, ist für die Amerikaner heute ein Fest ihres Selbstbewusstseins, der Beteiligung und der Zusammengehörigkeit innerhalb einer Demokratie.

Was immer bleibt nach sehr emotionalen Prozessen, ist die Gefahr der Enttäuschung von sehr hochgespannten Erwartungen. Dass Demokratie eigentlich heißt, gemeinsam zu arbeiten, gerät dabei nur allzu leicht in Vergessenheit. Der neu gewählte zukünftige Präsident der USA macht den Eindruck, dass er arbeitet, viel arbeitet und sofort arbeitet. Vielleicht ist das seine beste Botschaft, dass nicht mehr das Geld arbeitet, was es wirklich nicht kann, sondern dass der Mensch sich wieder an die Arbeit macht und das auch kann.      



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